Angesichts der zentralen Rolle, welche die Sprache für die Philosophie spielt, kann es nicht verwundern, das Philosophie lange Zeit ein ziemlich ethnozentrisches - und vor allem eurozentrisches - Geschäft geblieben ist. "Philosophie" und "Europa" scheinen meist als notwendig zusammengehörend gedacht zu werden. Philosophiegeschichten, welche ihre verschiedenen Ursprunge in Indien, China, Japan, Griechenland, dem Islam, dem subsaharischen Afrika und dem präkolumbianischen Mexiko gleichwertig nebeneinanderstellen, scheinen ebenso die Ausnahme zu sein wie die Idee, dass es "die eine Weltphilosophie ... nur im Chor der vielen Stimmen spezifischer Philosophien" (246) gibt.
Genau diese Eingebundenheit von Philosophie in eine jeweils einzigartige Sprache und die Eingebundenheit jener wiederum in eine stets spezifische Kultur, die sich im Lauf der Zeit beständig verändert, ist der Ausgangspunkt für eine "interkulturelle Philosophie", die weder Kulturphilosophie noch Philosophie der Kulturen oder der Kulturbeziehungen sein will. Eine solche interkulturelle Philosophie möchte sich auch nicht an die Stelle empirischer Kulturanthropologie, Ethnologie, Soziologie oder interkultureller Kommunikationsforschung setzen, obwohl sie natürlich von deren Debatten profitiert und sich ständig auf sie beziehen muss.
Einer der vier Referenzautoren - neben Heinz Kimmerle, Franz Martin Wimmer und Raul Fornet-Betancourt -‚ die im Einführungsband der Interkulturellen Bibliothek als Hauptvertreter der interkulturellen Philosophie im deutschen Sprachraum vor gestellt werden (41-75), ist Ram Adhar Mall. Mall (geb. 1937 in Indien) ist Gründungspräsident der "Gesellschaft für Interkulturelle Philosophie"; er lebt und lehrt seit 1967 in Deutschland. Für ihn ist "interkulturelle Philosophie ... eine grundsätzlich neue Orientierung und entspringt der Einsicht in die Polymorphie der einen orthaft ortlosen philosophia perennis
Der polyphone und polyloge Charakter der philosophia perennis trägt metonymische Züge. Die hier entworfene Theorie der interkulturellen Philosophie plädiert für eine überlappend universale, aber dennoch orthaft ortlose philosophia perennis und weist auf einen Paradigmenwechsel hin" (164 f).
Der in Wien lehrende Franz Martin Wimmer (geh. 1942), Präsident der "Wiener Gesellschaft für interkulturelle Philosophie", hat sich ausgiebig mit außereuropäischer Philosophie beschäftigt. Sein zentraler Begriff, mit dem er das Anliegen des ghanaischen Philosophen Kwasi Wiredu der "begrifflichen Entkolonisierung" aufnimmt, ist der des "Polylogs" im Sinn eines "Gesprächs unter vielen über einen Gegenstand"; damit verfolgt er die "Fortsetzung des Programms der Aufklärung mit anderen Mitteln, nicht mit dem Mittel einer voraussetzungslosen Wissenschaft, sondern durch einen Polylog der Traditionen".
Heinz Kimmerle schrieb die Bände über Jacques Derrida (IB 18, 2005) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (IB 54, 2005), sowie "Der Philosophiebegriff der interkulturellen Philosophie" (IB 66, 2009). Seiner Meinung nach kann man sogar sagen, das Martin Heidegger "interkulturelle Philosophie wider Willen betreibt, wenn er als Denker oder ‚Fragender' Gespräche mit fernöstlichen Partnern führt, die sich selbst als Philosophen verstehen", wobei der interkulturellen Philosophie eben die Überzeugung zugrundeliegt, dass es "Philosophie nicht nur in einer Kultur", sondern "für jede Kultur eine ihr zugehörige Philosophie gibt".
Stefan Krotz
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