Hans-Christian Günther

Zwei Liebesgedichte vom Ausgang der lateinischen Antike

Ausonius' Bissula und das Pervigilium Veneris

Studia Classica et Mediaevalia, Band 15

Rezension


Dieses kurze und hinsichtlich Produktion schlichte Bändchen enthält, wie sein Titel anzeigt, den Gedichtzyklus Bissula des Ausonius samt Widmungsbrief sowie das anonyme Pervigilium Veneris. Der lateinische Text beider Werke wird von einer Vers-Übersetzung begleitet und durch kurze erläuternde Anmerkungen ergänzt. Die großzügige Einleitung des Buches (S. 15-46) verortet diese Gedichte innerhalb ihres historischen und literarischen Kontextes (soweit bekannt) und bietet dem Leser eine Interpretationshilfe. Der Autor gibt das Ziel seines Buches in diesen einleitenden Seiten klar an: "ein möglichst breites Publikum an diese so außergewöhnliche Dichtung heranzuführen" (S. 14). Die Einleitung des Autors stellt den brauchbarsten Teil des Bändchens dar: Die Kontextualisierung von Ausonius' Bissula-Zyklus und die Untersuchung der literarischen Mechanismen, die dort am Werk sind, sind für die vorgesehene breitere Leserschaft sicherlich sehr hilfreich. Darüber hinaus ermöglicht der Vergleich mit späteren literarischen Behandlungen des Themas "Älterer Mann mit (sehr) junger Frau" (S. 27-29) eine sinnvolle Positionierung dieses spätantiken Werkes innerhalb eines breiteren literarischen Rahmens. Gleiches gilt für die Ausführungen zum Pervigilium Veneris, welches in Übereinstimmung mit der jüngsten Forschung als ein fiktionaler Text mit metapoetischer Pointe (S. 35) gedeutet wird; der Autor distanziert sich dabei von früheren Deutungen des Gedichtes als historischer Fest-Hymne o.Ä. Die im Pervigilium evozierte Stimmung wird mit ausdrucksvollen Momenten in verschiedenen musikalischen Werken (S. 37-38,39) und mit neueren literarischen Texten (S. 43-44) in Verbindung gesetzt. Diese Gegenüberstellungen sind für einen interessierten Leser zweifellos bereichernd. Welchen Gewinn dieser jedoch aus den nicht übersetzten lateinischen Passagen (S. 17-18) oder einem im Original zitierten Gedichts des japanischen Tendai-Mönchs Gyöson (Nr. 66 in Fujiwara no Teikas Ogura Hyakunin Isshu) (S. 31) ziehen wird, ist schwer abzuschätzen. Der lateinische Text von Ausonius' Bissula ist, wie er im Band gedruckt ist, problematisch. In der Transkription dieses ansonsten gut überlieferten Werkes sind zahlreiche Worte einfach ausgefallen: Bereits im Vorwort des an Axius Paulus adressierten Zyklus ist der Name von Ausionus' Freund (S. 48, nach carissime) verschwunden. In der ersten Zeile des ersten Gedichtes (I. 1: nach ut voluisti, S. 52) wurde sein Name wieder vergessen, und schon in der nächsten Zeile fehlt wieder ein Wort (I. 2: in nach quos, S. 52). Typografische Fehler sind ähnlich verbreitet: in Gedicht I. 6 (S. 52) steht z.B. quae anstelle von quas; in Gedicht II. 1 (S. 54) lectura anstelle von lecture; und in Gedicht III. 6 (S. 56) ispa anstelle von ipsa. Möglicherweise springen der vorgesehenen Leserschaft diese Fehler im lateinischen Text nicht so sehr ins Auge, die fehlende Sorgfalt bei der Textgestaltung im Deutschen - typografische Fehler sind dort leider ebenfalls verbreitet - wird sie jedoch mit Gewissheit bedauern.

Der Text des Pervigilium Veneris ist zum Glück besser; die Übersetzung vermag zudem, dank der stellenweise rhythmischen Gestaltung den lieblichen Takt des ursprünglichen Gedichts recht gut widerzugeben. Begleitet wird der lateinische Text von einem apparatus criticus, der leider sehr selektiv gestaltet und keinesfalls frei von Fehlern ist (z. B. n. 2 Vers 76, S. 74, wo die Hss. matrem überliefern, nicht patrem; der Name des Herausgebers der zitierten kritischen Ausgabe (Loffredo, 1998) ist Crescenzo Formicola, nicht Formicula). Die Notwendigkeit eines solchen apparatus criticus erscheint jedoch - gerade angesichts des anvisierten Zielpublikums - fraglich.

Die anschließenden Anmerkungen zu den Gedichten sind kurz und präzise. Die Ausführungen zu Bezugstexten, Themen und poetischen Bildern entsprechen in Auswahl und Darstellung den Bedürfnissen des intendierten Lesepublikums; zu Verständnisschwierigkeiten könnten allerdings die Diskussionen von textkritischen Problemen führen, auf die hin und wieder verwiesen wird (ohne jedoch die entsprechenden lateinischen Stellen zu übersetzen). Die Bibliographie ist ebenfalls kurz ausgefallen: Wenngleich der Nichtfachmann die Absenz der jüngsten Arbeiten zur Bissula und dem Pervigilium Veneris verschmerzen wird können, wird er die fehlenden bibliographischen Angaben zu den Vergleichstexten, die in den Einführungen und Anmerkungen angeführt werden, zweifellos vermissen (z.B. im Rahmen der Diskussion von T. S. Eliots Beschäftigung mit dem Pervigilium (S. 33) oder der Behandlung der Beziehung von Roths Das falsche Gewicht zu den Themen der Bissula (S. 27)).

Ein breiteres Lesepublikum wird von diesem Buch (vor allem seiner Einführung) und der Präsentation der Bissula und des Pervigilium Veneris, die der Autor zurecht "zwei besonders reizvolle Liebesgedichte" nennt, durchaus profitieren; diesem sei aber empfohlen, bei der Lektüre - gerade was die Sorgfalt hinsichtlich der Textgestaltung betrifft - ein Auge zuzudrücken.

Ludwig Boltzmann Institut für Neulateinische Studien, Innsbruck

William M. Barton
william.barton@neolatin.lbg.ac.at


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