Rainer Waßner

Die letzte Instanz

Religion und Transzendenz in Ernst Jüngers Frühwerk

Rezension


Der Übertritt des Schriftstellers Ernst Jünger zum Katholizismus 1996, zwei Jahre vor seinem Tode, löste eine lebhafte, noch andauernde Debatte aus, welches Gewicht denn in seinen Schriften die Religion innehabe. Dieses Buch, eine Aufsatzsammlung aus den Jahren 2003 bis 2015, beteiligt sich daran. Es belegt, dass spirituelle und philosophisch - theologische Motive und Fragestellungen von Anbeginn in Jüngers Schriften aktiv sind, d.h. seit den Tagebüchern des Ersten Weltkrieges (was übrigens Hans Peter Schwarz schon früh vermutet hat: Der konservative Anarchist. Politik und Zeitkritik Ernst Jüngers, Freiburg 1962). Freilich ohne je in konfessionelle Begrifflichkeit umzuschlagen. Für Jünger sind die traditionellen Glaubensinhalte, religiöse wie säkulare, obsolet geworden, was ihn andererseits zur permanenten Suche nach neuen stabilen Ordnungen und Gewissheiten antreibt; eine Suche, die sich wie ein roter Faden durch sein ganzes OEuvre zieht.

Das Buch zeigt chronologisch im Detail, unter Heranziehung weiterer Literatur und biographischen Materials, wie diese teils konservativen, teils modernen Anschauungen aus dem Werk schrittweise herauswachsen. Sie durchlaufen dabei verschiedene, durchaus nicht lineare Schübe und Phasen und münden etwa 1950 in eine fast antike Kosmologie, in der alle Gestaltungen des Lebens Abbilder von Urbildern sind, und damit über metaphysischen Sinn verfügen. Im Zusammenhang damit entsteht die Forderung nach einer "neuen Theologie des Überflusses", die mit den Erkenntnissen neuzeitlicher Naturwissenschaft kompatibel sein sollte. Diese Position wird im mittleren und Spätwerk beibehalten und nur mir neuen Namen versehen.

Damit fällt Jünger gänzlich aus dem Rahmen der Gegenwartsliteratur heraus, der jeder überempirische Sinn der künstlerisch dargestellten Phänomene abhanden gekommen scheint (vgl. Georg Langenhorst: "Ich gönne mir das Wort Gottes". Annäherungen an Gott in der Gegenwartsliteratur, 2. Aufl. Freiburg 2014). Nur sehr vereinzelt lässt sie etwas von der religiösen Revitalisierung ahnen, die sich in Europa im Zuge der Migrationsbewegungen vollzieht. Jüngers Altersdiktum "Die Götter kommen wieder", die sich aber schon früh anbahnte, scheint plötzlich keine bIoße Utopie mehr zu sein.


Copyright © 2015 by Verlag Traugott Bautz GmbH