Jakob B. Drobnik

"Neuer Mensch."

Christozentrischer Personalismus bei Johannes Paul II.

Rezension


Dem Autor der vorliegenden Arbeit geht es um die Betonung des Menschen als Ausgangspunkt der theologischen Reflexion in der Verkündigung Johannes Paul II, eine Betonung, die sich der Rezeption phänomenologischer Methodik in der philosophischen Hermeneutik Karol Wojtylas verdankt und die bis in die lehramtliche Verkündigung des späteren Papstes Johannes Paul II hinein ausstrahlt.

Das Interesse am Menschen hat im Denken des Papstes gleichwohl seine Wurzel in der Beziehung des Menschen zu Gott, die im Sinne phänomenologischer Beschreibung menschlicher Intentionalität als transzendente Ausrichtung immer schon präsent ist.

Die ethische Konzentration des theologischen Ansatzes und damit auch eine anthropologische Akzentuierung, die hinter der Verkündigung Johannes Pauls II steht, muss in diesem Sinne immer als Teil einer Gesamtkonzeption verstanden werden, welche die ethischen Aussagen und Implikationen umgeben.

Methodologisch versucht die Arbeit zwischen der philosophischen Wurzel im Denken des Hochschullehrers und Moraltheologen Karol Wojtylas und der späteren theologischen Entfaltung der lehramtlichen Verkündigung Johannes Paul II streng zu unterscheiden.

"Es gibt … signifikante Unterschiede zwischen der Philosophie und Theologie Karol Wojtylas vor und während seines Pontifikats. Diese erklären sich nicht durch eine vermemtlich andere Person (diese ist ja gleichgebheben), sondern eine andere Verantwortung und Problembewältigung. So wird Karol Wojtyla vor und nach seiner Papstwahl nicht nur auf einer gänzlich anderen Ebene arbeiten, sondern auch mit anderen Methoden und Mitteln." (19)

Eine entscheidende hermeneutische Voraussetzung und analytisch basale Differenzierung bildet die terminologische und philosophisch-strukturelle Unterscheidung zwischen einer Sphäre des ontologischen Verständnisses des Menschen, das mit den Wesensaussagen der traditionellen Naturrechtslehre identifiziert wird, und seiner ontischen Auffassung. Im Sinne der Ausdrucksweise ist mit dieser zweiten Ebene die notwendige personale Entfaltung der Wesensdimension menschlicher Verfasstheit im konkreten leib-seelischen Personvollzug, also in der realen Verwirklichung menschlicher Existenz durch ihre freie und ganzheitliche Aktuierung in der Interpretation umfassender phänomenologischer Beschreibung angesprochen.

"Von wesentlicher Bedeutung für die vorliegende Arbeit sind die Begriffe des ontologischen Seins und des ontischen Daseins. Beide Begriffe werden hier phänomenologisch verstanden. Entsprechend wird unter dem ontologischen Sein des Menschen, sein Wesen, also seine menschliche Natur, verstanden. Es geht dabei um die gesamte somatische, psychische und pneumatische Beschaffenheit des menschlichen Wesens, also um seine äußere und innere Gestalt." (21)

Es ist diese Spannung, welche sich an die fundamentalontologische und existenzialistische Ausdrucksweise Heideggers anlehnt, die die Hermeneutik mit einem nicht zu überspringenden Akzent der Ernstnahme des ganzen Lebensvollzuges des Menschen ausstattet und welche die theologische Ordnung der transzendenten Intentionalität des Menschen, die vor allem die spätere Lehrverkündigung des Papstes prägen wird, unübersehbar fundiert.

Der Autor versucht deshalb im ersten Teil (25-132) zu zeigen, dass das Verständnis theologischer Reflexion bei Wojtyla durch den familiären und politisch-ideologischen Kontext, d.h. durch die Prägung des Elternhauses und die Auseinandersetzung mit den totalitären Regimen des Nationalsozialismus und Kommunismus, von Anfang an seine auf die Eigenständigkeit konkreter menschlicher Selbsterfahrung gerichtete Charakteristik empfängt.

So wird deutlich, dass für das Denken Wojtylas die theologisch-traditionelle Lehre vom Menschen auf dem Hintergrund der Scholastik (hier vor allem mit Thomas von Aquin als Gewährsmann) über den Gedanken des Naturrechts hinaus weit ausgezogen werden muss und die theologische Deutung erst in der ganzheitlichen Verwirklichung des Menschen in der Tat im Sinne der phänomenologischen Betrachtungsweise die konkrete Realisation menschlicher Daseinsweise zu Gesicht bekommt.

Phänomenologisch gesehen ist sich der Mensch in der Selbsterfahrung in einer gegenüber der traditionellen Wesensontologie viel konkreteren Weise zugänglich und ethisch aufgegeben, als es die alte Moraltheologie formulieren und bedenken konnte.

"Es ist die phänomenologische Methode, die den ethischen Arbeiten ein Merkmal empirischer Erfahrung gibt und sie den Erlebnissen eines konkreten Menschen nähert, wodurch sie wiederum erlaubt, das ethische Leben von der Seite seiner Erscheinungen her zu erforschen." (110)

Die Arbeit kann zeigen, wie die grundlegende Spannung einer solchen Auffassung in der Zuordnung zwischen den Ebenen des Geisteslebens, d.h. des Glaubens und der Vernunft, bei Johannes vom Kreuz begründet ist. Ja, wie die Auseinandersetzung Wojtylas mit Max Scheler zu einer differenzierten Aufnahme seiner wertintuitionistischen Methode (in kritischer Auseinandersetzung und Abgrenzung zu ihr bzw. in ausdrücklicher Aufnahme ihrer personalen Elemente) führt, so dass der Mensch als Subjekt auch für das theologische Verständnis erst in einer originären Form zugänglich wird.

Und mit einem solchen Zugang ist zum Ausdruck gebracht, dass der Mensch in seinem ganz konkreten menschlichen Vollzug auch für die theologische Interpretation und ihre Verstehensweisen unbedingt bedeutsam wird.

"Das intentionale und emotionale Erkennen (bzw. Fühlen), das dem Menschen gegeben ist, weist auf den praktischen, ergo sittlichen Vollzug seines Daseins hin. Danach muss der Mensch in der Summe seiner Erfahrungen und seines Erkennens wahrgenommen werden, also mit allem, was ihn ausmacht, bedingt und beeinflusst." (112)

Die Analyse stellt auf diesem Hintergrund dar, wie diese im Kontext polnischer Theologie ganz eigene theologische Lesart der "anthropologischen Wende" im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils Wojtyla auch für "westliche" Theologen faszinierend gemacht hat. Die Phänomenologie repräsentiert durch Max Scheler rückt hier deshalb in den Vordergrund, da sie das Phänomen der Erfahrung als mögliches, jedoch nicht determinierendes Kriterium der menschlichen Entscheidungsakte erfasst und eben diese Erfahrung spielt sowohl für Karol Wojtyla als auch Johannes Paul II. eine fundamentale Rolle. Es ist diese Erfahrungsbezogenheit, welche Johannes Paul II. in seiner Verkündigung immer eine große Nähe zum Menschen und seines ganz alltäglichen Lebens hat bewahren lassen.

Teil II des Werkes (133-340) versucht von dieser philosophischen Grundlage aus in konsequenter Perspektive zu entwickeln, wie die lehramtliche Verkündigung bei Johannes Paul II., nun als Papst, die Dimension des Menschen immer als eine eigenständige Grunddimension zum Ausgangspunkt der theologischen Interpretationen bis in unterschiedliche Dimensionen hinein gemacht hat.

In der Unterscheidung zwischen den Begriffen "Determination" und "Bedingtheit" möchte die Skizze zunächst verdeutlichen, wie radikal die menschliche Seite mit ihren vielfältigen Erfahrungsinhalten zur Voraussetzung der Lehre wird ("Determination des Menschseins" 205-255). Die menschliche Bedingtheit der gleichwohl immer gegebenen theologischen Ausrichtung des Menschen erweist sich nach dieser Forschung im Werk Johannes Pauls II geradezu als Fundament des Zugangs zur Erfahrung Gottes.

Die Analyse der Arbeit zeigt, wie vom Papst der Begriff "Determination" "anstelle der Bedingtheit" (141) verwendet wird. Sie markiert diesen erstaunlichen Gebrauch eines Ausdrucks als außergewöhnlich - eines Ausdrucks, der alltagssprachlich im Sinne strenger Kausalität aufgefasst werden muss, im Kontext der päpstlichen Sprache jedoch im terminologischen Sinn der Bedingtheit zu deuten ist. D.h.: Gerade im Sinne dieser Bedingtheit des Menschen hält die Untersuchung im Denken Johannes Pauls II fest, dass nach seinem Verständnis der Mensch, bevor er "an die Transzendenz denken oder glauben kann", "in der Immanenz existieren" muss., "Daraus ergibt sich der wichtige Rückschluss, nämlich dass der Mensch die Transzendenz von der Immanenz aus erfasst..." (144)

Als grundlegende Struktur gerade auch der Lehrverkündigung des Papstes wird deshalb genau diese Bewegungsrichtung anschaulich:

"Gesagt wurde bereits, dass Immanenz und Transzendenz einander ausschließen. Diese Ausschließung ist zwar durchaus eine reale, doch andererseits besteht zwischen ihnen eine innige und wesentliche Verbindung. Sie bezieht sich darauf, dass für den Menschen die immanente Wirklichkeit sui generis den Ansatz zur transzendenten Wirklichkeit darstellt und die transzendente die Erfüllung und quais (sic!) Vollkommenheit der immanenten ist." (143f)

Und so wird das Geschehen der Inkarnation ("Determination seitens der Immanenz" 146-174), der bleibenden Präsenz Gottes im Heiligen Geist, ja die Erfüllung des Menschen im Eschaton als theologische Würdigung der "übernatürlichen" Ziele des Menschen im Einklang mit seiner menschlichen Verfasstheit beschrieben ("Determination seitens der Transzendenz" 174-182). Was phänomenologisch als objektive Intentionalität der personalen Ganzheit im Menschen zwischen Leib und Geist, seiner individuellen Freiheit als Person und Subjekt - ein Subjekt, das immer schon auf Gemeinschaft und Transzendenz bezogen ist - verständlich wird, zeigt sich hier schließlich als Erfüllung menschlicher Freiheit ("Die Bedeutung der Freiheit für das Menschsein" 183-264). In der Nachfolge Christi als konkreter Erfahrung dieser Erfüllung des Menschlichen in seiner transzendenten Offenheit, in der Einheit und Vollendung des Menschen und seiner Bezogenheit auf Gott im Gottmenschen Jesus werden deshalb die fundamentalen anthropologischen Kategorien der Grundentscheidung (optio fundamentalis), der Sünde und des Gewissens verständlich ("Die Nachfolge als Ausdruck wahrer Freiheit und Realisation des Menschseins" 212-235).

Weil der Mensch im Gottmenschen Jesus ganz angenommen ist und in seine Fülle kommt, vermag er auch von hier erst seine eigene Verantwortung in ihrem Sinn zu erfassen.

So wird in der detailreichen Beschreibung der Arbeit die enge, ja geradezu "intime" Verknüpfung zwischen dem christologischen Dogma und der christlichen Ethik im Denken des Papstes überaus deutlich:

"Nachfolge Christi ist nicht eine äußerliche Nachahmung, denn sie berührt den Menschen in seinem tiefsten Inneren. Jünger Christi zu sein bedeutet ihm gleich geworden zu sein, ihm, der sich zum Knecht gemacht hat bis zur Selbsthingabe am Kreuz (vgl. Phil 2.5-8). Durch den Glauben wohnt Christus im Herzen des Glaubenden (vgl. Eph 3.17). Und so wird der Jünger seinem Herrn angeglichen und gleichgestaltet. Das ist die Frucht der Gnade, der wirksamen Anwesenheit des Heiligen Geistes in uns" (Veritatis splendor Nr. 21, zitiert auf S.228f der Arbeit)

Am Ende kann die Untersuchung die anthropologisch-theologische Spannung, die in der Gottheit und Menschheit Jesu hermeneutisch erschlossen wird, für den konkreten Vollzug menschlicher Person in ihrer ethischen Bedeutung im Sinne der dreifachen Relation des Menschen zu sich selbst, zu den anderen und zu Gott aufschließen. Sie steht danach als eine theologisch-phänomenologisch begründete ethische Interpretation im Hintergrund der Lehrverkündigung Johannes Paul II. ("Der Mensch als Wesen der Beziehung" 264-324).

Und die Schlussfolgerungen versuchen dieses Ergebnis in einem eigenen Reflexionsgang zu sichern (325-340), der in einer letzten These zur ethisch bedeutsamen Auffassung von der theologisch begründeten Menschenwürde gipfelt.

"Der menschlichen Würde entspricht die Nachfolge Christi und die Realisation der Inkarnation im sittlich guten Handeln. In ihr kommt die menschliche Würde zu ihrem höchsten Ausdruck, weil die Person des Menschen zum Ausdruck kommt, eben durch ihre wahre Realisation, die nur in Christus und auf Christus hin stattfinden kann. Auf diese Weise findet auch die endgültige Begründung des Menschen allein in Christus statt, als Gott und Menschen (sic!), in einer Person." (339f)

Es ist eine anspruchsvolle These, welche die Arbeit zu belegen vermag: Wie sehr die philosophische Zugangsweise die Berücksichtigung der menschlichen "Bedingtheit" (Determination) christlicher Glaubenserfahrung in die Verkündigung des Papstes aus der Auseinandersetzung mit der Phänomenologie im Sinne einer ganzheitlichen Beschreibung des Menschen als Person in das Denken implementiert hat. Dabei hilft die Phänomenologie in der doppelten Spannung: Subjektivität als integrales "personales Bewusstsein" gegenüber dem Transzendentalismus Kants mit einer Intentionalität beschreiben zu können, in der zugleich leibliche Gebundenheit und Verwiesenheit in Interpersonalität sowie in Transzendenzbezug immer schon ursprünglich mit der Deutung des Menschen verbunden sind. Ja, auf diesem Hintergrund kann der Autor zeigen, wie der Papst tatsächlich einen sehr konkreten Ansatz beim Menschen in seiner innerweltlichen Immanenz nehmen möchte (was ihn offensichtlich auch im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils für westliche Theologen zu einem echten Gesprächspartner aus der polnischen Kirche gemacht hat, unbeschadet seiner späteren wieder stärker theologisch akzentuierten Position und Lehrverkündigung).

Josef Römelt


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