Ryôsuke Ohashi

Schnittpunkte

Essays zum ost-westlichen-Gespräch
Erster Band
Dimensionen des Ästhetischen

libri nigri Band 28

Rezension


Der japanische Philosoph Ryôsuke Ohashi möchte weder einfach Gemeinsamkeiten zwischen Ost und West vorführen noch auf vermeintlich unüberbrückbare Unterschiede hinweisen, sondern versucht vielmehr, Überschneidungen und Divergenzen für eine Weiterentwicklung der betrachteten Philosophien fruchtbar zu machen. Diesem Anliegen ist das gesamte philosophische Schaffen Ohashis gewidmet, der auf Japanisch, Deutsch, Französisch und Englisch veröffentlicht und sich insbesondere um den Austausch zwischen deutscher und japanischer Philosophie verdient gemacht hat.

Die beiden Bände (Schnittpunkte 1. und 2. Band) bieten einen guten Überblick über Ohashis Projekt einer interkulturellen Philosophie. Die meist kurzen, in einfacher Sprache formulierten Texte sind gerade auch als Einführung in sein Denken geeignet und setzen keine Kenntnisse der japanischen Philosophie voraus. Während der erste Band, der die Überschrift Dimensionen des Ästhetischen trägt, unterschiedliche Themen wie Tee-Zeremonie, Gewalt und Religion, Ehrvorstellungen der Samurai und Leibphilosophie behandelt, sind im zweiten Band Texte über deutsche Philosophen wie G.W.F. Hegel, Edmund Husserl und Martin Heidegger versammelt, die jene, wie Ohashi schreibt, in "unerwartete Kontexte" stellen. Um seine innovativen Interpretationen zu verstehen, sind Grundkenntnisse über die behandelten Philosophen hilfreich.

Ohashi entwickelt seine Gedanken assoziativ und deutet seine Antworten auf philosophische Fragen oft eher an, als dass er sie im Detail verteidigen würde. Freunde kleinschrittiger Argumentation kommen in diesen Texten nicht auf ihre Kosten. Der ebenfalls im Untertitel auftauchende Ausdruck "Gespräch" sowie die häufigen Verweise auf einen Dialog zwischen Ost und West sollten zudem nicht so verstanden werden, als stelle Ohashi in seinen Texten verschiedene Ansichten neutral gegenüber. Ohashi bezeichnet sich selbst als Teil der sogenannten Kyoto-Schule und so sind es die Positionen des Schulgründers Nashida Kitaro (1870-1945) und seines Lehrers Nishitani Keiji (1900-1990), die Ohashi verteidigt. Dabei kritisiert und interpretiert er seine "Gesprächspartner" aus Deutschland vornehmlich mithilfe der Denkfigur des absoluten Nichts, die bei einigen deutschen Denkern angedeutet, aber erst im Zen-Buddhismus und in dessen Interpretation durch die Kyoto-Schule zu voller Entfaltung gelangt sei. Ohashis Schnittpunkte können somit auch als Einführung in das Denken der Kyoto-Schule gelesen werden.

Angesichts der geringen Wahrnehmung des außereuropäischen Denkens in den philosophischen Instituten im Westen, aber auch in Japan, verdienen die intensiven Bemühungen Ohashis um die interkulturelle Philosophie besondere Anerkennung. Auch ist hervorzuheben, dass Ohashi die außereuropäische Philosophie nicht nur als ein Nebenthema unter den philosophischen Disziplinen etablieren möchte, sondern aufzuzeigen versucht, dass außereuropäische Werke Grundfragen der Philosophie betreffen und als solche erst genommen werden sollten. Es ist jedoch ein schwerwiegendes Defizit im Ansatz Ohashis, dass er Japan, China und den Westen als monolithische Gebilde behandelt und die Heterogenität innerhalb dieser Kulturen weitgehend vernachlässigt. Ohashis Dialogpartner sind Kulturräume und nicht einzelne Individuen oder Texte, und an vielen Stellen spricht er ohne jede Einschränkung von der japanischen Perspektive. Möglicherweise vorhandene Gemeinsamkeiten zwischen so unterschiedlichen japanischen Autoren wie Dogen (1200-1253), Basho (1644-1694) und Nishida können nicht, wie von Ohashi praktiziert, allein aufgrund ihrer japanischen Herkunft vorausgesetzt werden. Ohashi verfällt zudem immer wieder in kulturelle Klischees. So stellt er die Samurai als selbstlose, loyale und kunstsinnige Ritter dar oder verbrämt den Buddhismus als eine gewaltlose Religion, stereotype Bilder also, die von der zeitgenössischen Forschung in Ost und West längst gründlich widerlegt worden sind.

Ohashis Beitrag zur interkulturellen Philosophie, der in den beiden Bänden der Schnittpunkte zugänglich gemacht wurde, ist schätzenswert...

Es ist zu hoffen, dass sich die philosophische Forschung weiteren Studien über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede westlicher und östlicher Philosophie zuwendet und die dualistische Trennung zwischen Okzident und Orient, die auch das Werk von Ohashi noch durchzieht, durch ein differenzierteres Bild der verschiedenen Ideengeschichten zu ersetzen hilft.

Paulus Kaufmann


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