Matthias Roser

"Schöpfungswissenschaft" an evangelikalen Bekenntnisschulen

Eine religionspädagogische Analyse

Rezension


Die in Münster betreute Dissertation des Theologen und Religionspädagogen Matthias Roser (Berlin) untersucht anhand der Analyse zahlreicher Dokumente und anderer Daten, wie und warum an evangelikalen Bekenntnisschulen die kreationistische "Schöpfungswissenschaft" unterrichtet damit Kritik an der wissenschaftlichen Biologie, Geologie und Kosmologie geübt wird. Besondere Aufmerksamkeit widmet die Untersuchung Privatschulen aus dem Milieu russlanddeutscher Aussiedler und den Prinzipien bzw. Aktivitäten des Verbands Evangelischer Bekenntnisschulen (VEB).

Im ersten Teil (S. 25-92) wird die Entwicklung des evangelikalen Privatschulwesens skizziert, einschließlich seiner rasanten Ausbreitung. Die Schulen des VEB unterscheiden sich theologisch, pädagogisch und politisch von denen der landeskirchlichen Schulwerke, die es besonders in Baden-Württemberg und Bayern in erheblicher Zahl gibt. Diese Unterschiede werden, so der Autor, bisher kaum kommuniziert und diskutiert. Rund 40% der Evangelischen Bekenntnisschulen haben ihren Ursprung im Milieu russlanddeutscher Aussiedler und Spätaussiedler. Über dieses Milieu erhält man Informationen, die in konzentrierter Form sonst kaum zugänglich sind. Der Autor unterscheidet zwei Schultypen: Der erste, zu dem die Schulen der Aussiedler gehören, ist von einer Grundsatzopposition zur säkularen Umwelt gekennzeichnet und orientiert sich am Bibelfundamentalismus. Der zweite Typus lässt sich eher als "Bekenntnisschule" beschreiben, da ein Bekenntnis zum christlichen Welt- und Menschenbild die Identität prägt. Das Buch gewährt vor allem Einblicke in ersteres Milieu, in dem der Kreationismus eine gewichtigere Rolle spielt als beim zweiten Typus.

Im zweiten Teil (S. 93-161) wird untersucht, wie die "Schöpfungswissenschaft" als Bildungsinhalt benutzt und begründet wird. Dabei arbeitet der Autor theologische Denkfiguren heraus, die im evangelikalen Milieu weit über die Frage nach Schöpfung und Evolution hinaus eine Rolle spielen. Zum Beispiel unterscheidet Roser ein "evidentialistisches" von einem "präsuppositionalistischen" Argumentationsmuster. Ersteres geht davon aus, dass Christen und Nichtchristen nach den Regeln einer allgemeingültigen Vernunft kommunizieren können, und dass es möglich ist, in diesem Rahmen den christlichen Glauben durch Naturwissenschaft zu beweisen. Dass die angeblich zwingenden Beweise durch logische und sachliche Irrtümer zustande kommen, wird vom Autor erläutert. Das damit eigentlich nicht vereinbare präsuppositionalistische Argumentationsmuster hat dieses Problem nicht, da es davon ausgeht, dass es keinen neutralen Boden für einen wissenschaftlichen Diskurs zwischen Christen und Nichtchristen gibt. Aufgrund ihrer falschen Prämissen können Nichtglaubende nur zu falschen Schlüssen kommen, und nur Glaubende zu richtigen Schlüssen. Von daher ist Apologetik als Befreiungsdienst zu verstehen, als ein Entfernen falscher Prämissen aus dem Denken. Der biblizistisch verstandene Schöpfungsglaube bildet aus dieser Sicht einen Teilaspekt der präsuppositionalistischen Theologie, die Offenbarung als Instruktion für das Denken und Handeln versteht. Für die Schuldidaktik bedeutet dies, dass Sachunterricht und Verkündigung nahezu gleichbedeutend werden und dass die Vermittlung von Werten und Normen im Unterricht mit der Anleitung zu Bekehrung und Heiligung zusammenfällt. Die Rolle von Lehrerinnen und Lehrern wird zu der von Evangelisten oder "Konversionsagenten", wie der Autor es ausdrückt - nicht nur durch ihr Vorbild, sondern durch ihre "Instruktionen".

Im dritten Teil (S. 166-207) werden die von der kreationistischen Studiengemeinschaft "Wort und Wissen" angebotenen Unterrichtsentwürfe näher betrachtet, vor allem das viel benutzte Buch von R. Junker & F. Hartmann (2009) "Bibel - Schöpfung - Evolution. Das Werk ist nicht zu verwechseln mit dem bekannten Grundlagenbuch von Junker & H. Scherer "Evolution - ein kritisches Lehrbuch", das 2013 bereits in 7. Auflage erschien. Es wird herausgearbeitet, dass das "Warfare-Narrativ" (wie der Autor es nennt) von der Unvereinbarkeit von Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft die Grundlage des Unterrichts bildet, so dass auch an diesem zentralen Punkt der Sachunterricht eigentlich keiner ist, sondern auf Konversion und Absonderung von der Welt drängt. Die "Schöpfungswissenschaft" dient aus der Sicht des VEB der Glaubensstärkung, während die Evolutionstheorie zu religiöser und moralischer Orientierungslosigkeit führt.

Im vierten Teil (S. 210-254) wird das Selbstverständnis der Schulen und die Rolle der Lehrkräfte näher untersucht. Interessant ist, welche wichtige Rolle dabei die politische Vision einer gesellschaftlichen Transformation durch Evangelisation spielt, eine Vision, die elementar zum aus den USA kommenden, protestantischen Fundamentalismus gehört, aber z. B. der pietistischen Tradition In Deutschland eher fremd ist. Dazu gehört eine Analyse des Verständnisses von Evangelisation in den VEB-Schulen, weil dabei das Ziel einer Absonderung von der Welt v.a. der russlanddeutschen Schulen mit dem weltzugewandten Evangelisationsverständnis des Pietismus und der Evangelischen Allianz in Widerspruch gerät. Der VEB versucht, diese Spannung innerhalb des Verbands konstruktiv zu bearbeiten. Was die wichtigen schulpolitischen und religionspädagogischen Schlüsse aus der Dissertation angeht, sei der Kürze halber auf die Expertenmeinung von F. Schweitzer (Tübingen) verwiesen, die man im Internet abrufen kann: https://doi.org/1 0.JS1S/zpt-201 9-002 8.

Für diejenigen, die sich fachlich mit Fragen des evangelischen Schulwesens, der Frömmigkeit von Aussiedlergemeinden, der deutschen evangelikalen Bewegung und des Kreationismus beschäftigen, ist dieses Buch unverzichtbar.

Dr. Hansjörg Hemminger, Baiersbronn
hansjoerghemminger@gmail.com


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