Gabriel von Wendt

Existenz und Bestimmung

"Das Werden des Menschen im Denken Romano Guardinis"

libri virides Band 24

Rezension


Die 2015 vom Päpstlichen Athenäum Regina Apostolorum (Rom) angenommene Lizentiatsarbeit erscheint in einer Reihe, die das Institut für Philosophie in der Fakultät für Humanwissenschaften der Prager Karls-Universität herausgibt.

1. Nach dem Motto (Mt 16,25) beginnt die Schrift mit einer Frage Guardinis (= G.): "Wie weit kann die Grenze des Menschlichen hinausgeschoben werden?" (Ethik). Eine Antwort, G. hat keine formuliert, will v. Wendt (= W.) aus seiner G.-Lektüre gewinnen (9: Schraffur? 66: schraffiert?): phänomenologisch (nach G.s Existenz-Untersuchungen), hermeneutisch (Thematische Lehrstücke), dialogisch (G. über große Gestalten). Ihren "Kern" bilden drei Gegensatzpaare (die Kenntnis von G.s Gegensatzlehre setzt W. voraus): Wandel und Selbigkeit, Außen und Innen, Freiheit und Bestimmung. - 2. W.s knapp zusammengefasste Phänomenologie stützt sich auf Die Lebensalter, Die Grundlegung der Bildungslehre, Die Begegnung, Der Weg zum Mensch-Werden: Aufbruch und Risiko, Krisen, Immanenz und Konfrontation mit dem Außen bis zum übernatürlichen Element des Glaubens an Gott. - 3. Für die Hermeneutik des Erblickten zieht W. zusätzlich Welt und Person, Der Mensch (L'uomo) und Freiheit - Gnade - Schicksal heran, um die drei Gegensatzpaare in ihrer Spannungseinheit vorzustellen. (,‚Der dialogische Teil der Untersuchung anhand der Werke über Denkergestalten gehört in den hier nicht vorliegenden Teil ..." [38]) - 4. Werden und Gegensatz. "Transzendental vollzieht sich das Werden als Gegensätzlichkeit von Einheit und Mannigfaltigkeit bzw. von Verwandtschaft und Besonderung. Kategorial äußert sich dies im lebendigen Werden als Gegensätzlichkeit von Fülle und Form, Immanenz und Transzendenz und letztlich auch aller anderen kategorialen Gegensatzpaare" (72). Das geistige Werden begegnet als Maß und Rhythmus, in Intersubjektivität, Freiheit und Teleologie. "Erneut zeigt sich, dass die intersubjektive Dimension, das auf-das-Du-hin-Sein die Bestimmung des Menschen offenbart" (78). - 5. Ergebnis und Ausblick. Ergebnis: Der Mensch bringt Freiheit und Bestimmung überein; in Begegnung mit der Umwelt; er wandelt sich, ohne jemand anderer zu werden; nötig ist die Wandlung, um mehr er selbst zu werden; Egozentrik und Alterozentrik implizieren einander. Im Ausblick nur kommt die Dialogik zur Sprache: gegenüber den Extremen Existentialismus und Determinismus ("entscheidend möglich" "durch die Kirche alsgeistigen Ort"[84]).

Nicht zeigen konnte dies Referat Ausmaß und Niveau eines methodologischen Bewusstseins, dessen Wachheit in einer Lizenziatsarbeit überrascht. - Zu einem sprachlichen Vorschlag indes sieht der Rez. sich genötigt (im Blick auf W.s Weiterarbeit am Thema). Ich gehe vom vorletzten Satz aus (90): "Er wandelt sich, bleibt aber er selbst." Was soll das ,aber'? Sich wandeln kann der Mensch einzig als derselbe; sonst würde er abgelöst, ersetzt. Das erste "Gegensatz"-Paar steht ganz anders zueinander als die beiden folgenden. So ist (49) Von Substanz und Akzidens die Rede; und auch bei Einbezug (72) des wesentlichen Wandels (bei mir: "ich ändere mich" [anders werdend, statt ein anderer zu werden]) bleibt das Problem. Wäre Selbigkeit wirklich nur Form gegenüber dem Wandel als Fülle? Passender (48), "die gültige Formel?", scheint mir): "Wandel und Konstanz". G.s "Selbigkeit" ist nicht der Name für einen Pol, sondern für das bipolare Ganze-Eine.

J. Splett


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