Dieses kurze und hinsichtlich Produktion schlichte Bändchen enthält, wie sein Titel anzeigt, den Gedichtzyklus Bissula des Ausonius samt Widmungsbrief
sowie das anonyme Pervigilium Veneris. Der lateinische Text beider Werke wird von einer Vers-Übersetzung begleitet und durch kurze erläuternde Anmerkungen
ergänzt. Die großzügige Einleitung des Buches (S. 15-46) verortet diese Gedichte innerhalb ihres historischen und literarischen Kontextes (soweit
bekannt) und bietet dem Leser eine Interpretationshilfe. Der Autor gibt das Ziel seines Buches in diesen einleitenden Seiten klar an: "ein möglichst
breites Publikum an diese so außergewöhnliche Dichtung heranzuführen" (S. 14). Die Einleitung des Autors stellt den brauchbarsten Teil des Bändchens dar:
Die Kontextualisierung von Ausonius' Bissula-Zyklus und die Untersuchung der literarischen Mechanismen, die dort am Werk sind, sind für die vorgesehene
breitere Leserschaft sicherlich sehr hilfreich. Darüber hinaus ermöglicht der Vergleich mit späteren literarischen Behandlungen des Themas "Älterer
Mann mit (sehr) junger Frau" (S. 27-29) eine sinnvolle Positionierung dieses spätantiken Werkes innerhalb eines breiteren literarischen Rahmens. Gleiches
gilt für die Ausführungen zum Pervigilium Veneris, welches in Übereinstimmung mit der jüngsten Forschung als ein fiktionaler Text mit metapoetischer Pointe
(S. 35) gedeutet wird; der Autor distanziert sich dabei von früheren Deutungen des Gedichtes als historischer Fest-Hymne o.Ä. Die im Pervigilium evozierte
Stimmung wird mit ausdrucksvollen Momenten in verschiedenen musikalischen Werken (S. 37-38,39) und mit neueren literarischen Texten (S. 43-44) in Verbindung
gesetzt. Diese Gegenüberstellungen sind für einen interessierten Leser zweifellos bereichernd. Welchen Gewinn dieser jedoch aus den nicht übersetzten
lateinischen Passagen (S. 17-18) oder einem im Original zitierten Gedichts des japanischen Tendai-Mönchs Gyöson (Nr. 66 in Fujiwara no Teikas Ogura Hyakunin
Isshu) (S. 31) ziehen wird, ist schwer abzuschätzen. Der lateinische Text von Ausonius' Bissula ist, wie er im Band gedruckt ist, problematisch. In der
Transkription dieses ansonsten gut überlieferten Werkes sind zahlreiche Worte einfach ausgefallen: Bereits im Vorwort des an Axius
Paulus adressierten Zyklus ist der Name von Ausionus' Freund (S. 48, nach carissime) verschwunden. In der ersten Zeile des ersten Gedichtes (I. 1: nach
ut voluisti, S. 52) wurde sein Name wieder vergessen, und schon in der nächsten Zeile fehlt wieder ein Wort (I. 2: in nach quos, S. 52). Typografische Fehler
sind ähnlich verbreitet: in Gedicht I. 6 (S. 52) steht z.B. quae anstelle von quas; in Gedicht II. 1 (S. 54) lectura anstelle von lecture; und in Gedicht
III. 6 (S. 56) ispa anstelle von ipsa. Möglicherweise springen der vorgesehenen Leserschaft diese Fehler im lateinischen Text nicht so sehr ins Auge, die
fehlende Sorgfalt bei der Textgestaltung im Deutschen - typografische Fehler sind dort leider ebenfalls verbreitet - wird sie jedoch mit Gewissheit bedauern. Der Text des Pervigilium Veneris ist zum Glück besser; die Übersetzung vermag zudem, dank der stellenweise rhythmischen Gestaltung den lieblichen Takt des
ursprünglichen Gedichts recht gut widerzugeben. Begleitet wird der lateinische Text von einem apparatus criticus, der leider sehr selektiv gestaltet und
keinesfalls frei von Fehlern ist (z. B. n. 2 Vers 76, S. 74, wo die Hss. matrem überliefern, nicht patrem; der Name des Herausgebers der zitierten kritischen
Ausgabe (Loffredo, 1998) ist Crescenzo Formicola, nicht Formicula). Die Notwendigkeit eines solchen apparatus criticus erscheint jedoch - gerade angesichts
des anvisierten Zielpublikums - fraglich. Die anschließenden Anmerkungen zu den Gedichten sind kurz und präzise. Die Ausführungen zu Bezugstexten, Themen und poetischen Bildern entsprechen
in Auswahl und Darstellung den Bedürfnissen des intendierten Lesepublikums; zu Verständnisschwierigkeiten könnten allerdings die Diskussionen von textkritischen
Problemen führen, auf die hin und wieder verwiesen wird (ohne jedoch die entsprechenden lateinischen Stellen zu übersetzen). Die Bibliographie ist ebenfalls
kurz ausgefallen: Wenngleich der Nichtfachmann die Absenz der jüngsten Arbeiten zur Bissula und dem Pervigilium Veneris verschmerzen wird können, wird er die
fehlenden bibliographischen Angaben zu den Vergleichstexten, die in den Einführungen und Anmerkungen angeführt werden, zweifellos vermissen (z.B. im Rahmen der
Diskussion von T. S. Eliots Beschäftigung mit dem Pervigilium (S. 33) oder der Behandlung der Beziehung von Roths Das falsche Gewicht zu den Themen der Bissula (S. 27)). Ein breiteres Lesepublikum wird von diesem Buch (vor allem seiner Einführung) und der Präsentation der Bissula und des Pervigilium Veneris, die der Autor zurecht
"zwei besonders reizvolle Liebesgedichte" nennt, durchaus profitieren; diesem sei aber empfohlen, bei der Lektüre - gerade was die Sorgfalt hinsichtlich der
Textgestaltung betrifft - ein Auge zuzudrücken.
Copyright © 2017 by Verlag Traugott Bautz GmbH
William M. Barton
william.barton@neolatin.lbg.ac.at