Reinhardt beginnt seine Auseinandersetzung mit einer kurzen Einführung in die systemtheoretische Begrifflichkeit; danach präsentiert er Vorschläge dafür, wie der Kulturbegriff in den Theorieansatz Luhmanns eingebaut werden könnte. Dafür bieten sich zwei grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten an: Kultur kann entweder eine in gesellschaftlicher Kommunikation vorkommende Perspektive auf soziale Phänomene markieren oder aber als soziologischer Grundbegriff fungieren, der davon ausgeht, dass Gesellschaft grundlegend kulturell bedingt ist. Der zweiten Möglichkeit bedient Luhmann sich nur sehr marginal und mit wenig Begeisterung, wenn er im vierten Band von "Gesellschaftsstruktur und Semantik" Kultur als "Gedächtnis sozialer Systeme" bezeichnet. Ein solcher Kulturbegriff erscheint R. allerdings zu eng, da er nur soziale Kommunikationssysteme, nicht aber das Bewusstsein und die leibliche Existenz der Individuen erfasst. Er greift daher auf den Vorschlag des Trierer Soziologen Alois Hahn zurück, der Kultur als Medium der Kommunikation interpretiert, gleichsam als Selektionsmechanismus und Einschränkungsinstrument von Formbildungspotenzialen. So verstanden schweißt Kultur "Sinn" zu Bedeutungskomplexen zusammen (vgl. S. 79). So könnte die Lücke zwischen einem allzu unbestimmten Medium wie "Sinn" und konkreten Medien wie Sprache, Wahrheit oder Geld geschlossen werden. Gleichsam quer zur Logik der funktionalen Differenzierung liegend könnte es dann auch Kultur sein, die unterschiedliche Funktionssysteme über Interpenetration zu koppeln vermag.
Als konkreten Anwendungsfall der Reflexionen über Kultur behandelt R. das Thema religiöser (In-)Toleranz. Der Autor verweist darauf, dass eine gewisse Form gewaltbereiter Märtyrerlogik als spezifisch modernes Phänomen zu betrachten sei, weil darin religiöse Kommunikation mit radikaler Individualisierung kombiniert wird. Weniger überzeugend gelingt freilich die Darstellung von "Toleranz" als notwendige Anpassung religiöser Weltdeutung an die zunehmende funktionale Differenzierung moderner Gesellschaften. Der Mehrwert der im ersten Teil vorgelegten Kulturreflexion für das Schlusskapitel ist nicht erkennbar, so dass das - durchaus lesenswerte - Buch letztlich aus zwei kaum ineinander verzahnten Teilen besteht.
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