Eine religionswissenschaftlich orientierte und philosophisch untermauerte
Toleranzkonzeption wurde bisher nur in Ansätzen realisiert. Dieses
Themas nimmt sich der interkulturelle Philosoph Hamid Reza Yousefi
an, der auf dem Gebiet der Toleranz- und Kommunikationsforschung eine
Reihe von Arbeiten hervorgebracht hat. Über die genuin philosophischen Analysen hinaus ist es dem Autor hervorragend
gelungen, sich in religionswissenschaftliche, theologiegeschichtliche
und kulturhistorische Fragestellungen einzuarbeiten. Wer das Werk
Gustav Menschings verstehen will, kommt nicht daran vorbei, interdisziplinär
zu forschen, wozu der Verfasser aufgrund zahlreicher Vorstudien
besonders befähigt ist. Yousefi stellt sich die Aufgabe, den Toleranzbegriff
Gustav Menschings kritisch weiterzuführen und will aufzeigen, dass eine
interkulturell-philosophische Sichtweise hierzu besonders geeignet ist. Den
Grundstein zu seiner Toleranzidee legt Mensching bereits als 19jähriger,
indem er der Menschheit ein einigendes Postulat des Weltgewissens zuspricht.
Die Untersuchung wird von fünf Perspektiven geleitet: einer philosophischen,
die hier von besonderer Wichtigkeit ist, einer religionswissenschaftlichen,
einer religiösen, einer kulturellen sowie einer politischen. Für Yousefis Ausarbeitung ist von Bedeutung, dass Mensching ursprünglich aus der evangelischen Theologie kommt und Pfarrer werden wollte. Die dogmatische Enge der Marburger Theologie führte jedoch dazu, dass er seinen ursprünglichen Plan aufgab. Insbesondere setzt sich Mensching von der Theologie Karl Barths ab, der zwischen der christlichen Offenbarung - die hier positiv besetzt ist - und den Religionen - die für den Theologen eine negative Konnotation haben - unterscheidet. Der Rezensent hat zu Beginn seiner Studienzeit in Bonn im Rahmen
des studiums universale Menschings letzte Vorlesungen vor dessen Tod im
Jahre 1978 gehört. Er erinnert sich daran, dass Mensching erwähnte, obwohl
seit der Veröffentlichung seiner Schrift "Der Katholizismus - Sein
Stirb und Werde. Von katholischen Theologen und Laien" aus dem Jahre
1937 alle seine Werke auf dem römischen ‚Index librorum prohibitorum'
aufgeführt worden seien, eine zweistellige Zahl von katholischen Priestern
bei ihm in Religionswissenschaften promoviert hätten, jedoch kein einziger
protestantischer Theologe. Mensching führte dies auf seine Gegnerschaft
zu den Barthianern zurück, die an der Evangelisch-Theologischen Fakultät
Bonn eine starke Stellung hatten. Mensching sieht das Fehlen einer Menschheitsidee im Zusammenhang
mit dem Verlust des Gefühls der Erfurcht, welches er als ein seelisch-metaphysisches Erlebnis bezeichnet. Mensching lehnt eine lediglich auf der
Philologie basierende Vergleichende Religionswissenschaft ebenso ab, wie
die Isolierung von religionshistorischen Fakten. Wer nicht zugestehe, dass
jede Religion primär irrationale Elemente beinhalte, werde ihr als Lebensmitte
eines Individuums nicht gerecht. Gerade diese Überlegungen führten
dazu, dass Mensching nie die Wahrheit in der Religion zum Gegenstand
seiner Forschung machen konnte. Aus diesem Grunde wird er, wie auch
sein Lehrer Rudolf Otto, zum Gegner des Liberalismus, der den Gottesbegriff
und die Religion, sofern diese überhaupt thematisiert werden, allein rational fasst. Mensching ist ein ausgewiesener Kenner der deutschen Philosophie:
angefangen bei der Aufklärung unter Kant bis zur Weltphilosophie Karl
Jaspers. Die Philosophie seiner Zeit bezeichnet er jedoch als blutleer und
wenig brauchbar für die religionswissenschaftliche Forschung. Er erweist
sich auch als ein ausgesprochener Gegner der Philosophie Hegels, dessen
geradlinige Entwicklung des Weltgeistes er nicht nachvollziehen kann.
Beeindruckt ist Mensching hingegen von den wenigen Philosophen, die
orientalische und fernöstliche Religionen untereinander und mit der westlichen
Kultur in Verbindung bringen. Ein Beispiel wäre hier der Kölner
Philosoph Max Scheler. Eine gewisse Nähe lässt sich in Menschings Werken
zur Phänomenologie Edmund Husserls ausmachen. So wird für Mensching
die Frage nach dem Heiligen in der Religion phänomenologisch
durch die Bewusstseinsleistung des Menschen produziert, ohne dieser eine
Apriorität zuzuschreiben. Mensching ist insofern seiner Zeit voraus, wenn
er bemängelt, dass die Wortführer der monotheistischen Religionen sich
der Philosophie und der Weisheit des Ostens im Sinne der Anerkennung
nicht im Geringsten öffneten. Als herausragende Epoche der Toleranz im Sinne Menschings stellt
Yousefi die italienische Renaissance heraus. So hält Francesco Petrarca die
christliche Religion für die beste, doch kennt er auch Teilwahrheiten in der
Antike an. Der italienische Neuplatoniker Marsilio Ficino vertritt eine
religio communis, die allen historischen Religionen gemeinsam sei. Der
Humanist stellt das moralische Handeln in den Mittelpunkt seiner Erkenntnislehre,
in der er neben christlichem Gedankengut auch Elemente des
Neuplatonismus und kabbalistische Inhalte integriert. Für Mensching ist insbesondere die Toleranzidee der Aufklärung von
besonderer Bedeutung. Die hier vertretene Vorstellung der religio naturalis
geht davon aus, dass in den historischen Erscheinungsformen der Religionen
allgemeine Wahrheiten über Gott, Unsterblichkeit, Tugend und
Frömmigkeit vorhanden sein müssten. Im Gegensatz zu vielen Aufklärern
lehnt Mensching jedoch eine reine Vernunftreligion ab, in der die religiöse
Erfahrung nicht zum Tragen kommt. Wie Kant hält Mensching, wenn auch
von anderen Prämissen ausgehend, die Versuche, religiöse Inhalte zu beweisen,
für unmöglich. Angewandte Toleranz ist für Mensching zugleich hermeneutisch und
pragmatisch. Sie schließt keinesfalls die persönliche Bindung an eine Religion
aus. Der heute vielbeschworene interreligiöse Dialog läuft für Yousefi
ohne Verinnerlichung dieser Vorstellung von Toleranz ins Leere. Mensching
fordert die Abwendung von der "Gehäusetoleranz", die im Sinne
Karl Jaspers nicht mehr als eine Höflichkeitsfloskel darstellt, zur angewandten
Toleranz und vom "Gehäusedialog" zum umfassenden Dialog. Für Mensching verursacht nicht die Absolutheit der Wahrheit Konflikte,
sondern der menschliche Anspruch auf sie. Als Beispiel hierfür führt
der Verfasser den Islamismus oder den westlichen Imperialismus an. Yousefi
sieht die Gefahr und zeigt auf, warum latente Funktionen der Religionen
missbraucht werden. Keine Religion, auch nicht der substantiell eher
tolerante Hinduismus, sei davon befreit. Mensching unterscheidet zwischen
formaler und inhaltlicher Toleranz. Beide Formen der Toleranz geben
die eigene religiöse Überzeugung nicht auf, wobei lediglich die zweite
Position eine religionspluralistische Haltung einnimmt. Mit dieser Form
der Toleranzhermeneutik begründet Mensching seine These der geistigen
Einheit der Religionen. Diese Vorstellung der Einheit in der Vielfalt der
Religionen basiert auf der Vorstellung seines Lehrers Rudolf Otto, der eine
Idee von einem "religiösen Menschheitsbund" annimmt. Mensching zielt
hierbei nicht auf eine abstrakte Einheit aller Religionen ab. Ihm geht es
vielmehr darum, das Leben der Religionen unter vielfältigen Formen als
eine einheitliche Größe zutage zu bringen. Yousefi führt in diesem Zusammenhang den Toleranzbegriff des katholischen
Historikers Heinrich Lutz an, dem zufolge Menschings Toleranzkonzeption
die Religionsfreiheit und den religiösen Pluralismus innerhalb
der staatlich-politischen Gemeinschaft ermöglicht. Einfluss nimmt Mensching
auf die von dem katholischen Theologen Paul Knitter konzipierte
"Globale Theologie", der zufolge man eine Zeitlang zu anderen Glaubensgemeinschaften überwechseln sollte. Ein solches "Konvertierspiel" lehnt
Mensching jedoch entschieden ab und fordert eine theoretische Besinnung
auf das Verhältnis zwischen eigenen und fremden Glaubensanschauungen.
Ebenso weist er Karl Rahners Konstrukt vom "anonymen Christen" als
eine Vereinnahmung von Anhängern nichtchristlicher Religionen zurück. Mensching setzt sich deutlich von dem Religionspositivismus eines
August Comtes ab, aber auch von der Soziologenschule eines Emile
Durckheims, für die die Religion lediglich gesellschaftspolitische Relevanz
besitzt. Für Mensching ist die Religion stets eine Begegnung mit "heiligen
Mächten" und daher für die Lebensmitte des gläubigen Menschen konstitutiv.
Yousefi vertritt die Meinung, dass Mensching den starren Dogmatismus
in den Religionen ebenso ablehnt wie deren Instrumentalisierung
durch die Politik. Mensching unterscheidet zwischen einem intensiven und einem extensiven
Absolutheitsanspruch. Den ersten lässt er gelten, da er aus der jeweils
eigenen Glaubenserfahrung stammt und ihm somit ein Einmaligkeitscharakter
zukommt. Das "Nach-Außen-Treten" des Absolutheitsanspruchs
lehnt er jedoch ab, weil damit die Religion für ihn von einer Lebensform
zu einer Denkform transformiert wird. Hierbei verschiebt sich der Wahrheitsbegriff
von der als Wahrheit erfahren Wirklichkeit zu einer als logisch
betrachteten erkennntnismäßigen Richtigkeit. Mensching warnt davor, die religiöse Toleranz in Beliebigkeit aufgehen
zu lassen. Toleranz darf nicht zur Loslösung von Tradition und religiösen
Werten führen. Wie Karl Jaspers würde Mensching eine postmoderne Beliebigkeit,
die zur Gleichgültigkeit führen könnte, ablehnen. Wer die Unterschiede
zwischen den einzelnen Religionen einebnen möchte, kann sich,
so Yousefi, jedenfalls nicht auf Mensching berufen. Kritisch sieht der Autor Menschings Betrachtungsweise des Islams. Der
Islam, so Mensching, sei von Anfang an eine militante Religion gewesen
und habe außer seinem Fanatismus wenig Originelles hervorgebracht. Diese
Aussagen über den Islam seien, so Yousefi, von einer Verachtung und
Härte geprägt, die gerade wegen Menschings Plädoyer für inhaltliche Toleranz
unverständlich blieben. Ebenso sei es ein Vorurteil, wenn Mensching
den Hinduismus und den Buddhismus als pessimistische Religionen deklariere. Die Resultate der interreligiösen Dialoge seiner Zeit hält Mensching für
unzureichend. Die Ergebnisse seien selten ein reziprok-vergleichendes
Verstehen. Hierbei gehe es in der Regel lediglich um die Rechtfertigung
der eigenen Position und die Darstellung deren Überlegenheit. Abschließend schlägt Yousefi vor, die praktisch-interkulturelle Toleranz
Menschings mit der Diskurstheorie Habermas´ zu einer neuen Systemtheorie
zu verschmelzen. Die Kompatibilität zwischen kommunikativem
Handeln und der phänomenologischen Toleranzhermeneutik Menschings
erkläre sich durch die Forderung nach praktischer Orientierung. Der Autor ist sich darüber im Klaren, dass die Realisation einer interkulturellen
Religionswissenschaft, die einen echten Dialog bewirken und
eine Kultur des Friedens schaffen könne, noch einen langen und bisweilen
schwer gangbaren Weg vor sich habe. Er appelliert daher an alle Verantwortlichen,
die kulturellen und religiösen Konflikte aufzuarbeiten. Mit
Gustav Mensching schlägt er hierzu vor, dass in allen Institutionen auf
einen exklusivistischen Absolutheitsanspruch verzichtet werden müsste. Selbst wenn man eine Reihe von Menschings Positionen nicht teilt, so
ist dieser scharfsinnigen Analyse Yousefis gerade im Hinblick auf die viel
beschworene "Rückkehr der Religionen" eine große Verbreitung über den
Kreis der Fachphilosophen, Religionswissenschaftler und Theologen hinaus
zu wünschen. Der interkulturelle Ansatz des Autors durchdringt seine
Studie wie ein Leitmotiv, das ganz anders klingt als Huntingtons "Kampf
der Kulturen". Der Verfasser macht deutlich, dass es ohne einen aufrechten
Dialog der Religionen keinen gesellschaftspolitischen Fortschritt mehr
geben wird. (Hermann-Josef Scheidgen)