Rainer Waßner

Die letzte Instanz

Religion und Transzendenz in Ernst Jüngers Frühwerk

Rezension


Beim breiteren Publikum wird der Schriftsteller Ernst Jünger (1895-1998) in erster Linie mit seinem Erstling "In Stahlgewittern" in Verbindung gebracht, in welchem von den Erlebnissen eines Frontkämpfers im Ersten Weltkrieg berichtet wird. Zeit seines Lebens hatte Jünger seine militärischen Orden, allen voran die höchste Tapferkeitsauszeichnung, den Pour le Mérite, in Ehren gehalten und hatte es ertragen, als "Militarist" verunglimpft zu werden.

Umso irritierender muss für manchen die vorliegende Sammlung von Rainer Waßner wirken. Ernst Jünger - ein religiöser Schriftsteller? Seine Konversion zur römisch-katholischen Kirche im September 1996 war erst nach seinem Tod bekannt geworden. Und dennoch lagen bereits in den frühen Schriften Jüngers metaphysische Bezüge vor: "Jünger entdeckt eine maßgebliche, unverfügbare Dimension im Kern des empirisch Wahrnehmbaren." Waßner setzt an dieser Stelle an und belegt an einer Vielzahl von Textstellen die Ausdifferenzierung und Verfeinerung transzendenter Bezüge in Jüngers Entwicklung. Zugleich verortet er diese mit biografischen wie zeitgeschichtlichen Hintergründen in seiner Denkwelt. Die ungeheure Wucht der Materialschlachten im Ersten Weltkrieg hatten Jünger die Defizite bürgerlich-positivistischer Humanität des 19. Jahrhunderts vor Augen geführt. Darwins "Konstruktionstheorie", die noch seinem Vater näher war als jeder metaphysische Bezug, hatte ihre Begrenztheit längst offenbart.

In elf überarbeiteten Zugängen, die zumeist bereits in verschiedenen Zeitschriften publiziert wurden, stellt Waßner auch seine umfassende Kenntnis des Jüngerschen Opus unter Beweis. Wie ein organischer Körper unterliegt auch die "Autorschaft" (Ernst Jünger) dem Wachstum. Nicht von ungefähr hatte Jünger seinen Essay über "Drogen und Rausch" mit dem geradezu programmatischen Titel "Annäherungen"(1970) versehen. Er hatte es zeitlebens abgelehnt, sein Werk in Phasen einzuteilen, und dennoch lassen sich Entwicklungslinien nachweisen. Entsprechend einem Zwiebelschalenmodell rücken verschiedene Ausrichtungen in einen Gesamtzusammenhang, in welchem gerade die überwundenen Phasen umso glaubhafter eingebunden sind.

Bei aller Klarsicht hinsichtlich einer vielschichtigen Wirklichkeit, die sich erst jenseits von nüchterner Überprüfbarkeit zu entfalten beginnt, war Jünger kein religiöser Schriftsteller in einem kirchlichen Sinne. Waßner findet v. a. in den früheren Schriften ausgesprochen kirchenskeptische Zitate und belegt zugleich, daß Jüngers Lebenswerk einer transzendenten Weltsicht geschuldet ist.

Die Ausprägungen von Gläubigkeit bei Jünger wirken in einer schnelllebigen Zeit geradezu bizarr. Ein Tagebucheintrag vom 23. Juli 1939, der sich in den "Strahlungen" findet, lässt Aufschlüsse über die spezifische Einsicht in die Souveränität der Schöpfung zu: "Wenn die Tiere der Erde, wie ich oft in trüben Stunden der Erde befürchte, alle ausgerottet würden, so blieben sie doch in ihrer Unversehbarkeit bestehen. Sie ruhen im Schöpfer, und nur ihr Schein wird ausgetilgt. Jede Zerstörung nimmt nur die Schatten von den Bildern weg." Ein personaler Gott, platonische Anleihen und kosmische Dimensionen gehen hier eine Verbindung ein.

In diesem Zusammenhang betont Waßner ausdrücklich, dass bei Jünger Vernunft und Mythos nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern aneinander partizipieren. Es gelingt Waßner herauszuarbeiten, dass bei Jünger nicht der Mensch das Maß aller Dinge oder gar der Herr des Handelns in der Geschichte ist. Angesichts der Gräuel des überlebten Krieges hatte sich der junge Jünger in "Der Kampf als inneres Erlebnis" (1926) gefragt: "Was ging am Grunde vor?" Und im kreisenden Denken und Schreiben entfaltete sich in seinem weiteren Leben die unmittelbare Schau auf die Lebenswelt, in welche die menschliche Existenz eingebunden ist. Jüngers lebenslange geradezu lustvolle Aufgeschlossenheit, Pflanzen, Steine und nicht zuletzt den Kosmos der Käferwelt zu erkunden, sind ebenso Belege dieser Weltensicht, wie seine ungebrochene Neugier auf die geheimen Kammern menschlicher Kunst und Kultur. Sowohl Imagination wie auch Verstand sind vonnöten, um sich in einer Art konkreter Metaphysik als Gast auf dieser Welt heimisch fühlen zu können.

Volker Strebel


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