Hermann Uhrig

Die Vereinbarkeit von Art. VII des Friedens von Lunéville
mit der Reichsverfassung

Rezension


Hans-Werner Goetz, Dux und Ducatus, Begriffs- und verfassungsgeschichtliche Untersuchung zur Entstehung des sogenannten ‚jüngeren' Stammesherzogtums an der Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert, Bochum 1977, ist unbestritten ein international anerkanntes Standardwerk. Würde man vermuten, dass es in einer Abhandlung über einen Friedensschluss der Napoleonischen Epoche vorkommt? In der Dissertation von H e r m a n n U h r i g, welche die Verfassungskonformität des VII. Artikels des Friedens von Lunéville (9.Februar 1801) untersucht, tut sie es.

Der Friedensvertrag von Lunéville zwischen der Französischen Republik und dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation baute inhaltlich auf die Verhandlungen des Rastatter Kongresses (1797-1799) auf und wurde seinerseits durch den nachfolgenden Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803 in Reichsverfassungsrecht umgesetzt.

Artikel VI des Friedens von Lunéville bezeichnete die Talsohle des Rheins als neue Grenze zwischen Frankreich und Deutschland. Artikel VII bestimmte, "jenen Erbfürsten, die von ihren Besitzungen auf dem linken Rhein-Ufer entsetzet werden, eine Entschädigung zu geben, welche in dem gedachten teutschen Reiche selbst genommen werden". Dies führte in der Folge zum Untergang fast der gesamten Germania sacra und nahezu aller Reichsstädte.

Die Rechtmäßigkeit dieses Vorganges, die auch schon von den Zeitgenossen intensiv diskutiert wurde, ist das Thema der fünf Bände Hermann Uhrigs. Er geht für seine heute eher anachronistisch anmutenden Fragestellung weit in der Zeit zurück, bis zur Entstehung der geistlichen Territorien, der reichsunmittelbaren Städte, des Reichsherkommens, der Landeshoheit, des Lehnssystems im Reich usw. Diese Ausflüge in die Vorzeit werden stets unter dem Gesichtspunkt unternommen, ob sich dort irgendwo eine Rechtfertigung für Säkularisation und Mediatisierung finden lasse. Bei einem dieser Ausflüge stößt man dann auch auf das grundlegende Werk von Hans-Werner Goetz.

Man findet hier aber auch Abhandlungen über den Pietismus, den Jansenismus (1221ff.), die Physikotheologen (1257), Neologen, die Geschichte des Münzregals und vieles mehr. Das Ergebnis dieser Wanderungen in die Vergangenheiten vor und den Zeitgeist um 1801 ist ein ums andere Mal dasselbe: Weder in grauer Vorzeit, noch in der Zeit selbst, finden sich Rechtsgründe für die Gebietsumschichtungen innerhalb des Reiches infolge des Lunéviller Friedens. Diese Ausflüge, die das Werk auf 2789 Seiten ausdehnen, sind weitgehend überflüssig. Es gibt zu all diesen Bereichen Literatur, auf die man hätte verweisen können. Unnötig sind auch die ausufernden Ausführungen zur französischen Innenpolitik seit Ausbruch der Revolution sowie detaillierte Feldzugs- und Schlachtengeschichten.

Andererseits hat Hermann Uhrig, der über vier Jahrzehnte an dieser Dissertation gearbeitet hat, praktisch alle einschlägigen Quellen des Reichsstaatsrechts erschlossen und zusammengetragen. Diese imponierende Materialerschließung dürfte ihren Wert zunächst behalten. Sein Ergebnis, die Säkularisation sei rechtswidrig gewesen, verblasst möglicherweise daneben.

Allerdings die Konkurrenz ist schon auf dem Weg. Und da sie nicht mit Schreibmaschinen gestartet ist und nebenbei ein erfolgreiches Berufsleben als Jurist absolvierte, sind die Waffen ungleich. Auf Wikisource finden sich mittlerweile "Texte und Quellen zum Kongress in Rastatt von 1797 bis 1799", hunderte von Schriften, die meisten von Google digitalisiert. Man bräuchte Monate, um alles zu lesen, aber man braucht nicht mehr wie einst Hermann Uhrig, der viele dieser Quellen auch bemüht, von Archiv und Bibliothek, zu Archiv und Bibliothek zu reisen.

Im Ergebnis ist dem Autor zuzustimmen. Aber, wie bei Verrat, Aufruhr oder Revolution ist die Frage nach der Legitimität einer Friedensvertragsbestimmung eine des Zeitpunktes. Bei Artikel VII des Friedens von Lunéville und dem Reichsdeputationshauptschluss handelte es sich um eine Rechtsverkleidung machtpolitischer Entscheidungen. Diese Entscheidungen standen nicht im Belieben des Reiches und seiner Mitglieder. Der Krieg war verloren. Es ging darum, den Willen Frankreichs, gegen das man sich militärisch nicht mehr wehren konnte, zu erfüllen, welches dies seinen deutschen Klienten versprochen hatte. Rechtsformen sind keine überzeitlichen normativen Maßstäbe, sondern vor allem umstrittener Ausdruck der jeweiligen sozialen Herrschafts- und Machtverhältnisse. Die alleinige Schadenstragung durch die geistlichen Reichsstände und Reichsstädte gründete nicht im Recht, sondern wurde Recht in Folge der Machtverhältnisse.

Jeder Frieden mit Gebietsabtretungen bricht die Verfassung des unterlegenen Staates. Deswegen musste sich das Reich mit dem Reichsdeputationshauptschluss eine neue Verfassung geben. Und in der Regel verletzt jede neue Verfassung die vorhergehende.

Das 64 Seiten umfassende Inhaltsverzeichnis ist wenig hilfreich, da es keine Seitenzahlen für die einzelnen Gliederungspunkte mitteilt. Ein Register fehlt. Die eigentlichen Seitenzahlen sind so klein, dass man sie mit bloßen Augen nicht lesen kann.

Der Verfasser der zunächst anonym erschienenen mehrbändigen "Kritik der deutschen Reichsverfassung" (1796-98) ist schon vor Jahren ermittelt und das Werk unter seinem Namen erneut herausgegeben worden. Es war Johann Nikolaus Becker, der bekannt wurde, weil er den Schinderhannes zur Strecke brachte.

Die letzte Institution des Reiches, die aus dem Untergang der Reichskirche hervorgegangene "Subdelegationskommission für das transrhenanische Sustentationswesen", ist dem Verfasser auch unbekannt geblieben. Ein obskurer Artikel XXIII des Friedens von Lunéville, der Rangfragen behandelt (2262), ist der Forschung und den gängigen Editionen bislang fremd. Unwahrscheinlich ist wohl auch, dass der schwedische Reichsrat 1648 Friedrich III. zum König von Dänemark wählte (1913).
Ein interessantes Ergebnis der Studie ist, dass im Schriftverkehr rund um den Friedensschluss in der Regel vom Deutschen Reich, Deutschland oder dem Empire germanique (77, passim) gesprochen wird und der offizielle Reichstitel keine Verwendung mehr findet.

Hinsichtlich des rechtlichen Charakters des Reichs entscheidet sich Uhrig im Anschluss an die Darstellung der Reichsverfassung: Das Reich besaß "eine staatliche Qualität" (394). Offensichtlich gehören seine Sympathien der verlorenen Germania sacra. "Innerhalb des Reiches waren die geistlichen Reichsstände die Hauptkulturträger" (1472). Man möchte dem Verfasser weitgehend zustimmen. Doch immer wieder waren sie auch die Hauptträger von Aberglauben und Fortschrittsfeindlichkeit.

Auffällig sind einige dem Verfasser eigene Formulierungen, wie Wirtemberg (592, passim, 2529), die wiederkehrende Wendung "gebietlich-territoriale Verluste" oder "gebietlich-territorialer Besitz" sowie Eigenwilligkeiten bei der Zitierweise, der Gestaltung der Fußnoten und des Literaturverzeichnisses. Ein Begriff wie das "Reichsland Elsass-Lothringen" (1848) ist für den Untersuchungszeitraum anachronistisch.

Von besonderem Wert ist sicherlich die genaue Dokumentation der einzelnen Reichstagsvoten zum Friedensschluss wie zu Abstimmungen in dessen Kontext. Allerdings gibt es hier wie an vielen anderen Stellen des zitatenseligen Werkes Redundanzen. Wenn auf wenigen Seiten dasselbe Zitat achtmal wiederholt wird, ist das schwer zu ertragen (671-684).

Diese Monita sollen jedoch keineswegs die Stärken und Leistungen der Arbeit schmälern. Sie liegen in einer geradezu enzyklopädisch präsentierten Komplexität fast aller Hintergründe des engeren Themas. Es handelt sich im Resümee um eine profunde und vortrefflich dokumentierte Studie von eindeutiger inhaltlicher und wertender Ausrichtung, welche in mancherlei Hinsicht alle Vorgängerwerke übertrifft. Es bekommt dadurch eine seltsame positivistische und ästhetische Anmutung, die es mit manchen reichsstaatsrechtlichen Traktaten aus der Zeit des Friedens von Lunéville teilt. Ca. 150 Seiten bestehen nur aus Anmerkungen, hunderte weitere überwiegend aus Fußnoten.

Insgesamt ist es eine phantastische Schatztruhe für Reichsverfassungskuriositäten, wie den Umstand, dass der Erzbischof von Besançon (261) oder die seit dem 15. Jahrhundert verpfändete ehemalige Reichsstadt Gelnhausen (283) bis 1803 im Reichstag zur Stimmabgabe aufgerufen wurde.

Es handelt sich bei dem Werk um ein Gegenstück zu K a r l H ä r t e r s Arbeit "Reichstag und Revolution 1789-1806. Die Auseinandersetzungen des Immerwährenden Reichstags zu Regensburg mit den Auswirkungen der Französischen Revolution auf das Alte Reich", Göttingen 1992. Im Einzelnen ist Uhrigs Arbeit weit detaillierter. Hermann Uhrigs Opus ist ein staunenswertes, erratisches und monumentales Werk, das wie ein Findling aus einer anderen Zeit auf uns gekommen zu sein scheint.

Wolfgang Burgdorf, München


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