Andreas Büchtemann

...und die Sonne Homers, siehe! sie lächelt auch uns

Erinnerungen eines Pfarrerssohnes und DDR-Bürgers

Rezension


Von Ost nach West

Bestandsaufhahme eines Physikers

Pfarrerskind, Abitur, FDJ-Funktion, Herdermedaille für ausgezeichnete Russischleistungen, CDU-Mitglied, Physiker, Akademie der Wissenschaften, Promotion - nein, nicht von der Bundeskanzlerin ist hier die Rede, sondern von meinem Mitschüler Andreas Büchtemann, der wie ich 1967 an der Erweiterten Goethe-Oberschule (EOS) in Brandenburg/Havel das Abitur ablegte. Nun ist seine Autobiografie erschienen. Der Titel ". . .und die Sonne Homers, siehe! sie lächelt auch uns" ist die Schlusszeile aus Schillers naturphilosophischem Gedicht "Der Spaziergang". Mit ihr schlägt Schiller die Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart. Auch Andreas Büchtemann berichtet - größtenteils chronologisch - von seinen Vorfahren bis zu seiner Zeit als Rentner und Großvater. Programmatisch der Untertitel: "Erinnerungen eines Pfarrerssohnes und DDR-Bürgers." Hier rechnet nicht etwa einer mit einer Gesellschaftsordnung ab, die auch heute noch von den unwissend geBILDeten und denen, die aus westelbischer Überheblichkeit urteilen, diskriminiert wird. In einer bewundernswerten Unaufgeregtheit schildert er seine Entwicklung von der Kindheit bis zum Rentenbeginn. Dabei entsteht ein durchaus kritisches, aber nie bösartiges Bild des Lebens in zwei sehr gegensätzlichen Gesellschaften, die gründlich kennenzulernen nur die DDR-Bürger das Glück hatten. Ich habe den Autor während unserer gemeinsamen Schulzeit als geradlinigen, ehrlichen und mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn versehenen Menschen erlebt; Eigenschaften, die ihm nicht immer nur Anerkennung eingebracht haben. Seine schulischen Leistungen waren über alle Zweifel erhaben, und seine Herkunft aus einem christlichen Elternhaus brachte keinerlei Nachteile für das Studium mit sich (es mag andere Beispiele gegeben haben, aber die sind nicht Gegenstand dieser Besprechung). Ohnehin fehlt die zugespitzte Polemik, aber die Bewertungen der Zustände sowohl damals als heute verstärken die Authentizität des Beschriebenen. Seiner Schul- und Studienzeit widmet der Autor 89 Seiten. Schon die Schilderung der Kindheit auf dem Dorf verleitet an so mancher Stelle zum Lachen, und nicht nur für den Insider köstlich ist seine Charakterisierung der Lehrer an der EOS, ebenso wie seine Darstellung der Berufsausbildung als Betonbauer. In der lakonischen Darstellung schwingt eine Portion Humor und Selbstironie mit, welche auch die in ihren Bann zieht, die nichts mit Brandenburg/Havel zu tun hatten. Die DDR-Lebenswege waren in den unterschiedlichen Ausbildungen ziemlich gleich, und so manches von Büchtemann erwähnte Detail ist bereits vergessen. Die Schilderung seiner Studienjahre in Jena und Berlin und der Einstieg ins Berufsleben 1972 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Molekularbiologie der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin-Buch zeigt ein Panorama, das über die offizielle Geschichtsschreibung und mediengeprägte Bewertung nach 1990 hinausgeht. Es gab nicht nur das triste Leben in grauen Betonblöcken und die allseits lauernde Stasi. Der Autor erzählt engagiert über Widerspruche und Konflikte, aber auch über die gegenseitige Unterstützung und Herzlichkeit, als Karriere und Geld noch sekundär waren; über die Schlitzohrigkeit und Improvisationsfähigkeit, die aus dem Mangel entstanden. Wie der Pfarrerssohn zu einer Funktion in der FDJ kam, wird folgendermaßen beschrieben: "Ich hatte zwar im Grunde keine Lust, mich da an vorderer Stelle zu engagieren und weigerte mich, aber wieder einmal konnte ich am schlechtesten Nein sagen, und so wurde ich von den anderen, die wohl z. T. froh waren, dass sie nun einer gefunden hatte, zum FDJ-Sekretär des Zentralinstituts für Molekularbiologie gewählt." Interessant auch die Schilderung seiner CDU-Mitgliedschaft, die offenbart, welche Rolle die "Blockparteien" in der DDR spielten - sie waren ein quasidemokratisches Feigenblättchen für die Allmacht der SED. Der Autor lässt das gesamte Spektrum des Lebens in der DDR Revue passieren: Beruf, Ehe, Wohnungssuche, Chor, Urlaub, Versorgung, Armee usw. In der Darstellung ist aber immer seine Ausgeglichenheit und Zuneigung zu den Menschen zu spüren, die ihm nahestanden und -stehen. Vieles ließ mich bei der Lektüre schmunzeln, Vergessenes wurde wieder lebendig, manches habe ich genau so erlebt, einiges ist anders in meiner Erinnerung. Kritisch beurteilt Büchtemann das Wirken der Treuhand, die Übernahme von wichtigen Funktionen durch "korrupte Manager und sonstige Akteure mit krimineller Energie, minderfähige Leute aus der zweiten Reihe, die hier ihre Chance witterten, vor allem aber von Betrieben, die zu Spottpreisen von altbundesdeutschen Unternehmen übernommen wurden, nur um dann doch geschlossen zu werden, um so mögliche Konkurrenz auszuschalten; mehr offiziell hörte man auch von gelungenen Transformationen." Er bescheinigt aber auch, dass Mitarbeitern der Treuhand in ihren Bemühungen Unrecht getan wurde. Ich überlasse die Beurteilung dieser Vorgange dem Leser, weil wohl ein jeder seine eigenen Erfahrungen gemacht hat. Die Stärke dieser Autobiografie liegt in ihrer Ausgewogenheit und der optimistischen Einstellung des Autors, die Dinge zu nehmen, wie sie waren und durch Eigeninitiative mit Widrigkeiten fertig zu werden. Wer eine typisch ost-westdeutsche Lebensgeschichte ohne Häme lesen will, die realistischer als sogenannte wissenschaftliche Darstellungen oder Medienlügen die Wirklichkeit von 1949 bis 2005 widerspiegelt, dem sei dieses Buch ans Herz gelegt.

Jürgen Schiebert


Copyright © 2014 by Verlag Traugott Bautz