Angesichts der zentralen Rolle, welche die Sprache für die Philosophie spielt, kann es nicht verwundern, das Philosophie lange Zeit ein ziemlich ethnozentrisches - und vor allem eurozentrisches - Geschäft geblieben ist. "Philosophie" und "Europa" scheinen meist als notwendig zusammengehörend gedacht zu werden. Philosophiegeschichten, welche ihre verschiedenen Ursprunge in Indien, China, Japan, Griechenland, dem Islam, dem subsaharischen Afrika und dem präkolumbianischen Mexiko gleichwertig nebeneinanderstellen, scheinen ebenso die
Ausnahme zu sein wie die Idee, dass es "die eine Weltphilosophie ... nur im Chor der
vielen Stimmen spezifischer Philosophien" (246) gibt.
Genau diese Eingebundenheit von Philosophie in eine jeweils einzigartige Sprache
und die Eingebundenheit jener wiederum in eine stets spezifische Kultur, die sich im Lauf der Zeit beständig verändert, ist der Ausgangspunkt für eine "interkulturelle Philosophie", die weder Kulturphilosophie noch Philosophie der Kulturen oder der Kulturbeziehungen sein will. Eine solche interkulturelle Philosophie möchte sich auch
nicht an die Stelle empirischer Kulturanthropologie, Ethnologie, Soziologie oder
interkultureller Kommunikationsforschung setzen, obwohl sie natürlich von deren
Debatten profitiert und sich ständig auf sie beziehen muss.
Das erste Bändchen der seit 2005 im Verlag Traugott Bautz erscheinenden
"Interkulturellen Bibliothek" (IB) ist von Hamid Reza Yousefi und Ram Adhar Mali - zwei der fünf Herausgeber der Reihe - verfasst. Für die Autoren der "Grundpositionen der interkulturellen Philosophie" (IB 1, 2005) geht es darum, "die Mauer intrakulturellen, rein kulturgebundenen Denkens zu durchbrechen, um den Weg für eine interkulturelle Orientierung und die Harmonisierung der Begegnung verschiedener Kulturen, Religionen und Weltphilosophien zu ebnen" (12).
Interkulturalität wird dabei als eine "Denkrichtung mit der Einsicht und Bereitschaft,
mehrere Wege zuzulassen" (27) bezeichnet, deren Prinzip "weder einen Synkretismus noch das kulturelle Primat eines bestimmten Kulturkreises" (29) meint.
Auch für die Menschenrechte, die internationalen Beziehungen, den interreligiösen
Dialog und ganz allgemein die Probleme des immer häufigeren, intensiveren, mehr und mehr Lebensbereiche umfassenden Aufeinandertreffens von immer mehr Kulturen postuliert Yousefi (geb. 1967 in Teheran) im Ruckgriff auf den Religionswissenschaftler Gustav Mensching das "dialogische Verfahren der Angewandten Toleranz" (83): Sie erkennt die (nicht persönlich - individuelle sondern sozial verfasste) Andersheit des Anderen an und läßt somit grundsätzlich immer mehrere Wege zu. Dabei geht es nicht um Einstimmigkeit, um Konsens, sondern
um den Kompromiß, welcher Differenz und Dissens einschließt und aushält.
Einer der vier Referenzautoren - neben Heinz Kimmerle, Franz Martin Wimmer
und Raul Fornet-Betancourt -‚ die im Einführungsband der Interkulturellen
Bibliothek als Hauptvertreter der interkulturellen Philosophie im deutschen Sprachraum vor gestellt werden (41-75), ist Ram Adhar Mall.
Mall (geb. 1937 in Indien) ist Gründungspräsident der "Gesellschaft für
Interkulturelle Philosophie"; er lebt und lehrt seit 1967 in Deutschland. Für ihn ist "interkulturelle Philosophie ... eine grundsätzlich neue Orientierung und entspringt der Einsicht in die Polymorphie der einen orthaft ortlosen philosophia perennis.
Der polyphone und polyloge Charakter der philosophia perennis trägt metonymische Züge. Die hier entworfene Theorie der interkulturellen Philosophie plädiert für eine überlappend universale, aber dennoch orthaft ortlose philosophia perennis und weist auf einen Paradigmenwechsel hin" (164 f).
Der in Wien lehrende Franz Martin Wimmer (geh. 1942), Präsident der "Wiener
Gesellschaft für interkulturelle Philosophie", hat sich ausgiebig mit außereuropäischer Philosophie beschäftigt. Sein zentraler Begriff, mit dem er das Anliegen des ghanaischen Philosophen Kwasi Wiredu der "begrifflichen Entkolonisierung" aufnimmt, ist der des "Polylogs" im Sinn eines "Gesprächs unter vielen über einen Gegenstand"; damit verfolgt er die "Fortsetzung des Programms der Aufklärung
mit anderen Mitteln, nicht mit dem Mittel einer voraussetzungslosen Wissenschaft, sondern durch einen Polylog der Traditionen".
Stefan Krotz
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