Volker Jehle

Wolfgang Hildesheimer - Werkgeschichte
Band 1 und Band 2

Rezension


Der Mozart unter den deutschen Schriftstellern

Seit kurzem gibt es eine Neuauflage der Hildesheimer-Werkgeschichte des Geislinger Literaturwissenschaftlers Volker Jehle

Wer ist eigentlich Wolfgang Hildesheimer? Die Zahl derjenigen, die diesen Schriftsteller noch kennen, dürfte in den vergangenen Jahren geringer geworden sein. Der Geislinger Schriftsteller Volker Jehle stemmt sich mit seiner Werksgeschichte über den bedeutenden Literaten gegen einen traurigen Trend.

GEISLINGEN. Die Bestseller-Autoren von heute sind mit wenigen Ausnahmen seicht, konsumierbar und trendy. Während die Werke literarischer Monumente wie Goethe, Schiller, Hesse oder Thomas Mann wenigstens noch in den intellektuellen Zirkeln gelesen werden, haben es andere Schriftsteller schwerer. Wolfgang Hildesheimer zum Beispiel. Der 1916 in Hamburg geborene und 1991 in Poschiavo gestorbene Literat schwamm immer gegen den Strom, ließ sich nirgends einordnen. Die Werke eines des bedeutendsten Schriftstellers der Nachkriegszeit sind, bis auf wenige Ausnahmen, heute fast vergessen.

Der Geislinger Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Volker Jehle hat Hildesheimer zu Beginn der 80er Jahre persönlich kennen gelernt. Die Beziehung wurde so eng, dass Hildesheimer sogar Trauzeuge bei Jehles Hochzeit war.

Bereits 1990 verfasste der Geislinger Literaturwissenschaftler eine Werkgeschichte Hildersheimers. Jetzt liegt im Verlag Traugott Bautz in Nordhausen eine zweibändige, korrigierte, überarbeitete, bis 1991 fortgeschriebene und mit einer Bibliographie versehene Neuausgabe vor.

Jehle schreibt keine Biographie Hildesheimers. Aber durchaus eine Beschreibung des Literaten anhand seiner Werke. Und die fällt überaus kompakt aus. Der Geislinger Schriftsteller verfällt dabei nicht in eine literaturwissenschaftliche Fachsprache, sondern präsentiert Prosa, Hörspiele, Theaterstücke oder Essays richtig spannend.

Der 49-jährige Geislinger ist geradezu ein Anti-Vollmann. Der Tübinger Schriftsteller Rolf Vollmann stellte 1997 in seinem Buch "Die wunderbaren Falschmünzer" auf knapp 1100 Seiten über 1000 Romane vor. Jehle macht es gerade umgekehrt. Denn seine Analysen der Werke Hildesheimers sind manchmal fast genauso umfangreich wie die Werke selbst. Vollmann erreichte mit seinen "Falschmünzern" Kultstatus, Jehle wartet leider noch auf dieses Prädikat.

Der Leser gewinnt einen tiefen Einblick in die Arbeitsweise des Schriftstellers, seine Motive sowie den historischen und gesellschaftlichen Hintergrund. Wenn er es eh' nicht schon gelesen hat, bekommt er Lust, Hildesheimers Biografie über den fiktiven Andrew Marbot zu wälzen, die beim Erscheinen für Furore in den Feuilletons sorgte. Gingen doch einige Besprechungen davon aus, Marbot habe wirklich gelebt. Der Leser könnte auch zu Hildesheirners "Tynset" greifen, eines der wichtigsten Bücher über die unbewältigte deutsche Vergangenheit. Stilistisch benutzte Hildesheimer hier Motive aus der Musik, die "Bett-Fuge" ist literaturgeschichtlich bedeutsam. "Seit Tynset", so schreibt Volker Jehle, "nannte man ihn den Mozart unter den deutschen Schriftstellern".

Von Mozart handelt eines der wichtigsten Werke Hildesheimers. Eine Biografie wollte er sein Buch über den Wiener Komponisten nicht nennen. "Mozart" sei "ein groß angelegter und großartiger Versuch über das Verhältnis von Wahrheit und Wahrscheinlichkeit (...)" charakterisiert Jehle das Werk und weist in einem Vortag auf die nachhaltige Wirkung des Werkes hin: "Ohne Hildesheimers ,Mozart' hätte Peter Shaffer sein Drama ,Amadeus' wohl nicht geschrieben, und ohne Shaffers ,Amadeus' wäre Formans Film nicht entstanden".

Wer Jehles Werkgeschichte liest, ohne Hildesheimer zu kennen, begibt sich auf eine große Reise zu den Ursprüngen und Ausprägungen der deutschen Nachkriegs-Literatur. Man bekommt Einblicke in die Arbeitsweise, die Motivation und den Lebensweg des großen Schriftstellers - und man wird sich danach garantiert über die Werke Hildesheimes hermachen. Wer Hildesheimers Werke kennt und schätzt, kommt um "den Jehle" sowieso nicht herum.

DANIEL SEEBURGER


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