Friedrich Hausen

Wert und Sinn

Apriorische Hermeneutik des Tuns und Fühlens
in der Spur Max Schelers

SCHELERIANA, Band 3

Rezension


In der philosophischen ebenso wie auch in der sozialwissenschaftlichen Literatur kann den Ansprüchen historischer Forschung sowie denjenigen eher systematischer und gegenwartsbezogener Arbeit selten gleichermaßen Genüge getan werden, so dass es in der Regel zur Scheidung zweier Wissenschaftskulturen kommt. In der Philosophie speziell haben die mit der analytischen Methode arbeitenden Philosophen ein eher verhaltenes Interesse an (in ihren Augen) zu spekulativen Denkern wie Max Scheler (was gleichermaßen für Dilthey, Heidegger, Benjamin u.a. gilt), deren Exegeten wiederum mit den Problemen moderner Wahrheits- oder Handlungstheorie meistens genau so wenig anzufangen wissen wie die von ihnen Kanonisierten zu ihrer Zeit mit der sogenannten ‚Logistik' als einer der Frühformen analytischer Philosophie. Friedrich Hausen unternimmt in seiner Dissertation den mutigen Versuch, Schelers einhundert Jahre zurückreichende Wertphilosophie für die modernen Auseinandersetzungen in der Philosophie der Emotionen als auch für andere Teile der analytischen Philosophie, wie v.a. die Sprach- und Handlungstheorie etwa Donald Davidsons anschlussfähig zu machen. Natürlich müssen beim Versuch, den Metaphysiker und Weltanschauungs-, den Religions- und Geschichtsphilosophen, den christlich inspirierten Ethiker und Soziologen und nicht zuletzt den Kulturkritiker Max Scheler für eben diese Handlungstheorie anschlussfähig zu machen, zwangsläufig viele Aspekte, Probleme und Intentionen innerhalb dieses vielschichtigen Werkes dieser Modernisierung zum Opfer fallen. Hausen gelingt es dennoch, einige zentrale Ideen Schelers in die Sprache der analytischen Philosophie zu überführen und dabei zugleich auf Schwachstellen in dem fragmentarischen Systembau und im Argumentationsgang Schelers zu verweisen. Der Wert dieser Leistung besteht dabei weniger In dem Nachweis, dass Scheler gerade seiner Anschlussfähigkeit wegen auch der Gegenwart etwas zu sagen hätte, sondern umgekehrt darin, dass und inwiefern die analytische Philosophie sich als kompatibel mit Gehalten auch späterer Klassiker der Philosophie erweist, wenn nicht gar hierin eine Bereicherung erfährt.

Naturgemäß knüpft Hausen (116-135, 147 und 187f) für sein Projekt an wertrealistische Positionen der analytischen Philosophie, vor allem an Kevin Mulligan und Christine Tappolet, daneben aber auch an Donald Davidson an, der abseits der Auseinandersetzungen um die kognitive Rolle von Emotionen seine Sprach- und Handlungstheorie bereits auf Werturteile angewandt hatte, um deren objektiven Status zu erweisen (Davidson 2006, 49-110). Eine weitere Rolle spielt der sogenannte Buck-Passing-Ansatz, der von Thomas M. Scanlon entwickelt und zeitweilig von Mulligan oder David Wiggins als Versuch, zwischen den Extremen eines Wertobjektivismus und Wertsubjektivismus zu vermitteln, übernommen worden ist. Um der starken und problematischen ontologischen Behauptung einer Existenz objektiver Werte zu entgehen, wird hier der Ausweg über die Bezugnahme auf rationale Begründungen oder auch natürliche Eigenschaften von Elementen einer Situation gegangen Hausen folgt diesem Weg nur streckenweise, um die Grundideen des Wertrealismus und des erkenntnistheoretischen Intuitionismus Schelers zu retten.

Schelers metaphysische und epistemologische Grundannahmen werden im Anschluss an David Lewis und Timothy Williamson reformuliert, um so mithilfe der nunmehr "modaltheoretisch überformten Phänomenologie" (94) die Möglichkeit asymbolischer respektive phänomenologischer Wesens-Erkenntnis plausibel machen sowie etwaige Einwände (hier von Herbert Schnädelbach oder Karl-Otto Apel) zurückweisen zu können Im Mittelpunkt des Buches stehen aber weniger die erkenntnistheoretischen und ontologischen Voraussetzungen der Phänomenologie, sondern der, Versuch, den Begriff des "Wertes" und den apriorischen Charakter der Rangordnung der Werte über eine Theorie des Verstehens als auch mithilfe eines modifizierten Personen-Konzepts neu zu fundieren Damit betritt Hausen für die weitgehend analytisch geprägte Philosophie der Emotionen und Werte ein Neuland, auf das diese sich - sicherlich auch infolge des lange Jahre vorherrschenden Wertskeptizismus - bisher kaum gewagt hatte.

Insofern Hausen den Begriff des Wertes über denjenigen des Sinns und der Person neu zu bestimmen sucht, bezeichnet er sein eigenes Projekt auch als eine "Hermeneutik des personalen Lebens" (255) und fordert, das Bemühen um eine apriorisch begründete Wertethik bei Scheler "in eine apriorische Hermeneutik des Tuns und Fühlens" (256) umzudeuten. Hierzu schlagt Hausen zu Beginn vor, Werte in der Definition Schelers als "Bedeutsamkeitseigenschaften von Elementen von Situationen" (vgl. 148 und ff.) zu begreifen. Etwas habe objektiven Wert genau dann, wenn es unabhängig von der Realisiertheit an einem Träger affektiv erfasst werden könne, wenn es eine "Bedeutsamkeitseigenschaft" eines Elementes einer möglichen Situation aufweise (sei dies ein Ereignis oder menschliches Verhalten) und darin für mindestens ein mögliches Subjekt von Vor- oder Nachteil sei (151 und 519). Die intuitiv als Vor- oder Nachteil erfassten "Bedeutsamkeitseigenschaften" motivierten dann zu einem sinnvollen und verstehbaren Handeln. Jenseits der hier schon stark vereinfachten Sprache analytischer Philosophie ließe sich Hausens Grundanliegen weiter so reformulieren: Was objektiv wertvoll ist, das lässt sich darüber bestimmen, was wir intuitiv als sinnvoll und vor allem als sinnvolles Handeln erfassen. Die analytische "Hermeneutik des Tuns und Fühlens" bestimmt sinnvolles und verständliches Handeln dann als solches, das imstande ist, sich oder anderen "einen realen Vorteil zu realisieren" (338) und setzt somit voraus, dass es ein selbstbestimmtes und rational verstehbares ist Im Wesentlichen werden mithin Schelers Werte über den Begriff des sinnvollen Handelns neu erfasst, und da Sinnhaftigkeit als eine graduelle Eigenschaft konzipiert wird, deren Steigerung von derjenigen ihrer (gleich naher auszuführenden) Faktoren und Elemente abhängt, kann Hausen Schelers Rangordnung als eine auf ein einziges Prinzip gründende graduelle Hierarchie rekonstruieren und auf die Idee wesensmäßig getrennter Wert-Sphären verzichten.

Die Grundarchitektonik von Schelers Wert-Rangordnung wird von Hausen beibehalten, d.h. es lassen sich in aufsteigender Skala zunächst die sinnlichen, dann die vitalen, die geistigen und zuletzt die heiligen Werte unterscheiden. Bei den Modalitäten der Werterkenntnis wird im ersten Schritt das "Wertfühlen" in seiner kognitiven Funktion gegenüber Scheler deutlich aufgewertet und ausführlicher diskutiert, darüber hinaus werden aber auch das "Vorziehen" und "Nachsetzen" (als wesentliche Akte der Erfassung der Rangordnung bei Scheler) untersucht Die Akte des Liebens und Hassens hingegen fallen bei Hausen weitgehend unter den Tisch (197-203), und seine Ausführungen zu Fragen des Wertfühlens einer - sowie der modifizierten Rangordnung andererseits stehen sich relativ unvermittelt gegenüber. Sodann werden die Merkmale der Werte, die über deren Ranghöhe letztlich entscheiden (Dauer, Unteilbarkeit des Trägers, Fundierungsverhältnis, Tiefe und Relativität) der Reihe nach kritisch diskutiert und teils begrifflich neu gefasst. Unter anderem wird bezweifelt, dass "Fundierung" ein eigenes Merkmal darstellen könne; an anderer Stelle wiederum reklamiert Hausen, dass "Tiefe" letztlich über andere Merkmale definiert werden und daher womöglich wegfallen könne. Die entscheidende Neuerung Hausens betrifft aber das Prinzip, mit dessen Hilfe er die Rangordnung verbindlicher begründen will, insofern es unter anderem den inhärenten Zusammenhang der angeführten Merkmale darlegen soll. Dieses Prinzip wird als "personale Aktivität" aufgefasst, so dass mit "Graden intentionaler Involviertheit" (221) die jeweilige Ranghöhe des Wertes einer Handlung, eines Sachverhalts oder anderer möglicher Wertträger bestimmt werden soll. An dieser Stelle kommt es zu einer markanten Abweichung gegenüber dem Ansinnen Schelers, der zwar auch von einer unterschiedlich intensiven Anteilnahme der Person an den jeweiligen Wertsphären, nicht jedoch von erhöhter Aktivität oder gesteigerter Intentionalität gesprochen hatte. Hausens Einführung des Prinzips der Aktivität und seine Rede von Stufen "intentionaler Bestimmtheit" (221) suggerieren, wie noch zu zeigen sein wird, eine Auffassung von Intentionalität als einem Zweckhandeln, die wesentlich von Schelers ‚Intentionen' abweicht. Eine weitere Besonderheit der Rangordnung Hausens ist es sodann, innerhalb derselben zusätzlich die geistigen Werte horizontal nach den Merkmalen der Gegenwart (ästhetische), der Aktivität (sittliche) und der Information (Wissens und Weisheits-Werte) zu gliedern und dasselbe Schema dann auch auf die Vital-(Lebensgefühle, Handlungsfähigkeit und Wissen) und auf die sinnlichen Werte (Werte des Angenehmen, der Beweglichkeit und der Wahrnehmung) zu übertragen (223). Der Wert dieser Erneuerungen soll hier nicht weiter diskutiert werden, zumal er für die Absichten Hausens im weiteren Verlauf nicht von größerem Belang ist.

Auf die Sphäre heiliger Werte, die jedoch, wie viele weitere Konzepte Schelers, für Hausen allenfalls eine geringe Rolle spielen, lasst sich diese horizontale Gliederungsebene dann nicht mehr ausweiten Die Interpretation des Heiligen als einer Art Zusammenführung der geistigen bzw. der Kulturwerte sowie des Unheiligen als einem ‚Sinn-zerstörenden Sinn' (195f.) entspricht sicherlich nicht den Absichten Schelers, wohl aber dem säkularen Wertverständnis Hausens. So wie die Liebe als wertschaffender Akt, der Begriff der intimen Person als (Teil-)Träger des sittlichen (bei Hausen sinnvollen) Handelns oder auch der Begriff der Gesamtperson sowie die anderen der Rangordnung entsprechenden möglichen sozialen Wesenheiten (Masse, Lebensgemeinschaft, Gesellschaft) und damit auch das für Schelers Ethik zentral motivierende‚ Solidaritätsprinzip' von Hausen komplett ausgespart werden, da alle mehr, oder minder deutliche Spuren des spekulativen Charakters von Schelers Denken an sich tragen, wird schon früh ersichtlich, dass Hausens Rangordnung eben Kind einer anderen Zeit ist. Hier rangieren unter der Hand die Kulturwerte am höchsten (wenngleich diese formal weiterhin den heiligen untergeordnet werden), und Hausen lässt sich weitaus mehr über den wert- und sinnvollen Aspekt insbesondere der ästhetischen Werte aus, die er mit dem Begriff einer ‚Kultur der Aufmerksamkeit' zu ersetzen versucht, als dass er der Frage nachgeht, ob und inwieweit kulturelle Werte ihrerseits einer Fundierung bedürfen. Kunst und Wissen als geistige Werte kultivierten eben die Wahrnehmungs-, Sprach- und zuletzt Handlungsfähigkeit des Menschen und steigerten so das Potenzial zu sinnvollem Handeln. Hausen sieht also insbesondere den konsekutiven Wertaspekt geistiger Werte und Güter, d.h. denjenigen Wert, der ihnen als Mittel der Selbstwert- Steigerung für das Individuum zukommt. Höhere Werte zu realisieren bedeute, so Hausen, einen "probabilistischen Vorteil", und je höher der realisierte Wert, desto mehr fördere man seine Selbstwerthaftigkeit oder die anderer möglicher Träger. Doch was wird genau unter ‚sinnvollem Handeln' und ‚Selbstwerthaftigkeit' verstanden?

Als Medium der Kommunikation gehört Sinn dem Menschen als Person wesensmäßig zu. Handlungen von Personen werden mit Bezug auf Gründe und Motive, letztlich auf Sinngebung verstanden und nicht unter Rekurs auf natürliche Ursachen erklärt. Hierin ist sich die analytische Philosophie (seit ihrem Abrücken vom naiven Naturalismus) weitgehend einig mit den neuidealistischen Strömungen der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert. In seinem engem Zusammenhang mit dem Begriff des Geistes kann der für sich betrachtet zunächst einmal neutrale Sinn-Begriff darüber hinaus zu einem Kriterium des Wertens gemacht werden, so wie man historisch oft den Menschen gegenüber den Tieren, die eigene Kultur gegenüber anderen und innerhalb der eigenen eine ‚eigentliche' Kultur (meist der eigenen Minderheit) über den als ‚Geist' begriffenen Sinn bestimmt hat. Wer nur oder mehrheitlich sinnliche und vitale Werte realisiere (bzw. Bedürfnisse befriedige), handele und sei demnach letztlich weniger sinn- und wertvoll. Aus einem ähnlichen Grund werden wohl auch ontogenetische Reifungs- wie auch phylogenetische Entwicklungsprozesse üblicherweise als geistiger respektive kultureller Fortschritt (wenn auch nicht als Steigerung von ‚Sinn') konzipiert, auch wenn die kulturellen Errungenschaften nicht immer und nicht von allen gleichermaßen gepflegt werden (können). Hausens Anspruch ist es nun, mithilfe begrifflicher Zergliederung und logischer Operationen genauer angeben zu können, wie man dieses ‚Mehr' an sinnvollem Handeln zu verdeutlichen vermag.

Hierfür werden zunächst interne und externe Sinn-Kriterien unterschieden, die als exakt definierte eine Quantifizierung ermöglichen sollen, "so dass Sinn und Wert in quantitativen Relationen ausdrückbar werden und von höherer Sinnquantität auf höhere Wertquantität geschlossen werden kann" (259). Damit wird zuletzt nahegelegt, den Wert einer Handlung, Situation, Person usw., der kaum noch von dem sich unterscheidet, was in der Entscheidungstheorie ‚Nutzen' genannt wird, punktgenau auf der objektiven Rang- statt nur in einer subjektiven Präferenzordnung angeben zu können. Dies ist freilich das genaue Gegenteil von dem, was Scheler denkt und sagt; "Werte sind als pure Qualitäten unmessbar" (Scheler 1966, 121, Anm. 3).

Interne Sinn-Kriterien sind solche der Kohärenz und Konsistenz, die "in der erst persönlichen Perspektive" (310) verbleiben und dasjenige umfassen, was als schon angeführter Grad der Involviertheit der Person an einer Handlung oder Situation angesprochen wurde Externe Kriterien hingegen beziehen sich auf Adäquatheitsbedingungen sowohl des sinnvollen Handelns als auch des Verstehens dieser Handlungen, die auch anderen Akteuren zugänglich sind. Beide zusammen bilden die umfassenden Bedingungen für das Verständnis sinnvollen Handelns. Die internen Sinn-Kriterien kämen in einem von aller empirischen Erfahrung unabhängigen "Netz begrifflich notwendiger Beziehungen" (482) zum Ausdruck, wobei Hausen den auch von Scheler zentral thematisierten Zusammenhang von Freiheit, Sinn und Personen-Sein in technischeren Ausdrücken der analytischen Philosophie bzw zuletzt in logisch streng formulierten Äquivalenzthesen fasst. Nachdem er Freiheit und Autonomie in Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmtheit übersetzt hat, weist Hausen logisch nach, dass wert- und sinnvolles Handeln einer Person auf das wechselhafte Zusammenwirken mehrerer interner Bedingungen angewiesen ist: auf die rationale Verstehbarkeit und sodann die Selbstwirksamkeit einer Handlung. Überdies müsse eine Handlung motiviert, durch Wertintentionalität bestimmt und zuletzt in einem kohärenten Sinnzusammenhang (hier die Sinn-Kontinuität bei einer Person) lokalisierbar sein. Alle internen Kriterien verweisen aufeinander bzw. jedes einzelne Kriterium ist auf die Erfüllung aller anderen angewiesen, um sinn- und wertvolles Handeln zu realisieren und auch zu verstehen. Ob und wenn ja .in welchem Sinne die Quantifizierbarkeit auf die genannten internen Sinnkriterien angewandt werden soll, bleibt unklar, wie auch die Frage, was mit ihnen für die Neufundierung der Werte-Ordnung Schelers gewonnen wird.

Der Wert und der Sinn von Handlungen oder von Situationen und das angemessene Verstehen derselben sind ferner auf externe Adäquatheitsbedingungen angewiesen. Hierzu rechnet, dass Menschen die in einer jeweiligen Situation angemessenen Mittel kennen und sie willentlich wählen und dass sie insbesondere bestrebt sind, selbstwerthaftes Erfahren und Erleben entweder für, sich oder für andere wahrscheinlicher zu machen. Hausen nennt dies das Prinzip zur Beförderung der Selbtstwerthaftigkeit (BSW), wobei Selbstwerthaftigkeit als "das gemeinsame [!] der erlebten Wertqualitäten, die um ihrer selbst geschätzt, erstrebt [...] etc. werden" (339), aufgefasst wird, und die Selbstwerthaftigkeit steigt, je mehr ein Handeln an höheren Werten orientiert wird (398).

Dabei geht Hausen davon aus, dass Menschen ihr Handeln normalerweise an der Steigerung von Selbstwerthaftigkeit orientieren, anderenfalls menschliches Handeln (holistisch betrachtet) kaum sinnvoll zu interpretieren sei (379). Handeln, das dem Prinzip BSW widerspricht, sei weder verständlich noch sinnvoll und daher auch von tendenziell geringerem Wert; es erscheint spontan als fremdbestimmt und ist nur kausal (im Sinne des Naturalismus) erklärbar. Im gleichen Sinne unterstellt Hausen auch - in Erweiterung von Davidsons principle of charity - ein Prinzip der Sinnmaximierung (311-323) als Bedingung der Interpretation, wonach den Akteuren stets ein Maximum an Sinnhaftigkeit ihrer Handlungenunterstellt werden müsse. Das sehr anspruchsvolle analytische Modell Hausens kann stark verkürzt dahingehend zusammengefasst werden, dass Sinn und Wert auf die Intentionalität eines Akteurs, auf dessen Selbstwirksamkeit (im Sinne der Handlungsfreiheit) sowie auf die Adäquatheit des Handelns angewiesen sind. Die Adäquatheit soll sich dabei weniger in Gründen (wie im Buck-Passing-Ansatz), sondern vielmehr in objektiven Bewährungszusammenhängen erweisen, womit Hausen nun wiederum der Tatsache gerecht zu werden versucht, dass man wertvolles Handeln (oder dessen Erfassung) nicht umstandslos rational begründen kann, sondern dieses vielmehr intuitiv erfasst. Hier verlässt Hausen für einen Moment sein rationalistisch wirkendes Handlungsmodell zugunsten des auch von Scheler stets unterstellten eher intuitiven Handelns. Denn zuletzt sucht Hausen eine Bestätigung seiner interne und externe Sinn-Kriterien umfassenden ‚Hermeneutik' in einer "Phänomenologie der Achtung", mit deren Hilfe in der Handlungs- und Verstehenstheorie stärker die sozialen Aspekte berücksichtigt werden können. Die These ist hier, dass je ranghöher ein Wert bzw. je sinnvoller ein Handeln sei, das entsprechende Handeln oder gar die Person als deren Träger auch umso mehr sozial geachtet werde. Achtung anderer sowie Selbstachtung verwiesen abermals auf die tragende Rolle des Wertfühlens, wie sie bereits im Zentrum von Schelers Wertephilosophie gestanden haben soll (was aber streng betrachtet nicht der Fall ist).

Insgesamt verdient die Bereicherung der Auseinandersetzungen in der analytischen Philosophie und die Einführung der Idee einer Wert Rangordnung in jedem Fall Anerkennung, nicht vorrangig deshalb, weil im Nachweis seiner Modernität womöglich die Erbschaft Schelers gerettet wäre, sondern weil der Problemhorizont herkömmlicher Sprach- und Handlungstheorien wesentlich erweitert wird. Dadurch, dass Hausen die Werte-Hierarchie und damit die Werte und Wertaspekte auf ein quantifizierbares Prinzip fundiert, könnte sein Modell in der Ethik einen Weg aufzeigen, der beispielsweise Tugend- und Pflichtethiken zusammenzuführen und dabei zusätzlich teleologische Elemente (sinnvolles Handeln als Steigerung von Selbstwerthaftigkeit) einzubeziehen vermag. Inwiefern die klassisch utilitaristische Perspektive, der Hausen methodisch und terminologisch insgesamt sehr nahe steht, mit seinen Erneuerungen etwas anzufangen vermag, soll der Zukunft überlassen, bleiben.

Schelers Reserviertheit gegenüber allen rationalistischen Moralprinzipien wird in jedem Fall überwunden und mit dem Prinzip BSW sowie dem ansatzweisen Einbezug der Fremdbestimmung ein Modell vorgeschlagen, welches normatives Potential aufweist, auch wenn es zunächst in weiten Teilen nur eine Theorie über die Bedingungen kohärenten Verstehens menschlicher Handlungen zu sein beansprucht. Und hierin liegt ein grundsätzliches Problem: Hausen greift zur Reformulierung eines Buches, welches die theoretischen (oder phänomenologischen) Grundlagen einer jeden Ethik zu liefern beansprucht, auf diverse Zweige der theoretischen Philosophie zurück, die von einem teilweise völlig anderen Problembewusstsein getragen sind. So entsteht der Eindruck, Hausen nähere sich einer Sache mit Methoden, die dieser nicht gerecht werden können. Und so kommt es, dass beim Problem der Anwendung des theoretischen Modells, wie Hausen selbst zugesteht, viele Fragen offen bleiben, allen voran die Frage nach dem Status des Modells und damit der ‚Werte-Ordnung' gilt diese global oder ist sie Ausdruck kultureller Besonderheiten? Falls ersteres, worin bestehen die realen Abweichungen, zum Beispiel Schelers "Werttäuschungen" usw.? Und welche normative Kraft hat dann der apriorische Status des Rasters an "Bedeutsamkeitseigenschaften"?

Trotz der Verdienste von Hausens umfangreicher Arbeit wohnen ihr drei grundlegende Schwächen inne. Da ist zum ersten der Anspruch, die Wissenschaftlichkeit philosophischer Ideen und Konzepte über vermeintliche Exaktheit zu definieren bzw. die Philosophie darauf zu verpflichten, "an den Idealen der Wissenschaft orientiert" (473) zu sein, was dem von Scheler beworbenen Philosophie-Begriff konträr entgegensteht . Nicht nur dass die Philosophie als wesensverschieden von den Einzelwissenschaften begriffen und als Bildungs- und Heils- vom Herrschaftswissen unterschieden wird und dass Scheler die Anfänge der analytischen Philosophie (den Empiriokritizismus und den ‚Logizismus') als sich selbst missverstehende Philosophien im Zuge der Wertverschiebungen aufgefasst hatte; abgesehen davon ist die analytische Setzung von Begriffen und deren beinahe tautologische Entwicklung um nichts wissenschaftlicher i.S.v. überprüfbarer als die phänomenologische ‚Schau', weshalb letztlich die Frage bleibt, wieweit Hausen seine eigene Behauptung einer asymbolischen und präreflexiven Erkenntnis ‚empirisch' überprüfen kann. Hier scheint Hausen noch zu sehr dem Geiste der frühen analytischen Philosophie verpflichtet zu sein.

Ein weiteres Problemfeld betrifft die handlungstheoretische Fundierung und Neuformulierung Schelers. In der Handlungstheorie zunächst droht die kriteriale und quantifizierbare Bestimmung von Sinn und Wert das Modell Hausens aus der "Spur" Schelers zu werfen, insofern Schelers Personenkonzept zunehmend durch einen Wert als dem vermeintlich sinnvoller handelnden Nutzenmaximierer ersetzt wird. Die Intentionalität bzw. das Involviertsein der Person als Ganzer wird sodann als graduelles und mehrstufiges Konzept sinn- und (so letztlich suggerierend)zweckvollen Handelns interpretiert wird (siehe v.a. 267ff).Die Rede von ‚Akteuren' oder vom ‚kohärenten Motiviertsein', gerade aber auch diejenige von ‚probabilistischen Vorteilen' sowie die vom ‚Sinnmaximierungs-Prinzip' lassen eher an ein um die kulturelle Dimension erweitertes entscheidungstheoretisches Modell oder eine phänomenologisch erweiterte Handlungstheorie denken, und es fallt teilweise schwer, den Bezug zur Philosophie Schelers hierin wiederzuentdecken. Entgegen dem phänomenologischen Begriff der Intentionalität entstammt der Intentionalitätsbegriff Hausens, wie die gesamte analytische Methode, der er folgt, eher den metaphysischen Voraussetzungen und dem geistigen Horizont des Methodologischen Individualismus. Schwer zu vermitteln mit diesem ist die für Schelers Ansatz entscheidende Forderung, "dass Werte durch Wollen und Tun um so weniger realisierbar sind, je höher an Rang sie sind" (Scheler 1966, 19, Anm. 2) Und spielt bei Scheler noch die Gesinnung eine zentrale Rolle als Wertträger, die aber, wie überhaupt das Verstehen einer Person, keinesfalls (im Unterschied zum Charakter) über Handlungen erschlossen werden könne, so steht bei Hausen das Erfassen von Wert- als Sinnvollem über das Handeln beinahe im Vordergrund. So heißt es (mit Alan Gewirth): Wer seine eigenen Ziele und Mittel negativ bewerte, aber ihnen folge, der handele zwangsläufig defizient (291), was denjenigen, die ihre Ziele und Mittel nicht über das Nötigste (mithin die vitalen Werte) hinaus entwerfen können, zwangsläufig einen minderen Wert zuordnet. Generell führt die handlungstheoretische Fundierung zu der paradoxen Lage, dass man die Entstehung vieler kultureller und mehr noch religiöser Güter und Werte - historisch in der Regel gegen alle ökonomische gefasste Situationsrationalität entstanden - mit dem Bestehen der vermeintlich apriorischen Werte-Ordnung gar nicht als solche begreifen kann. Wenn Innovationen nur im Rahmen von Bewährungszusammenhängen möglich sein sollen (354), muss solches Handeln, dass (im Sinne Schelers) den "Umsturz der Werte" innerhalb bestehender Wertschätzungs-Verhältnisse rückgängig zu machen sucht, sogleich als sinnlos begriffen werden. Das gilt auch bereits für sittliches Handeln, welches doch eigentlich Hausens Prinzip BSW entsprechen sollte. Diesbezüglich liest man bei ihm, dass sinnvolles Handeln als ein solches aufgefasst werden müsse, das sich erreichbarer Ziele verschreibt (315f.) und keinem Utopismus huldige (421); oder dass, wer sich selbst ganz aufgäbe und nur anderen diente - bzw. helfe, wie zu ergänzen wäre - eben auch nicht sinnvoll handele (383), was zu dem ungewollten Ergebnis führen würde, das von Scheler als im höchsten Maße als sittlich bewertete Handeln (Franz von Assisi) als ein absolut unsittliches weil sinnloses begreifen zu müssen.

In ethischer Hinsicht trägt dies Hausen jenen Vorwurf ein, den Scheler unter anderem gegen Kant formuliert hatte, wonach sich aus dem hier verwendeten Autonomiebegriff keine Solidarität ableiten ließe. Durch die Verwendung eines alternativen Personen-Begriffs und vor allem durch den weitgehenden Verzicht auf den Begriff der Gesamt-Person - womit die Idee einer Gesamtschuld und der jeweiligen Mitverantwortung gegenüber den sozialen Verbänden eng verbunden ist - bleibt unklar, wie mit dem handlungstheoretischen Modell das für Schelers Ethik so zentrale Solidaritätsprinzip (als säkularisierter Ausdruck christlicher Nächstenliebe) gewonnen oder überhaupt erhalten werden kann.

Grundsätzlich scheinen die Steigerung von Selbstwerthaftigkeit und die Bestimmungen kohärenten sinnvollen Handelns (also die externen und internen Bedingungen) nicht ausreichend vermittelt und in ihren Spannungsverhältnissen vorgestellt zu werden Zudem bleibt das Prinzip BSW viel zu unbestimmt, wenn es von der Beförderung des "Gemeinsamen" erlebter Qualitäten spricht. Daher besteht das Problem der von Hausen beanspruchten globalen Reichweite des Modells, d.h. die Frage, inwieweit es etwa Kinder, Menschen mit Behinderungen oder in einem noch umgreifenderen Sinne, ganz allgemein Naturverhältnisse einzubeziehen vermag. Scheler selbst hat darüber nachgedacht, wie grundlegende vitale Kompetenzen beibehalten oder erworben und mit den geistigen in einen Ausgleich gebracht werden könnten. Über den Begriff der intimen Person versucht seine Ethik zudem, ‚defiziente Sinn-Maximierer', als welche Menschen mit geistigen Behinderungen ebenso wie Kinder oder ‚Primitive' in der Terminologie Hausens bezeichnet werden könnten, in die Möglichkeit eines sinnvollen Miteinanders zu integrieren. Sie rekurriert also an diesem Punkt auf der Forderung, allen Menschen gleichermaßen den Personenstatus zuzusprechen (Scheler 1966, 371). Demgegenüber steht aber bei Scheler auch die Einsicht in die Fragilität des Personenstatus bzw. die Bestimmung desselben über die "Vollsinnigkeit" (ebd., 469f.), woran dann auch Hausen anschließt. Ohne eine angemessene Neufassung der Begriffe des Heiligen und der intimen Person, denen gegenüber alles Verstehen bestehende Sinnzusammenhänge zu transzendieren genötigt ist, fehlt dem Model Hausens ein Mittel, den Zusammenhang der Werte und des sittlichen Handelns zu konzeptualisieren.

Eine dritte Schwäche teilt Hausen mit Scheler selbst: sie betrifft die Grundvoraussetzungen (s)einer Axiologie Die mit Schelers Ethik auf das engste verbundene Weltanschauungslehre ist zunächst (wie zuvor die Ansätze Diltheys oder Rickerts) auf Neutralität, und Ausgleich im damaligen ‚Kampf der Weltanschauungen' bemüht, um für sich selbst dem Ideologieverdacht zu entgehen. Umgekehrt will sie aber der Philosophie eben diesen ideologischen und orientierenden Charakter, ohne den der gesamten Kultur und Wertkritik der Boden entzogen wäre, wahren. Vor diesem Hintergrund schwankt auch Schelers Ethik, insbesondere seine Wertehierarchie zwischen einem offenen bzw. formalen Konzept, demnach nichts über die konkrete Ausgestaltung der Werteordnung ausgesagt werden soll und der Idee einer ‚ewigen Ordnung' und Wesensschau als Maßstab der Kritik konkreter Wertschätzungen und der bürgerlichen Kultur. Die gesellschaftlichen Bedingungen von Wertkonflikten sind im Rahmen dieser Philosophie kaum angemessen erklärbar, weil deren vordergründiges Anliegen in der Zurückeroberung des weltanschaulichen Monopols der Geisteswissenschaften und der Philosophie sowie in dem Versuch einer Überwindung des naturalistisch-materialistischen Weltbilds des marxistischen Sozialismus bestand. Als Alternative hierzu wurde eine idealistische Geschichtsphilosophie etabliert, in der - dies hat Scheler weitaus mehr als Dilthey oder Rickert auszuarbeiten vermocht - statt der alleinigen Würdigung der sozioökonomischen Machtverhältnisse (mit Nietzsche) Wertschätzungen und -haltungen, dahinter stehend aber vor allem die Kultur der Eliten zum. eigentlichen Agens der Geschichte gemacht wurden.

Auch Hausen verschreibt sich letztlich dem idealistischen Grundgedanken, über die Aufdeckung und Explikation der als Letztelemente eingeführten Wertschätzungen herausfinden zu wollen, "was für unser Leben wirklich wichtig ist und ob es eine konsensfähige objektive Wertgrundlage gibt" (13), also darzulegen, "was wirklich für [...] Menschen gut und wertvoll (bzw. gefährlich und schädlich) ist." (14) Da es ihm aber an einer soziologisch fundierten Theorie der Werttäuschungen mangelt, können die Idee einer rein apriorisch vorgestellten, in gewisser Maßen formalen Ordnung, und der Anspruch eines wie auch immer orientierenden Systems nur schwer vermittelt werden. Dem auf Praxis und Orientierung hin entworfenen Modell mangelt es letztlich an einem angemessenen Selbstverständnis seiner selbst zur Praxis, worüber sich Hausen am Ende seiner Arbeit durchaus bewusst ist (491ff).

Neben diesen drei grundlegenden Problemfeldern können am Ende nur noch vereinzelt Fragen aufgeworfen werden. Ist Hausen tatsächlich dem "Hauptanliegen der Arbeit [...]‚ Schelers ‚Apriorismus des Emotionalen' in seiner Tragweite explizit zu machen" (496), gerecht geworden, wenn er die Ausführungen zur Rolle und Funktion des Wertfühlens so wenig mit dem begrifflichen Raster, als welches die Werteordnung bei ihm erscheint, zu vermitteln vermag? Kann man bei den internen und externen Bedingungen sinnvollen Handelns und Verstehens tatsächlich von apriorischen Kriterien bzw. von einem explizierten, für alle Menschen gleichermaßen intuitiv erfassbaren "existenziellen Bedeutungszusammenhang" reden - statt von einem heuristischen und kontrafaktischen Interpretationsmuster? Wie gestaltet sich das Verhältnis interner und externer Sinnkriterien oder dasjenige von Selbst- und konsekutivem Wert? Diese Fragen zu beantworten hieße zugleich, Klarheit darüber zu gewinnen, inwiefern die Vereinigung von handlungstheoretischer Perspektive und phänomenologisch fundiertem Solidarismus (einschließlich der Idee der Selbstwerthaftigkeit) überhaupt sinnvoll oder auch nur möglich ist. Insgesamt ist Hausen aber in jedem Fall ein besserer Nachweis, eine gründlichere Fundierung der Wertehierachie gelungen als dies bei Scheler der Fall ist - nur dass diese über einige Strecken derjenigen Schelers nur noch äußerlich ähnelt.

Cristof Judenau


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