Hamid Reza Yousefi und Ali Radjaie (Hrsg.)

Jalal ad-Din Rumi

Grundbegriffe seines Denkens

Rezension


Die Weltliteraturgeschichte zeigt in ihrer Vielfalt zahlreiche herausragende Klassiker, deren Werke die Epoche ihrer Lebenszeit weit überdauern und in ihrer Aktualität zeitlos wirken. Namhafte Größen wie Johann Wolfgang von Goethe, William Shakespeare, Dante Alighieri oder Jean-Baptiste Poquelin (Moliére) verdeutlichen mit ihren Werken den weitreichenden Interessenfokus vielfältig Gelehrter, die eine Vernetzung literarischer Stoffe mit unterschiedlichen Aspekten der gesamten Kulturgeschichte der Menschheit ermöglichen.

Auch Maulana Jalal ad-Din Mohammad Rumi zählt zu den einflussreichsten Dichter-Philosophen der Weltliteratur und gleichsam zu den einflussreichsten iranischen Denkern seiner Zeit. Sein Werk vereint einen hohen, ästhetischen Anspruch mit einer tiefen, umfassenden Gedankenwelt, in deren Tiefe sich Themen der Philosophie, Theologie, Psychologie und Soziologie vorfinden lassen. Zentrales Herzstück seiner lyrischen wie prosaischen Texte bildet der Zusammenhang zwischen der Ontologie der Liebe und der Theologie des Friedens, die er in Parabeln, Lehrgedichten und Merkversen sowie kurzen Erzählungen veranschaulicht.

Der Band stellt im Rahmen von zehn Beiträgen unterschiedliche Ausprägungen der Werke Rumis vor und führt diese in dialogischer Form mit unterschiedlichen Perspektiven auf sein Werk zusammen, in deren Zentrum seine einzigartige Verbindung wissenschaftlicher mit theologischer wie literarischer Kenntnis steht. Dabei wirken Rumis Ausführungen verbindend und stellen traditioneller, persischer Dichtkunst philosophisch-tiefgreifende Themen zur Seite, deren Verschränkung weltweit ihres Gleichen suchen darf. Eröffnet wird der Band mit einem Beitrag von Mahnaz Jafarieh, in dem sie Rumis Leben und Werk als Ausgangspunkt einer Erneuerung und Richtungsweisung der mystischen Literatur fokussiert, der eine lebensweltnahe Dichtung mit ästhetischem Anspruch sowie inhaltlicher Präzision und ungeschönten Schilderungen zu Lebens- und Gesellschaftsstrukturen seiner Zeit vorlegt.

Akram Golshani untersucht die besondere Bedeutung des Begriffes der Liebe in Rumis Werk und verfolgt seinen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung des Menschen. Hierbei fällt auf, dass der Begriff in Rumis Werken eine tiefenpsychologische Struktur besitzt, dessen Einfluss sich von einfachen Formen der Zuneigung zu den komplexen und vielschichtigen Einheitsstreben in der Einheit des Menschen mit Gott fortentwickelt.

Gholamreza Aavani konstatiert in Rumis Werken eine inhärente Beziehung zwischen Liebe und Vernunft, die sich zunächst als kontrastreich entfaltet. Rumis Begriff der Liebe lässt sich als einerseits irdisch-mitmenschliche, andererseits transzendent-göttliche Form begreifen, die in der zwischenmenschlichen Zuwendung sowie der bewussten Erfahrung der Umwelt des Menschen ausgeprägt ist.

Ali Asghar Halabi fragt im Kontext von Rumis Werken nach dem Vernunftbegriff, dem er zwei Rollen, eine erworbene Vernunft sowie eine Vernunft, die vom Herzen kommt, zuweist. Während erster die rein rationalen und verstandesmäßigen Analysekriterien aller weltlichen Einflussbereiche innewohnen, vereint die zweite Form der Vernunft die göttliche Gnade und Zuwendung des Menschen zu Gott, die in der Lage ist, den Menschen als Vernunft- und Gefühlswesen wahrzunehmen.

Gholamreza Mehri geht der Frage nach, inwiefern Rumi den Ausdruck des Schönen und der Ästhetik für eine Zugangsmöglichkeit zum Göttlichen hält. In diesem Kontext schlussfolgert sich, dass Rumis ästhetisch meisterlich präsentierte Lyrik und Prosa einen unmittelbaren Ausdruck der inneren Welt- und Wertvorstellungen des Autors ist, insofern sowohl äußerliche als auch innere Schönheit in Rumis Werken in einem unmittelbaren Wirkungszusammenhang stehen.

Shahbaz Mohseni stellt die Thematik des Todes in Rumis Denken vor und veranschaulicht die Auseinandersetzung mit dem Tod in Rumis Werken. Dieser befasst sich sowohl in lyrischer wie auch gleichnishafter Form mit dieser zentralen, menschlichen Problematik und fokussiert auf Basis einer religiösen Grundlage die Auseinandersetzung mit dem Rod in Rumis koranischen Interpretationen, denen auch einige der Sunna des Propheten zu Grunde liegen.

Shams Anwari-Alhosseyni vollzieht eine mehrschrittige Würdigung Rumis, in der er aus seiner persönlichen Perspektive heraus die oftmalige Lektüre des großen Dichter-Philosophen in seinem Leben Revue passieren lässt und die jeweils unterschiedlichen Interpretations- und Deutungsansätze miteinander ins Gespräch bringt. Eine kritische Würdigung seines literarischen Meisterwerkes bildet dabei den Abschluss der vielschichtigen Perspektiven.

Mit einem historisch-vergleichenden Beitrag unterzieht Ali Radjaie die weltweite Rumiezeption im Laufe der Literaturgeschichte einer kritisch-würdigenden Prüfung und gelangt hierbei zu dem Ergebnis, dass insbesondere im europäischen Sprachraum die metrische Ghaselenform auf positive und überraschend-faszinierende Resonanzen stieß. Internationale Übersetzungsarbeiten sowie die positive Rumi-Rezeption auf unterschiedlichen Gebieten verdeutlichen hierbei die Tragweite seiner Werke bis in die heutige Zeit.

Sedigheh Khansari Mousavi untersucht Positionen der islamischen Mystik im Denken Rumis und stellt hierzu einen Vergleich mit den Werken Annemarie Schimmels an, die Rumis Werke in der Gegenwart des 20. Und 21. Jahrhunderts auf Perspektiven des Sufismus untersucht und hierbei die islamische Mystik besonders fokussiert.

Hamid Reza Yousefi fragt nach einem Zusammenhang zwischen der Ontologie der Liebe und einer Theologie des Friedens in Rumis Werken und zeigt auf, dass der Mensch fortwährend mit spezifischen Wahrnehmungskonstruktionen arbeitet, um die Welt, in der er lebt, begreifbar zu machen. Erst anhand dieser ist er in der Lage, seine kulturellen Orientierungen, durch die er maßgeblich geprägt wird, zu hinterfragen und mit ihrer Hilfe eine eigene Identität auszubilden. Diese steht in einer inhärenten Wechselwirkung mit allen, sein Leben beeinflussenden Kulturbereichen, die immer auch Ausdruck der menschlichen Sinnsuche und lebenslangen Aufgabe sind, die Welt um sich herum verstehen zu wollen. Dabei sieht Yousefi die Werke Rumis in würdigender Weise als disziplinenübergreifende und literarisch-ästhetische Ausdrucksformen einer inhärenten Korrespondenz zwischen der menschlichen Lebensaufgabe der Sinnsuche sowie der Entwicklung einer Sehnsuchtssolidarität, die er auf die Ur-Sehnsucht als zentrale Antriebsquelle des Menschen zurückführt. In der Verbindung zwischen der Ontologie der Liebe und dem Begriff der angewandten Skepsis von Matthias Langenbahn konstatiert Yousefi eine Grundlage des interreligiösen sowie kulturübergreifenden Dialoges, dessen essentieller Beitrag zu einer gelingenden Völkerverständigung grundlegend und von maßgeblicher Bedeutung ist.

Insgesamt stellt der Band die vielfältigen Nuancen, Interpretationen und Sichtweisen auf das Werk Rumis umfänglich dar und bietet selbst Erstlesern sowie interessierten Laien in leicht verständlicher Sprache mit wissenschaftlichem Anspruch eine gelungene Ausgangsbasis zur weiteren Beschäftigung mit Rumi und seinem Werk sowie eine leicht zugängliche Überleitung und Vertiefung aktueller, philosophischer Themen, deren Bedeutung prägend für weltweite Bemühungen um einen gelingenden Dialog zwischen unterschiedlichen Kultur- und Religionsgemeinschaften ist.

Diese Vielfalt steht hierbei nicht in dem Anspruch, vollumfänglich und exklusivistisch eine absolute Sichtweise zu vertreten, sondern präsentiert sich als deutungs- und pluralitätsaffine Möglichkeit der Wahrnehmung des bekannten Dichter-Philosophen Rumi mit der Möglichkeit der Vernetzung zu aktuellen politischen, soziologischen, theologischen wie psychologischen und schließlich literarischen wie philosophischen Themenfeldern, deren internationale Dialogbemühungen aktueller nicht sein können.

Matthias Langenbahn


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