Rainer Waßner

Die letzte Instanz

Religion und Transzendenz in Ernst Jüngers Frühwerk

Rezension


Verschlungene Wege - Ernst Jüngers religiöse Seite

Als Ernst Jünger im Jahre 1997 im Alter von fast 103 Jahren in Wilflingen in Oberschwaben bestattet wurde, waren viele der Gäste überrascht: es war eine katholische Beerdigung (bei der freilich auch eine Salve übers Grab geschossen wurde). Ernst Jünger war zwei Jahre vor seinem Tode in aller Stille zur katholischen Kirche übergetreten. Nach einer achtzig Jahre langen Existenz als Schriftsteller, in der er das Christentum gelegentlich gestreift, in der er sich aber meist in ganz anderen Gefilden bewegt hat. Über diese Streifungen ist schon geschrieben worden. Nun ist ein Buch erschienen, das davon ausgeht, dass Ernst Jünger zu den ganz wenigen Autoren des vorigen Jahrhunderts gehört, denen "religiöse Sprachbilder noch nicht abhanden gekommen sind". Dies "nicht im Sinne einer Bindung an historisch gewachsene Traditionen, Religionen, Konfessionen", sondern im Sinne einer Problemstellung, die an Religiöses und Philosophisches anschließen kann. Das Buch heißt "Die letzte Instanz - Religion und Transzendenz in Ernst Jüngers Frühwerk", eine Sammlung von elf Aufsätzen aus gut zehn Jahren. Der Autor Rainer Waßner, bohrt das Thema von immer neuen Seiten her an.

Jüngers Frühwerk verbindet man gemeinhin mit dem Ersten Weltkrieg, mit "In Stahlgewittern" und Schriften der Konservativen Revolution. Waßner setzt hier an und spricht von "einem enormen Bedürfnis nach Rechtfertigung des Weltlaufs". Einer "Spannung von Sagbarem und Unsagbarem". Der frühe Jünger versucht es mit dem Gleichnis vom Gewebe, dessen Teil wir sind ohne das Ganze sehen zu können. Trotzig und etwas hilflos schreibt er "Keiner ist umsonst gefallen. "Zeitweise wird die Nation zum Symbol für ein Absolutes, das über der Unübersichtlichkeit des Konkreten steht. Gelegentlich kommt auch die Katholische Kirche in den Blick als zwar etwas veralteter Block des Festen in der Unordnung der Dinge. Jünger entwickelt das vielfältig anwendbare Konzept des "stereoskopischen Blicks". Man kann die Dinge erster Hand sehen und zugleich als Hinweis auf ein Anderes, das über sie hinaus geht.

Ein erratischer Block in Jüngers Werk ist "Der Arbeiter" von 1932. Waßner nennt das Buch "einen im Kern spirituellen, geschichtstheologischen Entwurf. Die Gestalt des Arbeiters steht für das Wesen der technischen Welt. Sie verleiht der Vielfalt der Moderne Richtung und damit auch Sinn durch - so Waßner - Bezug auf eine umgreifende, transzendente Realität". Jünger kennt auch andere Weisen des stereoskopischen Blicks. Vor allem das Sehen des Wunderbaren im Alltäglichen "überall dort, wo man den Dingen auf den Grund geht und damit ein neues, wunderbares Licht auf sie fällt". So Waßner. Das hängt zusammen mit dem Blick auf die Fülle. Üblich ist der Blick der Sorge, des Besorgens, der Lebenssicherung; der Blick auf das, was fehlt, auf den Mangel. Jünger bestreitet nicht dessen Recht. Aber er stellt dem den Blick auf die Fülle gegenüber. Denn in der Tat ist das Ganze der Natur Fülle. Wie schwer es ist, die Fülle zu greifen und erst recht sie zu halten, fasst Jünger in ein Gleichnis: Man kommt aus Aladins Höhle mit ein paar lumpigen Silbermünzen heraus.

Müsste man die Wissenschaft vom Überfluss erfinden, meint Jünger - "wenn sie nicht seit jeher bestünde- denn sie ist keine andere als die Theologie". "Sie hat den Bildern, die uns seit langem vertraut sind, die Namen zu verleihen". Am Ende sieht Jünger Wiedererkennen und gewaltige Heiterkeit. Vielleicht wäre die Letzte Instanz des Buchtitels diese Heiterkeit. Jünger freilich war enttäuscht, dass die Theologie der Gegenwart dergleichen nicht leistet. Besonders missfiel ihm die historisch-kritische Theologie der Protestanten.

Wie das biographisch in den Katholizismus mündet weiß man nicht so recht. Aber immerhin so viel: Roland Niebel, der katholische Pfarrer von Wilflingen, hat mir erzählt, Jünger sei regelmäßig Samstag nachmittags bei ihm vorbei gekommen, und da habe man miteinander geredet. Die Macht des persönlichen Wortes eben.

Helmut Falkenstörfer


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