Thomas Lintner

Der Stellenwert von Privatoffenbarungen

am Beispiel der "Gospa" von Medjugorje

Rezension


Die Problematik der Erscheinung

Das Beispiel der Erscheinung von Medjugorje dokumentiert die schwierige Unterscheidung zwischen Mummenschanz und Glauben

Medjugorje - ein kleiner Ort nahe Citluk im unfruchtbaren Karstgebiet der Herzegowina auf dem Balkan - entzweit seit einigen Jahren die konservativen Katholiken, vor allem im deutschsprachigen Raum: Die einen betrachten Medjugorje als einen von Gott gesegneten Ort, weil dort seit dem 24. Juni 1981 die Jungfrau Maria einem kleinen Personenkreis der Dorfbewohnern ("Sehern") regelmäßig erscheine. Seit 1987 soll die Gottesmutter durch die Seherin Marija Pavlovic an jedem 25. des Monats bis heute Botschaften mitteilen. Kritiker halten "Medjugorje" für eine große Täuschung, durch die fromme und rechtgläubige Katholiken sukzessive für die kommende Welteinheitsreligion reif gemacht werden.

Nachdem bisher von katholisch-konservativer Seite sehr viel, aber fast ausschließlich einseitig und unkritisch zugunsten dieser angeblichen Marienerscheinung publiziert wurde, erschienen erst in jüngster Zeit Bücher aus glaubenstreuer Perspektive, die sich gegen "Medjugorje" aussprachen. In dem neuesten Buch zu diesem Thema, das den Titel "Der Stellenwert von Privatoffenbarungen am Beispiel der ,Gospa' von Medjugorje" trägt, versucht nun Thomas Lintner, der ehemalige Vorsitzende des Initiativkreises katholischer Laien und Priester im Bistum St. Pölten, die Vorgänge von Medjugorje zu analysieren und die Geister zu unterscheiden.

Zunächst gibt der Autor den Verlauf der Erscheinungen sachlich wieder, bevor er eigene Wertungen vornimmt. Sehr gründlich arbeitet er die Umstände des ersten Erscheinungstages heraus und bringt alle bisher verbreiteten Versionen der Ereignisse dieses Tages. An den Fußnoten kann man erkennen, daß er umfangreiche Literaturstudien betrieben hat, denn er behauptet keine Tatsachen, ohne eine Quellenangaben zu machen und auf weiterführende Literatur hinzuweisen. Erschütternd sind die Ergebnisse im Detail: Nach der glaubwürdigsten Darstellung, der durch eine Tonbandaufnahme dokumentierten Aussage der "Seher" unmittelbar nach der ersten Erscheinung, erschien Maria, während die "Seherkinder" gerade heimlich rauchten. Die später verbreitete Version, daß die Kinder die Schafe hüteten, sei nur beschönigend und bereits "geltenden" Marienerscheinungen nachgeahmt. Erschreckend ist auch, was man als "schlechte Früchte" des in Medjugorje zweimal in der Woche geübten Fastens bei Wasser und Brot ansehen muß: So erlitt infolge dieses rigorosen Fastens die Frau eines amerikanischen Medjugorje-Publizisten eine Fehlgeburt.

Ferner zeige sich, daß Medjugorje untrennbar mit den Aktivitäten der charismatischen Bewegung verbunden ist, deren Netzwerke für die schnelle Verbreitung von "Medjugorje" sorgten. Auch der Umstand, daß die "Erscheinung" klar unkatholische Praktiken empfehle, etwa die Spendung des Sakraments der Krankensalbung durch Laien, deute auf charismatische Einflüsse hin, da die charismatische Bewegung pfingstkirchlichen Ursprungs ist.

Detaillierte Vergleiche mit kirchlich anerkannten Marienerscheinungen, zum Beispiel Guadalupe und La Salette, und gegenwärtig noch geprüften, wie die Visionen der Maria von Agreda, runden die Darstellung ab.

Lintners Abhandlung ist zwar umfassend, aber leider behandelt der nieder-österreichische Verwaltungsjurist das zentrale theologische Problem der "Erscheinung" viel zu knapp, nämlich die Aussagen der "Gospa" dahingehend, daß vor Gott alle Religionen gleich seien. Mit dieser Behauptung verneint die "Gospa" das Dogma vom exklusiven Heilsanspruch der Kirche. Extra Ecclesiam nulla salus - außerhalb der Kirche gibt es kein Heil, wie es die Kirche seit Cyprian von Karthago formuliert, ist unfehlbare Lehre, deren Verneinung eine Häresie darstellt. Da aber ausgeschlossen werden kann, daß die Mutter Gottes Häresien von sich gibt, kann die "Gospa" nicht Maria sein.

JOCHEN SCHMITT


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