Lisa-Marie Lenk

Diversity-Management im Sozial- und Gesundheitswesen

"Am Beispiel des Genderaspekts"

libri virides Band 17

Rezension


Diversity und die Genderdimension

Das Buch möchte Führungskräfte im Sozial- und Gesundheitswesen ansprechen und ihnen das Konzept des Diversity-Managements unter besonderer Berücksichtigung der Gender-Dimension näherbringen. Die Autorin greift damit ein Thema auf, das seit den Neunzigererjahren auch im deutschsprachigen Europa diskutiert wird, und liefert mit ihrem Buch eine gute Übersicht der seit damals publizierten Beiträge, die für den Sozial- und Gesundheitsbereich relevant sind.

Aufbau und Inhalt

Die weiterhin nachweisbare ungleiche Verteilung von weiblichem und männlichem Personal im Sozial- und Gesundheitswesen wird in der Ausganglage, Kapitel 1 Einleitung, dargelegt. So findet sich in diesem frauendominierenden Arbeitsbereich eine Überrepräsentation von Männern an der Führungsspitze. Die Autorin postuliert, dass mit einem Diversity-Management (DiM), welches die Gender-Dimension speziell berücksichtigt, hier eine Veränderung herbeigeführt werden könnte.

So wird denn auch im folgenden Kapitel 2 geklärt, um welches DiM es sich handeln müsste. Die Begriffsklärung betreffend DiM basiert auf der Unterscheidung von Diskriminierung und Vielfalt (Diversity), derjenigen der Begriffsverwendung in den USA (Bürger_innenbewegung) und in Deutschland (hervorgebracht durch das Antidiskriminierungsgesetz). Die Autorin stellt bei der Unterscheidung fest, dass in den USA Differenz positiv besetz und mit Selbstbewusstsein verbunden ist, in Deutschland jedoch abgleitet von der Differenzverneinung (Stichwort Monokultur) und vom genderspezifischen Rollenverständnis der Frau im Dritten Reich die Förderung von Differenz mit inhärenten Barrieren verbunden ist. Für die weitere Herleitung werden verschiedene rechtlich-politische Faktoren erwähnt, die zusammen mit den Diversity-Massnahmen der Bundesregierung die Rahmenbedingungen für ein DiM Im Sozial- und Gesundheitswesen schaffen (Gleichstellungspolitik, Europarecht, Nationales Recht).

Im Kapitel 3 sind auf rund 50 Seiten die unterschiedlichen Definitionsansätze, die Debatten um die Diversity-Dimensionen und Paradigmen (nach Thomas/Ely) sowie die Argumentationslogiken für eine Favorisierung von DiM beschrieben. Mit der Zusammenstellung wird ein guter Überblick geliefert, der für Einsteiger_innen oder zur Lehrvorbereitung nützlich ist. Der kurze Exkurs zum systemtheoretischen Zugang nach N. Luhmann scheint aus dem Zusammenhang zu fallen, zumal er nicht wieder aufgenommen und der dazu wichtige Beitrag von Hafen und Gretler (2008) nicht berücksichtigt wird.

Im Kapitel 4 geht es um konkrete Implementierungsvorschläge. Die Autorin stütz sich vornehmlich auf die Texte von Hubertus Schröer, dem Geschäftsführer des Münchner Instituts für Interkulturelle Qualitätsentwicklung, sowie auf diejenigen von Michael Stuber, Leiter einer Kölner Personalberatungsfirma und Diversity-Experte.

Bevor auf die Massnahmen betreffend der Gender-Dimension (Gender-Mainstreaming) ausführlicher dargestellt werden, fasst die Autorin Programme betreffend der anderen Kategorien zusammen: Interkulturelle Orientierung und Öffnung, Inklusion behinderter Menschen, Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Lebensweisen, Mehrgenerationenarbeit. Die bis anhin durchwegs auch genannte Dimension Religion resp. Weltanschauung oder religiöse Glaubensprägung wird ausgelassen. Im Unterkapitel 4.3 wird kurz dargestellt, welche Risiken entstehen, wenn DiM kritiklos für die Soziale Arbeit übernommen wird. Auch nur gerade gestreift werden in diesem Unterkapitel das Thema Machtverhältnisse innerhalb der Organisation und die aus konstruktivistischer Sicht vorgebrachten Einwürfe betreffen der Herstellung von Differenz. Diversity bei der Arbeiterwohlfahrt wird dann als ein interessantes konkretes Beispiel von umgesetzten Massnahmen beschrieben. Mit Blick auf das Praxisfeld Gesundheitswesen wird das 2007 herausgekommene Buch von Eva Herrmann und Sandra Kätker zusammengefasst. Speziell hilfreich sind einerseits die Fragestellungen für die Führungspersonen (S. 128 und 129) sowie das Phasenmodell, das insbesondere in Bezug auf eine vernetzende Implementierung Praxisnähe beweist.

Eine kurze Zusammenfassung mit den wichtigsten Erkenntnissen rundet das Buch in den Kapiteln 5 und 6 ab.

Diskussion

Die vorliegende Publikation gibt einen guten Überblick über die Literatur betreffend Diversity im deutschsprachigen Raum. Die Darstellungen bleiben auf der Oberfläche, einzelne angesprochene kritische Punkte werden in der Argumentation nicht stringent verarbeitet, eine Diskussion über die Essentialisierung von Differenz wird überhaupt nicht geführt. Meines Erachtens kann heutzutage nicht ein Buch zu Diversity unter besonderer Berücksichtigung der Gender-Dimension im generischen Maskulinum verfasst werden. Es stört und bleibt absurd, wenn die beiden Krankenschwestern Eva Herrmann und Sanda Kätker als Dozenten (!) eingeführt werden (S. 126).

Ich hätte mir von einer jungen Wissenschaftlerin gewünscht, dass sie die emanzipatorischen Überlegungen des Gender-Mainstreaming, den prinzipiellen - und wie sie auch mit Verweis auf Staub-Bernasconi (S. 109, obwohl als Sekundärreferenz!) zeigt - den SA-spezifischen Grundsatz der Nichtdiskriminierung und die Kritik am Multikulturalismus respektive an der Essentialisierung von Differenz argumentatorisch und inhaltlich ins Zentrum gerückt hätte.

Auch wird der Frage nach der Kategorienbildung respektive der Dekonstruktion von Kategorien nicht genügend Rechnung getragen. Anhand der Genderdebatte liessen sich tatsächlich die verschiedenen Paradigmen wie Gleichstellung, Differenz, Dekonstruktion und kritische Männerforschung darlegen. Dass sie sich aber nicht ohne weiteres auf alle andere Diversity-Dimensionen übertragen lassen, hätte vermehrt diskutiert werden müssen.

Fazit

Die Publikation stellt die Frage nach dem für Führungskräfte im Sozial- und Gesundheitswesen notwendigen Wissen bezüglich Diversity-Management unter Berücksichtigung des Gender-Aspekts. Die Autorin kommt zum Schluss, dass in beiden Non-Profitbereichen die für die profitorientierten Organisationen erarbeiteten Legitimationslogiken und Massnahmen des Diversity-Managements im Prinzip und modellhaft übernommen werden können. Die Autorin verwendet ein hermeneutisches Verfahren zur Beantwortung ihrer Fragestellung. Meines Erachtens werden aber die Wirkungszusammenhänge betreffend Umgang mit Vielfalt und Differenz nicht durchwegs nachvollziehbar erklärt, weil kritische Beiträge zu DiM entweder nur gestreift oder ganz außer Acht gelassen werden. Die Publikation liefert einen nützlichen Überblick für Praktiker_innen im Sozial- und Gesundheitsbereich, ist aber keine sozialwissenschaftliche Bearbeitung des Themas mit klaren Theoriebezügen.

Dr. Rebekka Ehret


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