Michael Peters (Hrsg.)

Professor Fritz Fischer (1908-1999)

Lebensgeschichte und Kriegszielthesen

Ein Resümee zum 110ten Geburtstag des Historikers

und zur "Fischer-Kontroverse" vor fünfzig Jahren

Rezension


Einhundert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs wurde in der deutschen Geschichtswissenschaft und im Feuilleton plötzlich wieder über die als weitgehend geklärte "Kriegsschuldfrage" debattiert, nachdem Christopher Clarks "Sleepwalkers" in deutscher Übersetzung erschienen waren. Einige Interpreten nahmen Clarks Buch zum willkommenen Anlass, die Hauptverantwortung des Deutschen Reichs am Kriegsausbruch gänzlich infrage zu stellen, wogegen insbesondere Gerd Krumeich mit zahlreichen Publikationen opponierte. Noch ist nicht abzusehen, ob auch die hundertjährige Wiederkehr des Kriegsendes im November 2018 und der Unterzeichnung des Versailler Vertrags im Juni 2019 zu vergleichbaren Kontroversen führen werden.

Gründe gäbe es mithin allemal genug, an den Hamburger Historiker Fritz Fischer und seine Forschungen zum "Griff nach der Weltmacht" zu erinnern, vielleicht auch danach zu fragen, was Fischer uns heute noch zu sagen hat. Während Clark und Krumeich sich in der Sache hart, ansonsten aber professionell und freundschaftlich stritten, war die Situation in den 1960er-Jahren freilich eine gänzlich andere. Zur sogenannten Fischer-Kontroverse gibt es mittlerweile eine Fülle an Literatur, die die vergiftete Atmosphäre zwischen Fischer und manchem seiner Kontrahenten - wie Gerhard Ritter - präzise dokumentiert. Lohnt es sich daher tatsachlich, zum "110ten Geburtstag" des "großen Historikers" (S. 19) ein Resümee zu ziehen, wie es der Historiker Michael Peters nun versucht hat?

Geht man alleine vom Titel des Heftes aus, dann sollten drei Themen im Mittelpunkt stehen: 1) Lebensgeschichte; 2) Kriegszielthesen; 3) Fischer-Kontroverse. Das erscheint reichlich viel für einen Beitrag, der lediglich 15 Textseiten umfasst. Die letzten zehn Seiten bieten einen Überblick über Archivalia, einige Werke Fritz Fischers sowie eine ausgesprochen unausgewogene Literaturauswahl, die wichtige Werke zur Fischer-Kontroverse (etwa von Geiss, Jäger oder Stelzel) nicht aufführt. Der zweifelhafte äußere Eindruck spiegelt sich leider im Text selbst wider. So bleibt am Ende der Lektüre völlig unklar, was die konkrete Absicht des Autors bei seinem "Resümee" gewesen sein mag. Das ist auch der eigentümlichen Textkomposition zuzuschreiben. Der Text beginnt mit Fischers endgültig erfolgter Berufung an die Universität Hamburg im Jahr 1947, worauf einige unklare Passagen über den Zusammenhang von Fischer-Kontroverse und Historikerstreit folgen, der eine "geschichtsphilosophische Begleitdebatte" zur Auseinandersetzung um den Ausbruch des Ersten Weltkriegs gewesen sein soll (S. 6). Diesem Abschnitt folgen Ausführungen zur Bedeutung der Fischer-Kontroverse, vermischt mit einzelnen Sätzen über die "Aufarbeitung der Vergangenheit" (S. 9) oder Fischers Stellung zum Nationalsozialismus (S. 8 und 14 f.). Der Teil endet mit einer Passage, wie sie für den Text leider symptomatisch ist: "Fischers großes Verdienst ist es aber, die im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehende ,Deutsche Kriegszielbewegung' en détail beschrieben zu haben. Fritz Fischer war ein sehr beredter und auch sehr eitler Mann - ,ist mein äußerer Mensch in Ordnung?' -, dessen Lehrveranstaltungen überaus gut frequentiert waren." Selbst mit einem Absatz zwischen den Sätzen wirkt der sprachliche Zusammenhang unglücklich, einen inhaltlichen kann man sich nur schwer vorstellen.

Die folgenden Seiten bieten einen informativen Abriss von Fischers Lebensweg bis in den Zweiten Weltkrieg hinein, den er als Oberleutnant bei der Flakartillerie erlebte. Bereits 1943 erreichte ihn der Ruf nach Hamburg, dem er jedoch erst 1947 folgen konnte. Abschließend geht es wieder zurück zur Fischer-Kontroverse und ihrer Bedeutung für die Geschichtsschreibung der jungen Bundesrepublik. Informiert wird man auch über "zahlreiche Reisen" Fischers, die jedoch - wen mag das überraschen - "nicht ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken dienten" (S. 18), sowie "einem Besuch der alten Heimatstadt und des Oberen Frankenwaldes", den das Ehepaar Fischer im September 1988 unternahm (S. 19). In einem ausführlichen biografischen Abriss konnte man solche Ausführungen erwarten; hier wirken sie schlicht deplatziert.

Fritz Fischer war in der Tat ein bedeutender Historiker der frühen Bundesrepublik. Zwar hat er methodisch oder konzeptionell die Geschichtswissenschaft kaum vorangebracht; das blieb aus seiner Generation Kollegen wie Theodor Schieder oder Werner Conze vorbehalten. Fischers bleibendes Verdienst war es, im Sinne Nietzsches das Messer an die Wurzel eines nationalen Mythos gelegt zu haben: mit den anderen Großmächten quasi ungewollt in den "Großen Krieg" geschlittert zu sein. Der Streit darüber gehört zu den formativen Debatten der frühen Bundesrepublik, die schließlich ein liberalisiertes und demokratisiertes Geschichtsbild ausprägten. All das ist bekannt; gleichwohl darf man mit Spannung eine Biografie Fritz Fischers erwarten, die den historiografischen Brüchen (von der Kirchengeschichte zur Weltkriegsforschung) ebenso nachspurt wie den politischen Wandlungen (vom Mitarbeiter Walter Franks zur Kritik an den Kontinuitäten zwischen Kaiserreich und "Drittem Reich"). Michael Peters' Broschüre hat dazu leider nur wenig beizutragen. Man mag sie aber zum Anlass nehmen, angesichts heutiger Debatten einmal mehr den Blick zurück zu wagen: auf den Beginn und die Leistungen einer kritischen Weltkriegsforschung in (West-)Deutschland.

Thomas Gerhards


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