Menno Aden (Hg.)

Die Reformation und das
Augsburger Bekenntnis von 1530

nach heutigen Predigten kommentiert

Rezension


Menno Aden legt nach dem 2008 erschienenen Text "Christlicher Glaube - Darstellung der Grundlagen und Kommentar zum Apostolischen Glaubensbekenntnis", das der Rezensent in der "Neuen Juristischen Wochenschrift", einer Fachzeitschrift für Juristen, bereits besprochen hatte, nunmehr sein neues Buch über die "Confessio Augustana" (CA) vor. Im Stil und im ductus des Vorhabens steht es in der Linie des kommentierten Apostolischen Glaubensbekenntnisses, so dass man wegen des verwandten Grundtons ohne Weiteres auf jene Besprechung hätte verweisen können. Angesichts der bevorstehenden Reformationsfeierlichkeiten im Jahre 2017 soll dieses Werk jedoch eigens vorgestellt werden, weil die CA noch immer als eine grundsätzliche Glaubensaussage bei den evangelischen Landeskirchen in Geltung steht obwohl der Autor weder in den Verlautbarungen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) noch in den Predigten landeskirchlicher Pastoren von ihr etwas wiederfindet.

Entsprechend formuliert der Verfasser gleich zu Beginn: "Fünfhundert Jahre nach der Reformation ist der Glaubensstand der evangelischen Kirche unsicher geworden. Es besteht Veranlassung zu prüfen, was vom Erbe der Reformation noch geblieben ist". Gleich im Vorwort des zu besprechenden Buches gibt alsdann Menno Aden die methodische und inhaltliche Richtung seiner Absicht an: "kein theologischer, sondern ein gleichsam empirischer Kommentar", weil "das Augsburger Bekenntnis praktisch keine Rolle mehr" spielt und "ideologischer und dogmatischer Ballast" schleunigst abgeworfen werden müssten (S. 9). Wie steht es nun damit?

Das 274 Seiten umfassende Werk ist gut lesbar. Nur nebenbei sei erstaunt angemerkt, dass der Autor mit zwei Widmungen aufwartet: auf S. 4 heißt es "Dem Gedächtnis meines Vaters Pastor Gerhard Aden (1906 - 1989)" und auf 5. 256 liest man den liebenswürdigen Hinweis, dass der Autor seiner Frau dieses Buch auch gewidmet" hat. Nun, warum nicht!?

Ein ausgiebiges Inhaltsverzeichnis, das einen Einstieg bei Einzelthemen oder Einzelvorgängen der weitausgreifenden Reformationsgeschichte gestattet, bietet Schneisen in das umfängliche und weite Feld des Dargebotenen an, so dass man sich auch "unterwegs", d.h. im Rückblick während der Lektüre, rasch noch mal über Einzelheiten vergewissern kann. Ein erstaunlich umfangreiches Literaturverzeichnis und die gewissenhafte Wiedergabe von Quellen- und Nachschlagewerken, weckt dann die Bereitschaft, einen tieferen Einblick in die Werkstatt des Autors zu nehmen, bis man bemerkt, das diese Listen sehr subjektiv zusammengestellt sind und offensichtlich nicht die Hauptwerke und die Fülle der wissenschaftlich erforschten Reformationsgeschichte sowie der reformatorischen Theologie enthalten. Trotz der Betonung des Verfassers, dass die Literatur zum Thema seines Werkes "wahrhaft uferlos" sei, fehlen grundlegende Arbeiten. Selbst der Wortbeitrag von Dalferth, der auf S. 142 eigens zitiert wird, ist lediglich einem Buche von Härle entnommen. Folglich taucht Dalferths Name nicht mehr im Literaturverzeichnis auf. Schon aus diesem Grunde wächst der Eindruck, dass sich Menno Aden von seiner Außenseiterwarte und ohne Rücksicht auf den Mainstream der Fachwelt äußert und auf die Kraft seiner Gedanken vertraut, die sich mit der CA und ihren Themen beschäftigen, während seiner Beobachtung nach die CA in der kirchlichen Praxis schamvoll umgangen wurde. Um das Augenmerk der kirchlichen Autoritäten und der Öffentlichkeit auf diese von ihm als misslich empfundene Lage zu richten, bedarf es tatsächlich keiner Ausgewogenheit des Tones. Da genügt es, auf den Mangel mit deutlichen Worten aufmerksam zu machen. Der Eindruck eines persönlichen Appells verstärkt sich noch bei der Durchsicht des Stichwortverzeichnisses und zieht sich schließlich wie ein roter Faden durch das zur CA Angemerkte hindurch. Letztendlich verleiht diese subjektive Färbung allerdings dem Text einen eigenartigen Schwung und weckt die Neugier, zumal der Autor in seinem Text ein umfangreiches Wissen erkennen lässt, dass über eine linguistische, juristische und historische Bildung verfügt, die beeindruckt. Deswegen vermag die Lektüre den Laien zwar regelrecht zu fesseln, lässt ihn jedoch auch etwas verwirrt das Buch später beiseite legen. Seine spritzigen Vergleiche; seine sprachlichen Bilder, seine überraschenden Ausführungen zu traditionellen Ansichten und die Schärfe seiner Kritik lassen (bittere?) biographischen Erfahrungen des Autors vermuten, die sowohl den Stoff als auch die Kirchlichkeit betreffen und die Schärfe sowie die Polemik in diesem Buche erklären. Ich will versuchen, diesen Eindruck aus dem Text heraus zu begründen.

Zunächst fällt auf, und das an mehreren Stellen, dass der Autor Jurist ist und mit dem Handwerkszeug des Juristen an das theologisch konzipierte Bekenntnis, die CA, herantritt. Schon das Vorwort "unterschreibt" er als "Letzter Präsident des Oberkirchenrats der ehemaligen Evgl.-Luth. Landeskirche Mecklenburgs". Dann vergleicht er u.a. die "Verfallsdaten" der Glaubenssätze (S. 93 f) mit der stillschweigenden Abschaffung einer Rechtsnorm. Auf S. 95 erläutert er die juristische Methode zur Lösung eines praktischen Falles, bei dem die Rechtsprechung ausgewertet wird, ehe er zum Hauptanliegen des Werkes, der Predigtauswertung zur Gültigkeitsprüfung der CA, übergeht. Ferner führt er in der Anmerkung 144 auf S. 111 an, dass das Recht Fälle kenne, in denen ein und dieselbe Handlung in Bezug auf das eine Rechtsgut rechtswidrig, in Bezug auf ein anderes aber zulässig ist, und strebt an, mit solchen juristischen Analogien Hilfen für seine Bewertung eines theologischen sowie bekenntnismäßigen Vorgangs zu finden und zu vermitteln. Verblüffend, doch für einen Juristen durchaus nachvollziehbar, ist dann natürlich auch, dass dem Juristen bei der Befassung mit der Trinität der Vergleich mit drei Personen, die in einer BGB-Gesellschaft verbunden sind, einfällt (S. 103), während das griechische. Wort ."prosopa" nichts mit dem heutigen Verständnis von dem Begriff "Person" zutun hat. Auf dieser Ebene einer juristischen Wertung ist es nur konsequent, wenn der Autor angesichts dogmatisch "falschen" Redens von Gott auf Disziplinarverfahren und Lehrzuchtverfahren kommt (z.B. Anm. 196 auf S. 142) oder wenn er bei der Ablehnung der Kindertaufe durch ein Kirchenmitglied "eine kirchenamtliche Abmahnung mit der Androhung des Ausschlusses aus der Kirche" für geboten hält. Die CA wird also mehr wie ein "Gesetz" denn als reformatorisches Bekenntnis verstanden. Die Analyse mit solchen Werkzeugen, die einem kirchenrechtlichen Beamten in leitender Funktion ohne Frage zu Gebote stehen, kann aber nicht dem Anliegen der CA gerecht werden.

Sie war ja nicht als Lehr- und Glaubensvergewisserung nach innen geschrieben, sondern sollte, was Aden selbst auch betont, dem Kaiser und dem Reichstag darlegen, dass Luther und die Luther folgenden Theologen samt den evangelischen Reichsständen keine Häretiker waren, sondern mit - ihren Ansichten immer noch zur katholischen Gesamtkirche gehörten. Mit ihrem Bekenntnis von 1530 haben die Verfasser der CA in der Folgezeit bis in die häusliche Frömmigkeit und in die verfasste Kirche hineingewirkt. Ihr Ansatz wird heute weltweit anerkannt und weitergeführt wie die Kommissionsarbeit zur Aufhebung der gegenseitigen Verwerfungen und die gemeinsame evangelisch-katholische Erklärung zur Rechtfertigungslehre in Augsburg vom 31.10.1999 zeigt. Einem aus dem Herzen fließenden Bekenntnis kommt man mit einer Analyse der Formulierung weder logisch noch mit einer juristischen Prüfsonde bei. Zwei Momente stehen dawider: die Berücksichtigung des genus jener Verlautbarung und ein behutsames Eingehen auf die ermittelbaren Verständnisse jener Zeit, weil zeitgenössische Vorstellung von der Bedeutung eines Begriffs zu einer ganz anderen Gewichtung zu führen pflegen. Die hier angewandte methodische Annäherung durch juristische Ähnlichkeiten vermag allenfalls diesem oder jenem Leser ohne zureichende kirchliche Bildung erste Türen öffnen, aber zum Kern des, Bekenntnisinhalts der CA dringt man so nicht durch, womit dann leider auch die vom Zeitgeist gefärbte Kritik an der CA auf tönernen Füßen zu stehen droht.

Überzeugender erscheint mir demgegenüber der auf 79 Seiten bemessene historische Teil des Buches zu sein, der in die Verwicklungen und Interessenlagen der Reformationszeit präzise und mitreißend einführt. Jedenfalls wird der interessierte Leser wie in einer akademischen Vorlesung zu einem ausgreifenden Überblick über die Entstehung der CA geführt und über die politischen Bedingungen ihres Entstehens aufgeklärt. Dem folgt man angeregt. Die Zeittafel zur Kirchengeschichte (S. 11 f) trägt zur Erläuterung des Entstehens allerdings wenig bei und dürfte wohl als nicht sonderlich hilfreich entfallen, denn sie eilt in allzu großen Schritten durch die Zeiten bis zum Jahre 1517 und entbehrt der Verknüpfung mit dem fließenden Ablauf des historischen Geschehens. Gelegentlich wecken die weiträumigen Überblicke, in die Menno Adens Text die historischen Fakten gerne stellt, Überlegungen, die ich auch nach der Lektüre des Buches nicht mehr missen will. Mir war z.B. die tief sitzende Nord~ Südproblematik (S. 24) als schon mittelalterliches, europäisches Problem nicht hinreichend bewusst gewesen. Hier verfolgt der Autor ihre Auswirkungen bis zur jetzigen Griechenland- und Eurokrise Erfrischend ist überhaupt die Kühnheit, Gegenwartsprobleme in die Betrachtungen einzuflechten und auf spätere oder frühere geschichtliche Vorkommnisse zu verweisen, um im Leser eine Vorstellung von den Ungeheuerlichkeiten des Reformationsgeschehens zu wecken. So heißt es auf S. 40, dass der Thesenanschlag ähnlich wie der Schuss von Sarajewo im Jahre 1914 wirke oder dass die reformatorische "Revolution" überflüssig gewesen sei wie die Revolution von 1789 unter Ludwig XVI (bzw. wie das politische Vorgehen nach Beginn der russischen Glasnost), weil die beanstandeten Mängel bereits behoben gewesen oder von den Verantwortlichen schon angegangen wären. Empörung, Wut und revolutionäre Gewalt kamen einfach stets verspätet (S. 42 f). Dass Revolutionen "verspätet" ausbrachen, wird in der Befassung Adens mit ihren Absichten fast zur geschichtlichen Regel erhoben. Vorsicht! die Reformation war keine "Revolution", auch wenn der linke Sozialismus sie gerne dazu rechnet, sondern ein religiöser Aufbruch inmitten einer Epochenänderung, die sich auf vielen Gebieten vollzog. Aber selbst solche Hinweise können die Atmosphäre der Reformationszeit erhellen. Staunen weckt wiederum neben jenem rhetorischen Dreh die Freude des Autors an Zahlen. Ihre Erwähnung wirft ein unerwartet nüchternes Licht auf die behandelten Vorgange: Auf S. 41 wird die Lebenszeit Luthers in 23 katholische und 25 evangelische Lebensjahre aufgeteilt. Auf S. 247 zählt der Autor wie häufig die Begriffe Liebe, Hölle und Feuer in den Evangelien vorkommen, um deren Bedeutung in der kirchlichen Lehre zu gewichten. Die Hinweise auf das jugendliche Alter einzelner großer Männer bei ihren historischen Taten (S. 87 Anm. 100) mag daneben als nur kleiner Zwischenruf verstanden werden.

Menno Adens sichtliches Bemühen, sich selber Klarheit vom kirchlichen Sprachgebrauch und von der theologischen Begrifflichkeit zu verschaffen, fuhrt dann - wie ich das sehe - zu gelegentlichen Umwegen in der flüssigen Darstellung. Der auf S. 80 abgehandelte Erwählungsglaube dürfte ein Seitenweg sein und seine Gedanken zur Buße unterliegen dem gleichen Verdacht, weil sie en detail in einem abgesetzten Exkurs (S. 189 ff) vorgetragen werden. Da mir das zur Buße Vorgetragene gleichwohl gut gefallen hat, weil der Autor den missbrauchten und verblassten Begriff semantisch erläutert, ihn auf die Zukunft ausrichtet und kühn zum Synonym des "lebenslangen Lernens" erhebt, heiße ich diesen Exkurs im Text jedoch freiweg willkommen!

Locker und eigenwillig; aber nicht im Plauderton, treten uns Stil und Sprache aus dem Buche entgegen und unterstreichen die Subjektivität der Darstellung. Dieses Werk ist wahrlich keine berichtende, aufklärerische Veröffentlichung, sondern der Aufschrei eines Kirchgängers, der sich im geistlichen Auftreten seiner Kirche nicht mehr aufgehoben fühlt. Welche bitteren Erfahrungen muss der Verfasser nach der Berufung in sein kirchenleitendes Amt wohl gemacht haben! Als Aufschrei wegen des vermeintlichen grundsätzlichen Befundes in der häufiger kritisierten kirchlichen Praxis dürfte tatsächlich etliches nicht stimmen - gerät das Buch fast zu einem Pamphlet. Das mögen ein paar Fundstellen belegen, die sämtlich der Kommentierung zur CA entnommen sind:

Beim Zitat des EKD-Glaubens-ABC's fallen die Worte: "stimmt nicht", oder~ "völlig Nichtssagendes" (S. 158). Zur Theologie heißt es: "seit etwa 1950 ist die evangelische Theologie zur kleinteiligen neutestamentlichen Philologie herabgekommen". Zur Kreuzigung und zum Karfreitag liest man: "...den Predigen fällt dazu anscheinend nicht mehr viel ein" (S. 151) oder "Die vielfältigen Zeugnisse, von denen die EKD spricht gibt es nicht" (S. 150). Zur Auferstehung hört man: "In der evangelischen Verkündigung wird dieses Thema heute entweder ganz unterdrückt oder nur mit Worthülsen umhüllt" (S. 154). - " ... blaß und floskelhaft" (S. 155) werde gepredigt. Zum Westfälischen Frieden findet man die Bemerkung: "Niemand zwingt die Kirche, zu geschichtlichen Gedenktagen etwas zu sagen. Aber wenn sie es tut, sollte sie ein Mindestmaß an geschichtlichem Wissen mitbringen" (S. 204). Mit entsprechendem Schwung wird schließlich sogar der Apostel Paulus, der älteste "Zeuge des Evangeliums", kritisiert und seiner Bedeutung für die späteren Schriften der Evangelien und Briefe beraubt; denn Aden prüft, in welchem Verhältnis Paulus zu Jesus stand und warum insbesondere die evangelische Theologie seine Aussprüche als Gottes Wort gelten lässt. Dann ermittelt der Verfasser des Kommentars zu Artikel 3 CA, dass sich Paulus nur an vier Stellen ausdrücklich auf den irdischen Jesus bezieht und meint dann selber, dass der Apostel sich für Jesus anscheinend kaum interessiert habe. Sein konsequentes Fazit: "Die ungelöste Frage ist also, ob Paulus überhaupt in das Neue Testament gehört." Von diesem Satz an, wartete ich voller Spannung auf den Schlussteil des Buches:

So wie Menno Aden das evangelische Reden vom Ballast der Vergangenheit "bereinigen" will, müssen sich die von uns für wahr gehaltenen kirchlichen Grundlagen auflösen! Das sieht auch der Autor so. Anhand des Kommentars zur CA gelangt er nämlich am Ende des Buches zu dem Vorwurf, dass, die (gesamte?) Kirche nicht mehr recht wisse, welche "Lehrsätze" ihr wirklich wichtig seien, und findet auch bei den noch zur Kirche Gehörenden kein ernstes Interesse, aus der Verschwommenheit landläufiger und dem Zeitgeist entsprechender Ansichten herauszukommen. Den Verlust geistlichen Inhalts rügt er also, indem er die heute umstrittenen Begriffe wie Dreifaltigkeit, Jungfrauengeburt, Erbsünde, Rechtfertigung, Heilsnotwendigkeit der Taufe,Sakrament, Wiederkunft Christi, Zorn Gottes sowie Teufel und Hölle sammelt, um alsdann ohne sie bis zu seiner Schlussbewertung weiterzugehen Was noch bis in die jüngste Zeit die Streitigkeiten unter den Konfessionen befeuert habe - so heißt es - . bewege heute niemanden mehr; evangelische Theologie sei vielmehr "auf dem Wege, ein selbstreferentielles System ohne Außenwirkung" zu werden S. 244). Unter diesem Aspekt sei die als Beliebigkeit wahrgenommene Dürftigkeit vieler heutiger Predigten u.U. sogar positiv zu deuten, weil die flaue Praxis als Aufbruch in die von keinen Dogmen kartierten Gefilde der Suche nach Gott angesehen werden könne (S. 242 f).

Damit leitet der Autor von seiner Anfrage an Theologie und Kirche, von der er zu Beginn eine kompetente Vertretung aller in der CA niedergelegten Glaubenssätze erwartet zu seiner Lösung der Befundproblematik über. Als Ergebnis seiner Analyse entdeckt Menno Aden anknüpfend an Psalm 18, 20 und Galater 5,1 und 18 - einen Lösungsweg, auf dem der Schritt "ins Weite" (S. 255) möglich wird, der zwar zum Verlust aller Sicherheit führe, jedoch die Freiheit gewönne und neue Lust am Leben schenke! Die Reformatoren hätten sich noch ihres Glaubens versichern (sic!) wollen, nunmehr hatten die Protestanten aber Schritt für Schritt die von Worten, Dogmen und Dokumenten vorgetäuschte Sicherheit des Glaubens hinter sich gelassen und befänden sich auf dem Wege zu einem dogmenfreien Christentum. Mutig und in völliger Aufrichtigkeit schlägt der Autor alsdann als Schlussakkord seines Buches eine Neufassung des Augsburger Bekenntnisses vor, die hier wegen ihrer Bedeutsamkeit wörtlich wiedergegeben werden soll:

"Wir lehren, dass ein Gott ist. / Wir lehren, dass Gott uns unfertigen Menschen gnädig sei will. / Wir lehren, dass Gott durch Jesus und andere Menschen zu uns gesprochen hat und noch spricht. / Wir lehren, dass Gott der Welt ein Ziel gesetzt hat, an welchem wir durch treue Pflichterfüllung mitwirken sollen. / Wir lehren, dass wir uns am Ende der Tage vor Gott verantworten müssen."

Abgesehen von der neugierigen, jedoch leisen Nachfrage, woher die Gewissheit dieser Aussagen stammt, gerät mit Adens Fassung der CA m.E. Wesentliches der christlichen Verkündigung aus dem Blick. Sein "Bekenntnis" gilt es zwar zu respektieren, aber es reicht weder an den gelebten evangelischen Glauben noch an den Stand der Theologie und die weltweite kirchliche Praxis heran.

In meinem Verständnis ist die Beschränkung der Aussagen in der Neuformulierung der CA Folge einer erkenntnistheoretischen Problematik. Ich will versuchen, meinen Einwand gegen die angewandte analytische Methode knapp und ebenso "subjektiv" zu begründen, wobei mir bewusst ist, dass wir für die Metaphysik keine Meta-Sprache haben. Sobald wir unsere Erfahrungen und GIaubensinhalte weitergeben müssen oder sollen, reden wir gezwungenermaßen in Gleichnissen und in Sprachbildern oder formulieren unsere Gedanken mit den Mitteln der Musik sowie den Formen darstellender Kunst. Außerdem sind wir darauf angewiesen, dass wir als Einzelpersonen und Kirche, also als die Gemeinschaft der Glaubenden, unter den zu Hilfe genommenen "Bildern und Gleichnissen" Gottes Stimme (vgl. Johannes 10, 1-6) vernommen haben. Das betrifft die Zeugnisse der Bibel genauso wie der Blick in den Kosmos der Schöpfung, in den Alltag, in das Miteinander und in das Gebet. In allem verbirgt sich, wie man von "der Wolke der Zeugen" hören kann, die "Stimme", die sich von Rede oder rationalen sowie von theologischen Aussagen unterscheidet. Geheimnis der Inkarnation? Jedenfalls geht es nicht anders als dass man sich existentiell wie Luther auf das biblische Zeugnis und das Bekennen anderer einlässt. Gibt es Muster, von einer "anderen, existentiellen Erkenntnis", die man vermitteln könnte? Diese Frage bleibt nach der Lektüre des Buches im Vordergrund stehen.

Im selben Verlag der Traugott Bautz GmbH sind die gesammelten Werke von Reinhard v. Kirchbach erschienen. Reinhard v. Kirchbach wurde vielen ein Seelenhirte... Im 9. Band ("Zelte bauen in reißenden Wassern") befindet sich ein meditatives Gebet vom 8.6.1997 mit der Überschrift "Du hast viele Fragen" (Abschnitt "Von der Tiefe und der Leichtigkeit göttlichen Wirkens" S. 155 Nr. 93)", aus dem hier nur die Anfangszeilen zitiert werden sollen, um das Obige zu vertiefen:

"Lege dich Mir zu Füßen, und halte alle deine Sinne zu Mir hin, du hast dann nichts mehr bei dir, nicht deine Gedanken, nicht deine Pläne, nicht deine Sprache, und die Versuche zu sehen, scheitern. Wenn du nicht wieder zurückläufst und doch wieder aufnimmst, was du liegen lassen solltest, kommst du an den Anfang deiner Freiheit. Sie vollzieht sich in Mir und öffnet dir die Räume, in denen Mein Geist lebt, unerreichbar für jeden, der ihn erobern will, und doch belebend und nahe wie der Atem, der in dich eingeht..."

"Was werden wir glauben?" lautet die Überschrift des letzten Buchabschnitts (S. 241). Ich denke, dass uns da die CA noch manches zu sagen hat, dass es allerdings gewisser Anstrengungen bedarf. Ohne Christi Auferstehung und seine Göttlichkeit wird uns kein Fenster über den Rand der mit physischen Sinnen erfassbaren Welt hinaus eröffnet. Eine nachvollziehbare Lehre im eingedämpften Umfange vermag höchstens das menschliche Denken zu verfeinern, ohne uns Menschen aus unseren Plänen, Techniken und Strategien kirchlichen Handelns zu befreien. Lauscht der Mensch auf die "mitgeteilten Tatsachen", kann er wie auch in der Kirchengeschichte überliefert ist - Wege finden, auf denen er selber hoffen kann, Gottes Stimme zu vernehmen. Damit öffnen sich mittelbar erst Perspektiven, die in Bildern und Metaphern Einblicke gewähren und Dimensionen aufleuchten lassen, welche sich dem rationalen Diskurs verschließen, und kaum erkennbar doch wirken und Menschen verändern. Vielleicht boten solcherart Einblicke die Chance, auch an der Unvollkommenheit der zwischenmenschlichen Weitergabe von Glaubensinhalten nicht zu verzweifeln, womit man selbst der altertümlichen CA ihre sinnbezogene Bedeutung belassen könnte.

Ein Beispiel mag möge den erwähnten Weg zu Einsicht und Erkenntnis unterstreichen. Die Kirchenfenster im Hohen Chor der gotischen Backsteinkirche von St. Marien zu Uelzen sind von außen betrachtet dunkel, grau und mitteilungslos. Steht man aber im Hohen Chor oder sitzt man im Kirchenschiff, dann sieht man in den Fenstern Farben, Motive und Themen, die leuchten und zur Zwiesprache auffordern. Der Schritt in die Kirche .hinein verwandelt das zunächst von außen Wahrgenommene in eine neue Qualität.

Ich könnte mir daher denken, das die CA von 1530 und das Ringen der Reformatoren um das Licht der Wahrheit noch viele Türen für den - wie das Buch erkennbar fordert - Dialog über die CA als reformatorisches Glaubensbekenntnis aufzustoßen vermag. Dieser Dialog ist offenbar bereits im Gange. Die Vorbereitungen auf das Reformationsjubiläum im Jahre 2017 schließen eine vertiefende Beschäftigung mit den wichtigen Schriften jener Zeit ein und umfassen auch die Frage, wie die Bekenntnisse der damaligen Zeit zum "Bekennen" in der Gegenwart herausfordern. Als Appell zum Dialog ist auch das kämpferische Buch des Autors geeignet. Sein Beitrag müsste geradezu Protestanten und verantwortliche Vertreter der evangelischen Kirchen auf den Plan rufen! Insoweit sei Menno Aden für seine eigenwillige und schonungslose Analyse gedankt.

Otto von Campenhausen


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