Matthias Roser

"Schöpfungswissenschaft" an evangelikalen Bekenntnisschulen

Eine religionspädagogische Analyse

Rezension


Die vorliegende Untersuchung, 2017 als Dissertation des Autors vorgelegt und angenommen, analysiert - methodisch unter Anwendung der "revidierten" Grounded Theory sowie der wissenschaftlichen Diskursanalyse - den theologischen und religionspädagogischen Hintergrund sowie das Umfeld der in den vergangenen Jahren zahlenmäßig stark angewachsenen evangelikalen Bekenntnisschulen mit besonderem Fokus auf die dem "Verband evangelikaler Bekenntnisschulen" angehörenden Ersatzschulen.

Der erste Teil der Analyse widmet sich dem Phänomen evangelikaler Privatschulen insbesondere jener Schulen, deren Verortung im Milieu russlanddeutscher Spätaussiedler zu suchen ist.

Im zweiten Teil analysiert der Autor die mit dem Begriff der "Schöpfungswissenschaft" und dessen kreationistischen Hintergrund verbundenen fundamentaltheologischen Probleme. Eine gründliche Untersuchung des in evangelikalen Bekenntnischulen des o. g. Typs verwendeten Schulbuchs "Bibel - Schöpfung - Evolution" und den damit vorgelegten unterrichtlichen Konkretionen folgt. Der vierte Teil der Untersuchung widmet sich der Frage, wie Unterricht und Schule im Raum evangelikaler Bekenntnisschulen als Modus der Evangelisation funktionalisiert werden und welche Transformationsprozesse für Gemeinden mit russlanddeutschem Spätaussiedlerhintergrund im Sinne einer weltzugewandten Evangelisation sich damit verbinden. Die Conclusio fasst die sich mit der Untersuchung ergebenden theologischen und religionspädagogischen Herausforderungen zusammen.

Insgesamt eine außerordentlich gründliche, detailreiche Untersuchung, die durchgehend sachlich die hermeneutischen und theologischen Probleme adressiert und respektvoll mit den Positionierungen im evangelikalen Umfeld der betreffenden Schulen umgeht. Gleichwohl ist dem Autor in seiner Kritik zuzustimmen: "Die ‚souveräne' Unterbietung gängiger exegetischer, bibelhermeneutischer, systematischtheologischer und kommunikationstheoretischer Standards im Kontext des Projektes der avisierten evangelikal-fundamentalistischen, religionspädagogischen Theoriebildung bedarf zukünftig [...] der intensiven ‚apologetischen' Auseinandersetzung." (S. 259). Wo die Rolle des Lehrers/der Lehrerin vorrangig im Modus des Konversionsbegleiters (S. 229ff.) verstanden wird, ist m. E. nicht nur die Frage zu stellen, ob es sich hierbei "[...] um die Repristination einer längst defizitär beschriebenen Definition der Lehrerrolle [...]" (S. 259) handelt, sondern zu klären, ob das im schulischen Raum geltende Überwältigungsverbot beachtet wird, da sich sonst m. E. auch Fragen nach der Begründung des Ersatzschulstatus solcher Schulen ergeben. Die durch die Untersuchung dokumentierte "Schöpfungswissenschaft" im Kontext evangelikaler Schulen widerspricht den bildungstheoretischen Grundierungen unseres Bildungssystems im Sinne eines komplementären Wirklichkeitsverständnisses: Die unterschiedlichen Rationalitäten und Weltzugänge sind nicht wechselseitig substituierbar - die religiöse Perspektive auf die Schöpfung ist von der naturwissenschaftliche Analyse fundamental zu unterscheiden. Die kreationistischen Grundannahmen insbesondere das kurzzeitkreationistische Argumentationsmodell widersprechen nicht nur den allgemeinen Bildungszielen, sondern verfehlen auch das biblische Narrativ und führen zu zirkulären Argumentationsketten, die m. E. auch die vom Autor empfohlene Auseinandersetzung mit diesen Positionierungen außerordentlich erschweren werden. Bei der Analyse des o. g. Schulbuches z.B. mit der Erläuterung des "Ladeproblems" der Arche Noah und der angebotenen "Lösung" (ausschließliche Mitnahme von jungen Tieren und verbreitete Praxis von Winterschlaf, S. 196) bietet der Autor interessante Einblicke in kreationistische Denkstrukturen. Roser weist zu Recht darauf hin, dass die im Kontext evangelikaler Schulen postulierte Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift deren Multiperspektivität nicht gerecht wird und geradezu "[...] dem ergebnisoffenen, einladenden, auf Kommunikation zielenden Charakter des Evangeliums [...]" widerspricht (S. 260).

Die zunehmende religiöse und weltanschauliche Pluralisierung unserer Gesellschaft braucht m. E. grundlegend andere bildungspolitische und religionspädagogische Zugänge als die in dieser Untersuchung dokumentierte "Schöpfungswissenschaft". Pluralitätsfähigkeit als Bildungsziel setzt Komplementarität in den Modi der Weltbegegnung als Gelingensbedingung voraus.

Die vorliegende Studie von Matthias Roser ist als Lektüre insbesondere für bildungspolitische Verantwortungsträger dringend zu empfehlen.

Rainer Timmer


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