SULPICIAE ELEGIDIA

Text, Übersetzung, Einleitung und Anmerkungen
von Hans-Christian Günther

Studia Classica et Mediaevalia, Band 13

Rezension


In einem kleinen, in sehr großzügigem Format gedruckten Bändchen legt Hans-Christian Günther die sechs Elegien der Sulpicia, den ältesten Teil der "Appendix Tibulliana", mit deutscher Nachdichtung und kurzem Kommentar vor. Das Bändchen versteht sich als Handreichung für ein breiteres Publikum.

Günther verfolgt mit seiner Ausgabe erklärtermaßen keinen wissenschaftlichen Anspruch (11). Insofern aber dem Text ein "Apparatus criticus" beigegeben ist, wird man ihn doch als kritische Ausgabe bewerten dürfen.

In 1 (IV 8) V. 6 wird Heynes in den Text gesetzter Vorschlag unrichtig wiedergegeben mit "Non tempestivam sic properare viae" (natürlich muss es "viam" heißen). Eine Alternative zu diesem etwas schwerfällig anschließenden epexegetischen Infinitiv wäre, den Vokativ "nimium Messalla mei studiose" fortzuführen mit "Nec tempestivae (= Et intempestivae) saepe †propinque† viae" etwa in dem Sinne "et qui saepe intempestivam viam mihi suades" (frei nach Scaliger).

Bezüglich V. 8 bin ich nicht sicher, ob das "quamvis" der Hauptüberlieferung nicht zu halten ist in dem Sinne "Hier (in Rom) lasse ich, von Dir (Messalla) fortgeführt, mein Gemüt und meinen Sinn, wie sehr Du mich auch nicht nach meinem Gutdünken verfahren (d.h. hierbleiben) lässt". Günther druckt wie Tränkle mit codd. recc. "quoniam statt quamvis"; sprachlich ist "quamvis" mit Indikativ ohne Anstoß. Weitergehende kritische Erwägung ist vielleicht in 2 (IV 9) angebracht:

"Scis iter ex animo sublatum triste puellae? Natali Romae iam licet esse tuae. Omnibus ille dies nobis genialis agatur, Qui necopinata nunc tibi forte venit."

In V. 2 ist "tuae" ("tuo" codd.) sicher die beste Lösung. In V. 4 folgt Günther wohl der Argumentation von Tränkle, der "necopinata" (Heyne) für überliefertes "necopinanti" für nötig hält, "weil nur so "forte" als modaler Ablativ empfunden wird", obwohl "necopinatus" (anders als überliefertes "necopinans") in der Dichtung nirgends belegt ist. In der Tat befriedigt alleinstehendes "forte" i.q. "zufällig" nicht, so dass man wohl besser nur der zweiten Hälfte von Heynes Konjektur "necopinata … sorte" folgt: Die gemeinsame fröhliche Geburtstagsfeier kommt nun "sorte", d.i. aus schicksalhafter Bestimmung (in dem Sinne, dass sie Sulpicias leidenschaftliche Liebe vorwärtsbringen soll) zu dem noch ahnungslosen Cerinthus: "Qui necopinanti nunc tibi sorte venit".

In V. 3 folgt Günther den codd. recc., die "genialis" für "natalis" in der Hauptüberlieferung bieten. Wenn man dagegen die an sich nicht zu beanstandende Wortaufnahme "ille dies … natalis" akzeptiert,könnte man das gesuchte Prädikativum in dem Sinne "voller Freude" (das nach Tränkle in der Recentiores-Variante "genialis" bestehen soll) hinter dem befremdlich störenden "Omnibus" ("von uns allen", "d.h. im Kreise unserer Verwandtschaft"?) suchen, welches es unmöglich macht, "nobis" im Sinne feierlicher Zweisamkeit zu verstehen:

"Candidus ille dies nobis natalis agatur, Qui necopinanti nunc tibi sorte venit."

"Ungetrübt (Spitzenstellung!) soll von uns (beiden) jener Geburtstag verbracht werden, der jetzt zu Dir, der Du noch nichts davon ahnst, bestimmungsgemäß kommt." Dass Sulpicia die heranrückende ungetrübte Geburtstagsfeier als schicksalsbestimmt ansieht, passt gut dazu, dass sie sich bereits optimistisch gegenüber Cerinthus als "tua" bezeichnet.

In 3 (IV 10, 1f.) scheint in der nicht ganz luziden Nachdichtung das durch Voranstellung vor "ne" betonte "subito" allzu wenig berücksichtigt ("Es ist mir angenehm, dass Du in Deiner Sorglosigkeit Dir "jetzt schon" Vieles in bezug auf mich erlaubst, damit ich nicht etwa "plötzlich unerwartet" als Törichte übel zu Fall komme"; dabei ist wohl an den Fehler gedacht, den Sulpicia durch eine längerfristige Verbindung mit dem inferioren Cerinthus machen würde, wie Tränkle z.St. ausführt). In V. 6 ist vielleicht doch die eine grammatische Konstruktion erleichternde alte Humanistenkonjektur "cura" statt "causa" zu erwägen.

Wo Günther in der Einleitung von Tränkle abweicht, tut er das nicht zum Vorteil. Wenn etwa S. 16 gemutmaßt wird, Sulpicia sei noch "unter 20" Jahren, so ist das kaum vereinbar mit 5 (IV 12), 3 "Si - quicquam tota commisi stulta iuventa"; eine 18jährige kann kaum in dieser Form auf ihre gesamte "iuventa", die bis etwa ins 40. Lebensjahr währt, umfassend zurückblicken.

Auf S. 22f. ist mehrfach "Sulpicia" zu "Suplicia" verschrieben. Auf sonstige, nicht ganz seltene Druckversehen ist hier nicht einzugehen.

Vielleicht hätte es sich in dem Bändchen in Anbetracht der Zielsetzung Günthers eher empfohlen, sich an eine etablierte Textausgabe anzuschließen (dann möglichst ohne Übertragungsfehler).

Thomas Gärtner - Köln


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