Karlheinz Lipp

Pazifismus in der Pfalz
vor und während des Ersten Weltkrieges

Ein Lesebuch

Rezension


"Nur Narren und Verrückte können den Krieg dem Frieden vorziehen ... ": Mit diesen Worten brachte der Kaufmann Carl Simon aus dem pfälzischen Neustadt 1912 unter dem Titel "Politik ist Kulturaufgabe" in einer pazifistischen Schrift eine universalpolitische Wertung zum Ausdruck, der man gewiss noch heute zustimmen möchte (S. 41). Zwei Jahre später befand sich Europa in einem mörderischen, über vier Jahre dauernden Krieg. Dessen Verlauf und Ausgang sollten wiederum mit dazu beitragen, dass 1939 noch Schlimmeres folgte. Die Hoffnung, dass man aus beiden Weltkriegen überall in Europa gelernt hätte, war spätestens mit dem Jugoslawienkrieg der 1990er Jahre dahin, und im Februar des gleichen Jahres, in dem man sich anschickte, das hundertjährige Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu begehen, brach, praktisch vor unserer Haustür, in der Ostukraine ein neuer, bis heute andauernder Krieg aus, der ganz im Sinne der Kriege des 20. Jahrhunderts zutiefst nationalistisch motiviert ist und entsprechend verklärt wird.

Das von dem Historiker Karlheinz Lipp vorgelegte Buch ist somit in keiner Weise überflüssig, ganz im Gegenteil ist es mehr denn je notwendig, sich unserer pazifistischen Tradition zu erinnern, auch wenn sie in Deutschland bis 1945 nur ein marginales Dasein fristen konnte.

Lipp, der bereits durch zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema ausgewiesen ist, hat dieses Buch als Sammlung ungemein beeindruckender und gut lesbarer Quellen gestaltet, womit es sich auch für den Einsatz im Geschichtsunterricht in hervorragender Weise eignet. Die Abfolge der Dokumente erfolgt chronologisch gegliedert in zwei Hauptabschnitten, dessen erster sich bis zum Juli 1914 erstreckt (,‚Vor Kriegsbeginn", S. 16-101), während der zweite die Zeit des Ersten Weltkriegs umfasst (S. 102-204).

Die Einleitung (S. 7-11) skizziert zunächst die Entwicklung des organisierten Pazifismus vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs insbesondere in der Pfalz, sodann, wiederum mit Schwerpunkt auf der Pfalz, die pazifistischen Stellungnahmen während des Krieges sowie die politischen Reaktionen darauf. Eine Zeittafel (S. 12-15) ergänzt diesen Überblick. Das Quellenverzeichnis listet die Nachweise für alle gedruckten Texte auf, im Literaturverzeichnis sind auch die Titel aufgeführt, auf die sich der Autor in der Einleitung bezieht. Ausgesprochen hilfreich ist das Personenregister. Darin findet sich auch indirekt eine Bestätigung für die Aussage des Autors, dass "Frauen in der Pfalz, die sich im Kaiserreich für den Frieden engagierten, [ ... ] noch zu erforschen" seien. Immerhin gab es sie, wie das Register zeigt, und zwar sowohl auf Reichsebene, wie etwa die im "Bund Neues Vaterland" an führender Stelle tätigen Lilli Jannasch und Elsbeth Bruck, als auch in der Pfalz, wie z. B. Lina Kahn aus Edenkoben, die in der Mitgliedsliste der im Dezember 1916 gegründeten "Zentralstelle Völkerrecht" geführt wurde (S. 114). Hier liegt in der Tat noch eine interessante Forschungsaufgabe. Gleiches gilt für die Geschichte der pfälzischen Juden, die sich pazifistisch engagierten, wie den Bad Dürkheimer Schulleiter Ludwig Strauß (geb. 1855), der 1892 als Vorsitzender der dortigen Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft nachgewiesen ist (S. 20) und dem es als Mitglied des Synagogenrates nicht erspart blieb, im November 1938 den Untergang seines Gebetshauses und seiner Gemeinde zu erleben.

Dass der deutsche Protestantismus bis 1945 ausgesprochen nationalistisch ausgerichtet war, ist bekannt. Aber dennoch gab es sie, die evangelischen "Friedenspfarrer" (Lipp), die 1917 in Berlin aus Anlass des Reformationsjubiläums zum Frieden aufriefen und dabei auch von den pfälzischen Vikaren Kurt Adolf Föll (Zweibrücken) und Jakob Ott (Frankenthal) und dem Pfarrer Dr. Valentin Hack (Rathskirchen) unterstützt wurden (S. 9, 14). Dass der Autor aus "dem katholischen Spektrum der Pfalz" keine pazifistische Stimme ermitteln konnte, ist vielleicht nur dem Forschungsstand geschuldet, doch spricht angesichts der prononciert kriegsfreundlichen Haltung des damaligen Speyerer Bischofs Michael von Faulhaber und der amtskirchlichen Verfassung einiges dafür, dass dieser Befund sich nicht wesentlich ändern wird. Denn die damalige katholische Kirche in Deutschland begriff den Krieg zum einen als Möglichkeit, den aus ihrer Sicht sittlich verdorbenen Zeitgeist zurückzudrängen, und zum anderen als Chance, sich nach den Anfeindungen des Kulturkampfes als besonders deutsch-patriotisch zu präsentieren. So fand nicht einmal das Friedensmanifest von Papst Benedikt XV. vom 1. August 1917 gnädige Aufnahme in ihren Reihen (S. 9 f.).

Es ist positiv hervorzuheben, dass der Autor nicht nur intellektuelle Zeugnisse des Pazifismus aufgenommen hat, sondern auch die emotionale Seite der Abneigung gegen den Krieg. So weist er zu Recht daraufhin, dass die bei Kriegsausbruch von der Presse gemeldete Kriegsbegeisterung ein Mythos war, an dessen Entstehung insbesondere nationalistisch eingestellte Journalisten und Zeitungen durch ihre selektive Berichterstattung großen Anteil hatten. Persönliche Zeugnisse von der Verabschiedung der Männer durch ihre Frauen und Familien vermitteln ein ganz anderes Bild (S. 102-106). So berichtet der Eisenbahner Friedrich Weber aus Altenglan, dass die Reservisten, die am 4. August 1914 in Kusel den Militärzug bestiegen, zwar patriotische Lieder sangen (wohl um sich Mut zu machen), aber die Frauen "hörte man von weitem weinen" (S. 105). Dagegen schimpfte Ernst Bloch nicht nur auf den Militarismus der Männer, sondern auch auf die patriotischen Helferanwandlungen der Frauen (S. 106), deren unermüdlicher Einsatz als Rot-Kreuz-Helferinnen in den Lazaretten vom Staat tatsächlich jahrelang ausgenutzt wurde.

Nicht jede Stimme, die von Lipp zitiert wird, steht für kategorischen Pazifismus, sondern mitunter steht dahinter ein Wandel, wie ihn gerade die deutsche Sozialdemokratie im Laufe des Krieges durchmachte. War sie vor dem Krieg konsequent gegen die Rüstungspolitik des Kaiserreichs und noch in der Juli-Krise 1914 vehement gegen einen von Österreich angezettelten Kriegseintritt eingetreten, ließ sie sich nur wenige Tage später von der patriotischen Rhetorik des Kaisers und der Lüge vom Verteidigungskrieg einfangen, und eine Mehrheit (MSPD) blieb dabei fast bis zum bitteren Ende, während sich eine Minderheit 1917 abspaltete und die USPD gründete. So zeigt die Rede, die der zur MSPD gehörende sozialdemokratische Abgeordnete Ackermann Anfang November 1918 in Frankenthal hielt, trotz des Plädoyers für einen Frieden im Grunde noch die gleiche nationalistische Apologetik, die ihn schon in der Juli-Krise 1914 zu einer Rechtfertigung der österreichischen Haltung gegenüber Serbien und nach Kriegsausbruch ebenso zur Annahme der deutsch-nationalen Parole vom "Verteidigungskrieg" veranlasst hatte (S. 98 f., 200-203).

Das "Lesebuch" von Karlheinz Lipp zum pfälzischen Pazifismus bringt eine beeindruckende Zahl von Dokumenten zusammen, die auch heute nichts von ihrer damaligen Aktualität verloren haben.

Walter Rummel


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