Jacqueline Burri

Die „gute“ Waldwirtschaft

Wandel und Kontinuität in der Wahrnehmung
und Bewirtschaftung des Gantrischgebietes
1848-1997

Berner Forschungen zur Regionalgeschichte, Band 18

Rezension


Die Menschen nutzten den Wald schon seit je für ihre vielfältigen Bedürfnisse. Die jeweiligen Ausprägungen ihrer Nutzungsansprüche haben sich über die Zeit in der Schweiz gewandelt, insbesondere vor dem Hintergrund der sich etablierenden eidgenössischen Forstgesetzgebung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. In ihrer Masterarbeit hinterfragt Jacqueline Burri die Konzeption einer sogenannten "guten" Waldwirtschaft. Sie analysiert die Nutzungsansprüche, die daraus abgeleiteten Bewirtschaftungsformen und die diese beeinflussenden Faktoren über den Zeitraum von 1848 bis 1997. Sie unterscheidet dabei jeweils die Forstpolitik des Bundes und des Kantons Bern - hier insbesondere diejenige der Berner Forstverwaltung - sowie die Umsetzung der forstpolitischen Maßnahmen auf lokaler Ebene am Beispiel des Gantrischgebietes.

Nach der Einleitung, die das Forschungsvorhaben rahmt, wird im zweiten Kapitel das Untersuchungsgebiet Gantrisch in Bezug auf seine geografische Lage, seine politisch-institutionelle Verwaltung sowie die Verteilung der Waldungen in der Region dargestellt. Die folgenden Kapitel beschreiben die verschiedenen Phasen der Waldbewirtschaftung, beginnend mit der Zeit, in der das sogenannte Abholzungsparadigma vorherrschte. Als zentral wird hier die Entwicklung hin zum ersten eidgenössischen Forstgesetz von 1876 dargestellt. Das Gesetz war insofern eine nationale Besonderheit, als dass es durch die Instrumentalisierung von Überschwemmungskatastrophen zustande kam. Erstmals konnte der Kausalzusammenhang zwischen der Entwaldung und den Überschwemmungen erklärt werden, wodurch sich der Schutzwaldgedanke etablierte. Dieser Wandel in der Wahrnehmung der Funktion des Waldes wurde dadurch begünstigt, dass importierte Kohle Holz als Brennstoff verdrängte.

Auch in der zweiten beschriebenen Phase, den Zwischenkriegsjahren, blieben das Abholzungsparadigma teilweise und das Verständnis der "guten", das heißt der gepflegten und unter staatlicher Aufsicht geführten Waldwirtschaft bestehen. Aber dennoch änderte sich der Diskurs langsam, einerseits durch eine Abwendung von der Idee der "Alpenplage", die davon ausging, dass die Bergbevölkerung durch ihre Waldnutzung Überschwemmungskatastrophen verursachte, und andererseits hin zu einer Akzeptanz der staatlichen Behörden in Forstfragen im Zusammenspiel mit den Kantonen. Für die lokale Ebene des Gantrischgebietes streicht die Autorin hervor, dass die starken staatlichen Eingriffe und die neue Verbündung von Bund und Kanton mit Protestbewegungen der Bevölkerung einhergingen, zum Beispiel durch Missachtung des Waldweideverbots Die Idee der Wirtschaftlichkeit der Wälder setzte sich in dieser Zeit als oberstes Ziel im Sinne der Kielwassertheorie - eine geordnete Holznutzung fordere auch die anderen Funktionen des Waldes - weiter durch.

Die Phase nach 1945 wird als eine Zeit der Transition verstanden. Einerseits kommen in den Diskursen dieser Zeit zum ersten Mal explizit die Wohlfahrtsfunktion der Wälder sowie Rodungen durch Siedlungsdruck zur Sprache. Andererseits wird auch der Schutzgedanke der Wälder weiter ausgebaut. Ab 1960 erfolgte mit der Idee des naturnahen Waldbaus der sich zuvor schon abzeichnende Paradigmenwechsel. Dieser wurde durch die Waldsterbedebatte der 1980er Jahre, die Vervielfachung immaterieller Ansprüche an den Wald sowie die schwierige finanzielle Lage der Forstbetriebe unterstützt, so Burri.

Der sehr gute und konsistente Aufbau der Forschungsarbeit untermauert die differenzierte Analyse. Es wird deutlich welche Argumente auf der Ebene des Bundes des Kantons Bern sowie des Gantrischgebietes ihre Umsetzung fanden. Die Autorin nimmt für die einzelnen Phasen verschiedene Aspekte diskursanalytisch immer wieder auf und zeigt so deren historische Entwicklung. Dadurch wird ersichtlich in welcher kurzen Zeit sich die Rolle des Bundes im Verhältnis zu den Kantonen in der Forstpolitik festigte. Ein ebenso spannender Aspekt der im Buch mit eindrucksvollen Zitaten belegt wird ist die Ankaufs und Subventionspolitik des Bundes. Erläutert wird, unter welchen Bedingungen sich diese änderte und wie früh diesbezüglich mit der Kielwassertheorie argumentiert wurde. Ebenso interessant ist, wie und ab wann wissenschaftliche Argumente Einzug in die Forstpolitik hielten.

Der gewählte Forschungsansatz der historischen Waldforschung wird als Teil der allgemeinen Geschichtswissenschaft begriffen, der auf die Forstwirtschaft und -wissenschaft und deren Veränderungen als Aspekt des gesellschaftlichen Wandels fokussiert. Dadurch soll nicht nur eine distanzierte Sicht auf die Entwicklung der Forstwirtschaft gewonnen, sondern diese aus verschiedenen gesellschaftstheoretischen Perspektiven gedeutet werden. So lässt sich das Zusammenspiel zwischen den Institutionen und den Akteuren, welche die institutionellen Ziele umsetzten, gut nachvollziehen. Die Forschungsarbeit veranschaulicht, wie und durch welche Einflussfaktoren die verschiedenen Waldfunktionen historisch gewachsen sind. Sie macht auch deutlich, was der Idee der "guten" Waldwirtschaft zugrunde lag. Ob dieser Grundgedanke, der ja nicht allen verschiedenen Phasen und Paradigmen inhärent gewesen zu sein scheint, noch weiter besteht, wird jedoch nicht klar. Hier hatten die Ergebnisse in einen breiteren Kontext gestellt werden können. Anknüpfungspunkte hätten die heute noch angeführten wirtschaftlichen Argumente wie Holzertrag und Schutzfunktion oder die aktuelle Debatte über die Regulierung und Kostendeckung der Wohlfahrtsfunktion der Wälder geboten.

Bianca Baerlocher, Basel


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