Merle Schatten

SCHNEEWITTCHEN

Rezension


Wer kennt Merle Schatten? Ich denke, nicht viele außer mir. Wobei: Ich kenne sie eigentlich gar nicht, nur ein Buch von ihr. Aber lasst mich die Geschichte zeitlich korrekt abrollen.

Ich habe einen Mann in meinem Freundeskreis, der literarische Interessen hat und Kontakte mit Verlagen. Er wiederum berichtete mir von einer Bekannten, die noch unbekannt in literarischen Kreisen ist, aber jetzt ihr Erstlingswerk verfasst habe. Aha. Und ob ich dazu mal eine Rezension schreiben würde? Hmmm, worum geht's? Der Titel ist Schneewittchen, gab er mir zu verstehen. Nun habe ich immer gerne Märchen gelesen und war gespannt. Warum sollte gerade ich die Rezension schreiben? Weil die großen Zeitschriften usw. keine unbekannten Autoren besprechen, die nicht irgendwelche Sensationen auftischen, sei es in Sachen Sex, Gewalt oder ähnlichen. Dies sei aber nicht Anliegen des Büchleins. Ich erklärte mich bereit, die Schmonzetten eine Weile auf Eis zu legen.

Und so bekam ich vor wenigen Tagen des Buch "Schneewittchen" von Merle Schatten, Verlag T. Bautz GmbH, ISBN 978-3-88309-907-1 (15 Euro) als Rezensionsexemplar.

Bei dem Titel erwartete ich eine Ausschmückung von Schneewittchen, vielleicht eine Persiflage?
Auf nur 122 Seiten versteht es Schatten, ein Netz aus vielen verschiedenen Fäden zu spinnen, durch die eine leichte Handlung führt. Was mich am meisten wunderte - das Buch zog mich, zog mich hinein in diese Welt. Und das auf ganz sanfte Weise. Die Handlung ist sehr schwach, nicht im Sinne von schlecht, sondern sanft, als wenn man sich eine Amplitude vorstellt: mit wenigen Höhen, die einen aus dem Trott werfen. Sie führt wie ein kleiner Fluss sanft durch die Märchenwelt und schafft Verbindungen zur griechischen Mythologie, zu anderen Mythologien, manchmal zu ganz prosaischen Dingen wie dem Spiel "Monopoly".

Schatten kennt sich aus in der Welt der Märchen und Mythen und weiß diese Fäden gekonnt zu etwas Neuem zu spinnen, dabei nimmt sie den Leser auf eine Reise mit, in der Tee und Kekse eine besondere Rolle spielen. An vielen Stellen, so scheint es mir, hören wir von den melancholisch-humoristischen Erfahrungen der Autorin selbst.

Schon das Titelbild ist Trug und Wahrheit zugleich. Erst in der Mitte des Buchs verstand ich die Anspielung: Ey, das muss van Gogh sein (er wird mehrmals erwähnt). Es ist aber kein van Gogh, nur eine Hommage an die Sternennacht.
Immer wieder bricht die Autorin aus der geschaffenen Welt aus und betrachtet sie von außen, häufig mit einer Prise Humor. Auch das macht das Werk so vergnüglich zu lesen. Immer, wenn ich dachte: Ah, jetzt weiß ich, wie die Richtung geht… nimmt die Handlung eine sanfte Kurve und führt in unbekannte Gefilde.

"Zauberhaft" ist das Wort, das ich wählen würde, wenn ich das Buch in einem Wort beschreiben müsste. Und das auch im wahrsten Sinne des Wortes: Die Zauberin aus dem Märchen Schneewittchen ist eine der tragenden Handlungsfiguren, bestechender noch als Schneewittchen selbst. Das Böse ist böse - und dennoch bringt es zum sanften Lächeln. Das Gute ist gut - und dennoch schimmert auch hier ein Lächeln durch. Es ist märchenhaft und dennoch sehr bodenständig.

Die Handlung zu erzählen, ist mir zu banal. Es sind so viele Fäden, die durch dieses Buch laufen, dass ich sicher gar nicht alle erkannt habe. Unter anderem habe ich ja letzten Dienstag Musik vorgestellt, die ich diesem Buch entnommen habe. An anderer Stelle steht ein Gedicht in Latein, das aber eine Erfindung zu sein scheint - und da ich in Latein nie gut war und das auch schon lange hinter mir liegt - auch nicht entziffern konnte. Vielleicht tut dies ein anderer Leser. Viele Anspielungen habe ich verstanden, viele sind vermutlich an mir vorbeigegangen.

Nein, einen Erfolg wie Harry Potter traue ich diesem Buch nicht zu. Aber für Träumer, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen, die optimistisch sind trotz aller Widrigkeiten, für die ist dieses Büchlein ein großer Gewinn.


Copyright © 2014 by Verlag Traugott Bautz