Bernd Jaspert

Leid und Leiden

im Christentum

Rezension


Harte Proben für den Glauben

BERND JASPERT nimmt Leser mit auf eine Zeitreise christlicher Leidensgeschichte

Der christliche Glauben wirkt besonders dann, wenn Menschen leiden müssen, Wunder. Nicht selten ist dann schon das menschliche Miteinander und somit Teilen des Leids am Kranken- oder Sterbebett der berühmte Silberstreifen am Horizont.

Es besteht kein Zweifel: Gott gibt Menschen, auf ihrem langen Weg immer wieder Kraft, selbst in ausweglos erscheinenden Situationen nicht mutlos zu werden. Sein nicht selten empfundenes Fernbleiben bei Menschen, die sich mit dem Verdikt des Todes ausgegrenzt sowie einsam und verlassen fühlen, streut bei Betroffenen nicht selten jedoch auch Zweifel. Ihr Glaube steht dann vor einer harten Bewährungsprobe.

Der in der Rhön - genauer in Tann - lebende evangelische Theologe und Buchautor Dr. Bernd Jaspert (73) weiß, dass über Leid und Leiden nicht gern gesprochen wird. In seinem jüngsten Werk mit dem Titel "Leid und Leiden im Christentum" geht es darum, wie das Christentum in seiner langen Geschichte beide Aspekte verstand: Leid und Leiden. Wie in seinen bisherigen Werken hat Jaspert, der unter anderem Kirchengeschichte lehrte und in der Seelsorge tätig war, akribisch recherchierte, Literatur gewälzt und gekonnt Geschichte mit Gegenwart verknüpft.

Das im Mai dieses Jahres in dem auf Wissenschaftsthemen spezialisierten Verlag Traugott Bautz (Nordthüringen) erschienene Buch lässt in sieben Kapiteln über zwei Jahrtausende Revue passieren - vom frühen Christentum über das Mittelalter bis hinein in die Gegenwart. Indem sich Jaspert gedanklich stellenweise selbst in den Kopf und die Denkweise Leidender begibt, erfahren wir auf den 98 Seiten auch viel Persönliches vom Autor selbst - und das macht das Buch authentisch. Es ist per se auch für Menschen, die trauern, von Nutzen. Schließlich ist Trauern über den drohenden oder bereits geschehenen Verlust eines geliebten Menschen eine der leidvollsten Erfahrungen schlechthin.

Im Laufe der Kirchengeschichte, schickt der Autor gleich zu Beginn voraus, hätten viele Menschen gelitten - sei es unter Schmerzen und Krankheiten, sei es wegen des Todes eines Mitmenschen oder sei es unter der Kirche oder dem Staat. Aus Sicht von Jaspert habe keiner eine so treffende Formulierung gefunden wie Heinrich Seuse (1295 oder 1297 - 25. Januar 1366). Jaspert zitiert den in der katholischen Kirche als Seligen Verehrten mit den Worten: "Ein Mensch der nicht gelitten hat, was weiß der?" Damit sei klar gewesen, dass sich jeder Christ an dem leidenden Jesus Christus zu orientieren hätte.

Äußerst ambitioniert erscheint, dass sich Jaspert an ein Thema wagt, nämlich das theologische Problem der sogenannten "Theodizee", sprich Rechtfertigung Gottes angesichts des Leids. Es behandelt die Frage, inwiefern ein liebender, allgütiger Gott mit der Existenz des Bösen und des Leids vereinbar ist. So fragen auch in der Gegenwart Menschen insbesondere bei schlimmen Verbrechen, Katastrophen und unheilbaren Krankheiten wie Krebs immer wieder: Warum trifft es ausgerechnet mich? Meine Angehörigen? Warum gibt es Leid und Böses in der Welt, warum so viel?

Vor dem Hintergrund eines "neuen Atheismus", so eine der Kernforderungen Jasperts, "muss die Frage nach dem Sinn von Leid und Leiden in der Welt heute ganz neu gestellt werden". Unter Hinweis auf eine starke Bewegung in verschiedenen Ländern Europas und Nordamerikas sei zudem zu fragen, wie und wozu Tiere leiden mussten. Die christliche Theologie habe darauf bis heute kaum eine Antwort, konstatiert Jaspert. Die Frage nach der Herkunft und dem Sinn von Leid und Leiden der Menschen werden umso mehr "ungeschönter und lauter gestellt als früher". Jaspert begibt sich nicht aufs Glatteis, indem er etwaige mögliche Antworten auf die wohl größten philosophischen und theologischen Fragen dieser Welt andeutet oder gar frei Haus liefert. So sei nicht nur das Leiden, sondern auch "das Beste im Leben und im Sterben" immer etwas ganz Persönliches, Unverwechselbares. "Hier ist nichts vergleichbar mit dem, was ein anderer Mensch in seiner Krankheit, seinem Leiden und Sterben erlebt."

Jaspert erkennt aus den Berichten zahlreicher Schwerkranker - zu finden etwa in Tagebüchern von Krebspatienten - eine wichtige Gemeinsamkeit. Um mit einer Rest-Lebensqualität leben und friedlich und hoffnungsvoll sterben zu können, müsse das Leiden, das man habe, akzeptiert und das Beste daraus gemacht werden. So unterschiedlich wie Menschen seien, so verschieden fielen auch die Antworten auf die Frage, was denn das Beste sei, aus.

Akut Leidende, so Jaspert, wollen vor allem so ernst genommen werden, wie sie sind - wenig hilfreich sei, ihr Leiden oder ihre Symptome mit denen anderer Menschen aus früheren Zeiten zu vergleichen. In der Gegenwart über Leid und Leiden zu sprechen, heiße, "die leidenden Menschen im Mittelpunkt zu sehen und sie erst zu nehmen mit dem, was sie durchmachen".

Jaspert warnt unterdessen davor, Ratschläge zu erteilen, die Betroffenen fremd vorkämen und die sie nicht brauchen könnten. Viel wichtiger sei, ihnen in jeder Hinsicht so gut beizustehen, wie es geht.

Für Autor Bernd Jaspert zeigt sich anhand der überlieferten Berichte aus der Vergangenheit schlussendlich, dass Christen aller Jahrhunderte ihr Leid und Leiden mit Blick auf die Passion Jesu Christi bewältigen und Gott als einen liebenden, gnädigen Herrn akzeptieren könnten. Jaspert stimmt mit dem evangelisch-lutherischen Theologen und Neutestamentler Ernst Käsemann (1906 - 1998), den die Wochenzeitung "Die Zeit" in einem Bericht einmal als "Partisan unter Protestanten" bezeichnet hatte, in einem wesentlichen Punkt überein. Nämlich, "dass Jesus unser Maß sei und nicht Kirchen, Dogmen und fromme Menschen". Es gelte, wieder zu fragen: Wer ist Jesus?

Mirko Luis


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