Rainer Waßner

Die letzte Instanz

Religion und Transzendenz in Ernst Jüngers Frühwerk

Rezension


Verdienstvolle Studie

Zunächst blieb mein Blick an dem Foto auf dem Buchcover hängen. Ein junger Mann in Soldatenuniform. Ein feines, offenes Gesicht ...

"Instanz" ist ein seltsames Wort. Schaut man im etymologischen Lexikon nach, findet man es bei dem Wort "inständig". Diese Tatsache verweist bereits auf das Nebeneinander von Zartheit, Demut, vielleicht auch Glaube - man bittet "inständig" - und der moralischen Strenge und Unfehlbarkeit, die man ebenfalls mit dem Begriff verbindet. Jemand ist eine moralische Instanz, sagt man - etwa der Papst. Im Juristischen kennen wir den Instanzenweg. Und dann gibt es noch die "letzte Instanz", die uns als Gott am Ende aller Tage bewertet oder gar erlöst.

Das wirft auch ein Licht auf die Ambivalenz der Gestalt Ernst Jüngers. In meiner Jugend tauchte er stets nur in Verbindung mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl auf, als dessen Lieblingsautor er galt. Es ist interessant, sich mittels der vorliegenden Studie einmal eingehender mit Jüngers Persönlichkeit und seinem geistigen Weg befassen zu können.

Diese Möglichkeit zu schaffen, dazu Material bereitzustellen sowie Revisionen und Entwicklungen in Jüngers Werk aufzuzeigen, ist das Anliegen des Autors. Die einzelnen Kapitel sind philosophisch sehr dicht, sodass man es als Leser dankbar begrüßt, an deren Ende stets eine Zusammenfassung der zentralen Gedanken vorzufinden.

Worum geht es Jünger? Vereinfacht gesagt um jene eine "sinnstiftende Dimension" (Waßner), die der Mensch sucht, weil er sie fühlt, und fühlt, wenn er sie sucht, und die er auf Begriffe zu bringen sich müht, die jedoch der Tiefe und Wucht der Empfindung nie ganz standhalten. Vor diesem Horizont problematisiert Jünger sowohl die Sprache als auch die akademische Theologie. Beschworen wird der Zusammenhang zwischen dem historisch-existenziellen Sein des Ich und einer geahnten Totalität. Die durchaus heroische Arbeits-Aufgabe des Schriftstellers besteht darin, diesen zu verbürgen. Jene andere und "eigentliche" Seinsschicht gilt Jünger dabei nicht als unzugänglich: Sie zeigt sich einem "Organ unmittelbarer Erfahrung". Jüngers Grundfragestellung, so Waßner, ist insofern eine ontologische. Hier erschließt sich das künstlerische Selbstverständnis dieses Werks, und hier zeigt sich auch eine gewisse Nähe zu Martin Heidegger.

"Es gibt an dieser Tafel keine Speise, in der nicht ein Körnchen vom Gewürz der Ewigkeit enthalten ist" - so klingt es bei Jünger. Wer mag, kann lesend nähertreten an diese Tafel. Waßner bezeichnet Jünger als Repräsentanten einer damals herrschenden Kulturkrise in Deutschland. Was erleben wir heute? Man könnte sagen: Wenn es wenigstens eine Kulturkrise wäre, eine ernsthafte Debatte über das, was Kultur im Innersten - und im Ganzen - ausmacht. Stattdessen beherrschen immer häufiger Rückgriffe auf Nationalismen den Diskurs. Bedenkt man, dass Jünger in einem Atemzug mit der gegenwärtig ins Gespräch kommenden und als "rechts" geltenden Identitären Bewegung genannt wird, so ist es allemal wichtig, sich mit ihm zu befassen. Waßners verdienstvolle Studie zum Frühwerk bietet dafür wertvolle Hilfen.

Andreas Laudert


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