Peter Volek (Hg.)

Husserl und Thomas von Aquin bei Edith Stein

AD FONTES
STUDIEN ZUR FRÜHEN PHÄNOMENOLOGIE Band 2

Rezension


Das Interesse am Leben und am Werk von Edith Stein - Sr. Teresia Benedicta vom Kreuz OCD - wächst ständig, besonders seitdem sie durch Papst Johannes Paul II. im Jahre 1987 selig-, dann 1998 heiliggesprochen und 1999 zur Mitpatronin Europas erhoben wurde.

Edith Stein ist weltanschaulich einen ungewöhnlichen Weg gegangen. Er beginnt am 12. Oktober 1891 in Breslau in einer jüdischen Familie, führt über ein Psychologiestudium an der Breslauer Universität, wo sie sich zum Atheismus bekennt, und ein Philosophiestudium bei Edmund Husserl zur Promotion mit "summa cum laude" mit der Arbeit "Zum Problem der Einfühlung". Hierbei "berührt" sie philosophisch, theoretisch die Problematik des Glaubens. Während ihrer Arbeit als Lehrerin, konvertiert sie zum Christentum und lässt sich am 1. Februar 1921 die katholische Taufe spenden. Am 13. Oktober 1933 tritt sie in den Karmelitinnenorden ein, wo sie Werke im Geiste der Philosophie des Thomas von Aquin und über Mystik des Johannes vom Kreuz schrieb. Ihr Lebensweg endet am 9. August 1942 in Auschwitz-Birkenau mit der Ermordung in der Gaskammer durch die Nationalsozialisten.

Edith Steins philosophisches Denken hat einen starken Einfluss auf ihr Leben. Wie im Falle von Sokrates können wir von einem ethischen Intellektualismus sprechen: die entdeckte Wahrheit wird sofort in ihr Leben inkarniert, und auf diese Weise bereichertes Leben stellt ihr weitere philosophische Fragen. Die Entwicklung der Philosophie von Stein, von phänomenologischen, durch die aristotelisch-thomistische bis hin zur mystischen Phase ist nur in Verbindung mit ihrem Leben zu verstehen und zu erklären.

"Husserl und Thoms von Aquin bei Edith Stein" - so lautet der Titel der Konferenz, die an der Katholischen Universität in Ružemberok in der Slowakei durch Prof. Peter Volek, aus Anlass des 120. Geburtstages organisiert wurde. Stein hat zu einem nächtlichen Gespräch, zu einer Debatte über die Philosophie, Thomas von Aquin, als Vertreter des altertümlich-mittelalterlichen Denkens, und Husserl, als Repräsentant des modern-gegenwärtigen Diskurses eingeladen. Sie hat sich auf dieses Gespräch jahrelang vorbereitet. Sie gesteht Petrus Wintraht OSB, Professor für Philosophie: "Ich bin ja als ein Neuling in der Scholastik (wenn auch nicht in der Philosophie) daran gegangen, um mit Thomas vertraut zu werden. Dass das Werk fertig wurde und immerhin - trotz aller Mängel - so wurde, wie es ist, betrachte ich fast als ein Wunder." Die Gelegenheit, sich mit der Scholastik vertraut zu machen und auch zu arbeiten, hat sich - so kann man es wohl sagen - aus den Bedürfnissen der Zeit, die Stein zu ihren eigenen Bedürfnissen macht, ergeben. Es war an der Zeit, die Gedanken des hl. Thomas so darzustellen, dass diese Darstellung in der modernen Sprache verfasst, die thomistischen Gedanken nicht verfälscht. Es ging darum, das Interesse der Leser an Thomas` Lehre zu wecken, also nicht um die "wörtliche" Übersetzung, sondern um Übertragen seiner Philosophie in die Gegenwart. Keiner könnte dies besser als Stein - Erich Przywara SJ war sich dessen vollkommen bewusst. Er hat über dieses Projekt mit Stein im Jahre 1925 gesprochen. Erworbenes Wissen benutzt sie später in den Arbeiten - als Habilitationsschrift gedacht - "Potenz und Akt. Studien zu einer Philosophie des Seins" (1931) und "Endliches und Ewiges Sein. Versuch eines Aufstiegs zum Sinn des Sein" (1936).

Zum 70. Geburtstag Husserls verfasst sie einen größeren Artikel, dessen erste Version im Dialog geschrieben war, "Husserls Phänomenologie und Philosophie des hl. Thomas von Aquin" (1929). Darin versucht sie, die wesentlichen Momente - Ähnlichkeiten oder Unterschiede und Möglichkeiten der zukünftigen Arbeit - zu zeigen. Sie analysiert sechs Themen und ist überzeugt, dass die Zusammenarbeit des mittelalterlichen und gegenwärtigen Denkens zur Verbreitung und Vertiefung der Problematik des Seins und des Menschen führt. Der Titel des besprochenen Buches knüpft an diese nächtliche Begegnung Husserls mit Thomas bei Stein an. Soweit diese allgemeine Einführung.

Volek sammelt in dem Band zehn Vorträge aus seiner Konferenz. Es sind Arbeiten, geschrieben von Philosophen aus Deutschland: H.-B. Gerl-Falkovitz, R. Raschke; Italien: Fr. Alfieri OFM, Chr. Betschaft OCD; Österreich: E. Donabaum; Ungarn: A. Jani, J. Kormos; Slowenien: B. Simonic; Slowakei: J. Uram, P. Volek. Alle Beiträge kann man in folgende Problematik gruppieren: a) Steins philosophischer Weg von der Einfühlung, durch die Intuition des realen Seins, bis zur mystischen Vermählung, b) Steins Versuche das "principium individuationis" zu klären, c) Steins Erbe für die moderne Pädagogik.

Das Buch, das in der Reihe "Ad Fontes" erschien, ist allgemein ein wichtiger Beitrag für die Geschichte und das gegenwärtige Leben der Phänomenologie, besonders für das moderne Denken, das in Steins Werken viele Inspirationen finden kann.

Jerzy Machnacz


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