Der Entschluß, die Hermeneutik Hans-Georg Gadamers (1900-2002) interkulturell zu lesen, geht in der Hauptsache auf persönliche Gespräche zurück, die ich während meiner einjährigen Lehrtätigkeit an der Universität Heidelberg mehrere Male mit Gadamer geführt habe. Ich erinnere mich deutlich an die erste Begegnung. Ich komme gerade aus meiner Vorlesung und treffe im Flur Gadamer. In seiner unnachahmlichen freundlichen Art faßt er mich an der Schulter und fragt: "Sie sind der asiatische Kollege, der meine Hermeneutik kritisiert hat." Hiermit spielte er auf meine Bemerkungen zu seiner Hermeneutik in meinem Buch ›Die drei Geburtsorte der Philosophie. China, Indien, Europa‹ (1989) an. Er bittet mich in sein Zimmer, wo wir ein schönes Gespräch über eine halbe Stunde führten. Auf die Frage nach meiner Kritik seiner Philosophie der Hermeneutik sagte ich ihm: "Wie käme ich dazu, Ihre großartige Hermeneutik zu kritisieren! Nicht kritisiert habe ich sie, sondern nur darauf hingewiesen, daß Ihr hermeneutisches Modell für die de facto hermeneutische Situation heute ein wenig zu eng geworden ist." Damit bezog ich mich auf seine Hermeneutik vor der ›Wahrheit und Methode‹.
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