- Weltphilosophien im Gespräch -

Band 6
Paul Janssen
Zeitlichkeit als Element von Weltbildungen


Abstract / Rezension
 

Aus dem Vorwort

Als ehemaligen Schüler und Doktoranden des Kölner Philosophen Paul Janssen freut es mich ganz besonders, dass mit dem 6. Band der Reihe Weltphilosophien im Gespräch eine Sammlung von Aufsätzen Janssens vorgelegt wird, die sich mit der Problematik der Zeitlichkeit auseinandersetzen. Durch die Konzentration auf diese zentrale Thematik moderner Philosophie kommt die Vielfalt an phänomenologischen und über den engeren Kreis der Phänomenologie hinausreichenden Ansätzen, mit denen sich Janssen in seiner langjährigen Forschungs- und Lehrtätigkeit auseinandergesetzt hat, besonders deutlich zum Ausdruck.
Die im vorliegenden Band gebündelten Aufsätze sind zu unterschiedlichen Anlässen entstanden und - abgesehen von den beiden bislang unveröffentlichten Arbeiten zur Augustinischen Zeit- und Geschichtslehre - in verschiedenen philosophischen Fachzeitschriften und Sammelbänden veröffentlicht worden. Dass sie hiermit erstmals unter einer einheitlichen Themenstellung zusammengefasst werden, ermöglicht einen tieferen Einblick in die phänomenologische bzw. "postphänomenologische" Herangehensweise Paul Janssens und vermittelt zugleich einen repräsentativen Überblick über die philosophischen Einflüsse, an denen sich Janssens Philosophieren immer wieder entzündet hat. Hier ist zunächst Edmund Husserl zu nennen, dem Janssen nicht nur u.a. eine eigene, inzwischen überarbeitet neu erschienene Werkeinführung gewidmet hat,1 sondern auch zahlreiche Aufsätze, von denen in diesem Band diejenigen dokumentiert werden, die sich mit Husserls phänomenologischer Zeitkonzeption auseinandersetzen - immerhin sind dies vier der insgesamt zehn Aufsätze dieses Bandes. Interessant ist dabei, wie Janssen Husserls Zeitbegriff mehrfach mit Zeittheoremen konfrontiert, die sich diesem gegenüber als widerständig erweisen, da sie sich in Husserls Weise zu sagen und zu philosophieren nicht integrieren lassen, und die somit eine Verschiebung und Öffnung des husserlschen Zeitdiskurses auf das hin bewirken, was er aus eigenen Kräften nicht bedenken kann und in seinem Sagen ausblenden muss. Dies betrifft zum einen genuin philosophische Zeittheorien, die zum Teil noch ausdrücklich in der phänomenologischen Tradition verwurzelt sind und von Husserl direkt beeinflusst wurden wie diejenigen M. Heideggers und J.-P. Sartres; aber es geht hierbei zum anderen auch um Zeitlichkeitskonzepte, die sich mit den denkerischen Mitteln Husserls nicht oder nur schwerlich einfangen lassen, da sie Brückenschläge in die ästhetische und literarisch gestaltete Zeiterfahrung wagen, wie dies etwa bei F. Nietzsche, M. Proust und H. v. Hofmansthal der Fall ist. Weiter in die philosophische Tradition zurück reichen die beiden Aufsätze über Augustinus' Zeitkonzeption(en), der Beitrag "Zeit als Realisierungsbedingung der Erkenntnis und die Zeitlichkeit des Erkennens", in dem die kantische Zeittheorie der transzendentalen Ästhetik mit heideggerschen Gedankengängen konfrontiert wird, sowie der Aufsatz "Ästhetische Kontemplation als Entlastung von der Zeit", der Schopenhauers Zeitvorstellung beleuchtet.
Philosophische Theorien der Zeit heben sich vor allem dadurch voneinander ab, wie sie jeweils das Verhältnis zwischen individuell erfahrener Lebenszeit, kulturell gedeuteter Geschichtszeit und messbarer Weltzeit ausdeuten. Die eigentümliche Verhältnisbestimmung dieser drei "Zeitdimensionen", die Janssen vornimmt, gewinnt auf den Pfaden der oftmals verschlungenen, aber stets gedankenreichen Analysen der verschiedenen Ansätze, das Zeitthema philosophisch zu bedenken, deutliche Konturen. Für Janssens pluralistisches Zeitdenken ist vor allem charakteristisch, Zeitlichkeit als ein konstitutives "Element von Weltbildungen" zu begreifen, wie dies auch der Titel der vorliegenden Sammlung sowie die Überschrift der Einleitung benennen, in der Paul Janssen selbst den Zusammenhang zwischen den oben beschriebenen Ansätzen und seinem eigenen philosophischen Verständnis von "Zeit" darlegt, das ausdrücklich nicht als eine Theorie der einen Zeit missverstanden werden sollte.
Die Gelegenheit dieses Vorwortes möchte ich nicht verstreichen lassen, ohne mich bei meinem philosophischen Lehrer auf das Herzlichste zu bedanken - dafür, dass er die verstreut veröffentlichten bzw. bislang unveröffentlichten Texte zur vorliegenden Publikation zur Verfügung gestellt und mit einer neu geschriebenen Einleitung versehen hat, vor allem jedoch für das langjährige Vorbild eines Philosophierens, das unter Beweis stellt, wie profundeste Kenntnisse der philosophischen Tradition, radikales In-Frage-Stellen mit den - stets begrenzten und prekären - Mitteln der Sprache und nichtelitäre Menschlichkeit im persönlichen Umgang sich nicht wechselseitig ausschließen müssen, sondern im Gegenteil einander zu ergänzen und philosophisch zu bereichern vermögen.

Markus Wirtz, im Februar 2011

   
   
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