Georg Steiger

„Im Kirchenkeller“

Kindergeschichten

Rezension


Als Georg Steiger noch Schorschi hieß, war das Schlachten von Haustieren nichts ungewöhnliches. Sein Vater war auf einem Bauernhof groß geworden, und im Krieg, so erzählte er seinem Sohn oft, habe er sogar Pferde geschlachtet.

An diesem Tag soll es jedoch ein Huhn sein, und der kleine Georg muss helfen: Er fängt das Tier, packt es an den Flügeln und versucht den kleinen Kopf so auf dem Hackklotz zu platzieren, dass der Vater ihn mit seiner scharfen Axt abtrennen kann. Kurzum: Der Hieb sitzt, doch Schorschi lässt das geköpfte Huhn vor Schreck los. "Der arme Vogel hat nichts Besseres zu tun, als loszufliegen!", schreibt er später. "Hinaus aus dem Holzstall, schräg hinauf in die Lüfte Richtung Nachbargrundstück bis knapp unter den Scheunenfirst." Der Junge staunt nicht schlecht. "Das Huhn kann schließlich weder denken noch sehen, so ohne Kopf. Zum Glück für uns geht dem Huhn nun aber endlich die Puste, sprich das Blut aus, es schlägt ganz oben auf dem Dach auf und kullert gemächlich hinunter auf unseren Hof, wo es schließlich ja auch hingehört!"

Hervorquellende Erinnerungen
Jahrzehnte später war es ein Freund, der Georg Steiger aus Gebesee (Kreis Sömmerda) dazu anregte, Kindheitserinnerungen wie diese zu Papier zu bringen. Steiger zögerte zunächst, weil ihm die Episoden von damals zu intim erschienen. Letztlich siegte jedoch die Schreiblust. "Je mehr ich mich in meine Kindheit versenkte, desto mehr Erinnerungen quollen hervor", schreibt er im Vorwort seines jetzt erschienenen Büchleins "Im Kirchenkeller - Kirchengeschichten".

Fast 70 kleine Geschichten mit Überschriften wie "Tante Erna", "Bockwurst", "Kirschen klauen" oder "Auf dem Kirchturm" sind darin enthalten. Sie sind kurz, knackig und ohne Schwulst. Vor allem sind sie unterhaltsam und lassen sich in einem Rutsch durchschmökern - zumal der Leser automatisch an seine eigene Kindheit denken muss. Jeder hat schließlich bestimmte Erinnerungen, ohne die die Kindheit undenkbar wäre: eine besondere Schlittenfahrt, der Duft von bestimmten Speisen in der Küche oder ein Streich mit dem besten Freund.

Georg Steiger, der 1947 als fünftes Kind einer Pfarrer-Familie im Landstädtchen Gebesee bei Erfurt geboren wurde, schreibt etwa über das Kirschenklauen mit anschließendem "deftigen Durchfall", den Besuch von Tante Erna aus Hamburg, die wie ein Westpaket riecht, das Abenteuer, den Vater aus der Gastwirtschaft abzuholen oder die Rettung eines Freundes, der nicht schwimmen kann, aus der Gera. Andere Geschichten, die allesamt in den 50er- und frühen 60er-Jahren spielen, behandeln den Beginn der Schulzeit, Ferienspiele oder eine besondere Familienprozedur bei Ausflügen mit dem Auto.

"Es war, trotz an allen Ecken spürbarer Armut meiner Eltern, eine schöne und erfüllte Kindheit", berichtet Steiger. "Dass unsere Pfarrer-Familie stets in Opposition zu den Machthabern in der DDR stand, war mir schon früh bewusst. Doch wirklich benachteiligt wurde ich in dieser Zeit in schulischen Dingen nicht" - im Gegensatz zu seinen älteren Brüdern.

Steiger ist sich sicher, dass eine kleinen Streiche und Unternehmungen ihn auch zu dem werden ließen, der er nun ist. "Meinen Eltern bin ich überaus dankbar, dass sie mir ohne Druck genügend kreativen Freiraum gewährt und mich an einer sehr langen Leine geführt haben, die ich nur dann spüren musste, wenn es unumgänglich war!"

Matthias Benkenstein


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