Hartmut Buchner

Heidegger und Japan - Japan und Heidegger

Vorläufiges zum west-östlichen Gespräch

Herausgegeben von Freunden des Verfassers

libri nigri Band 25


Rezension

Die hier zu besprechende Veröffentlichung versammelt größtenteils Vorträge bzw. Referate Hartmut Buchners (1927-2004) aus dem Zeitraum zwischen 1959 und 2001, die zwar fast ausnahmslos bereits anderswo veröffentlicht wurden, aber nur sehr schwer zugänglich sind. Der Autor durfte in akademischen Kreisen allenfalls durch seine editorische Tätigkeit als Mitarbeiter Otto Pöggelers bei der kritischen Hegel - Gesamtausgabe sowie als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Schelling -Kommission an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften München bekannt sein. Darüber hinaus fungierte er als Mitherausgeber der Japanischen Heidegger-Gesamtausgabe. Seit den 70er - Jahren wirkte er als Lehrbeauftragter an der LMU, wo er als exzellenter Heidegger - Kenner zahlreiche Seminare hielt die sich primär mit Heidegger und später auch mit Hegel befassten. Buchner studierte in den 50er-Jahren in Freiburg bei Eugen Fink und Martin Heidegger, dem er schon früh auffiel und der ihn wiederholt zu editorischen Arbeiten heranzog (zeitweise war er sogar als Herausgeber der HGA im Gespräch). von 1956 bis 1962 wirkte er als Lektor, Lehrbeauftragter und Dozent an der staatlichen Kyoto - Universität. Aus diesem Aufenthalt erklärt sich auch die bis an sein Lebensende währende Beziehung zu Japan, die für sein Denken bedeutungsvoll geworden ist.

Gleichwohl ist der Titel des vorliegenden Bandes etwas missverständlich, denn wenn auch die Beziehung Heideggers zu gewissen japanischen Traditionen des Öfteren thematisiert wird, so macht sie doch nicht das Zentrum der Veröffentlichung aus. Der thematische Bogen ist an den Titeln der einzelnen Vorträge durchaus ablesbar, beispielsweise‚ ‚Heidegger und das Christentum', ‚Heideggers Frage nach der Sprache', ‚Philosophischer Erfahrung', ‚Natur und Geschick von Welt' oder ‚Ein Tieferes von Leben und Tod'. Dabei zeigt die Lektüre der einzelnen Texte, dass es Buchner bei seiner Auseinandersetzung mit Heidegger immer darum ging, dessen Denken vor allem in seiner Mehrdimensionalität und Vielschichtigkeit präsent sein zu lassen, wie Andrea Cudin in seinem erhellenden Vorwort zurecht hervorhebt. Buchner sieht das betont er immer wieder, die größte Gefahr bei der Heidegger-Exegese darin, dass das sprachliche Ringen Heideggers um eine sachgerechte Annäherung an das, worum es in seinem Denken ging, vorschnell begrifflich fixiert wird und so seines hinweisenden und suchenden Charakters beraubt wird. Die Bemühungen Buchners zielen denn auch weniger darauf, Heidegger etwa mit anderen Denkansätzen zu konfrontieren oder gar von dort her zu kritisieren. Auch werden nicht - wie das häufig geschieht - bestimmte ‚Positionen' Heideggers eklektisch herausgepickt und in anderen Kontexten weitergedacht. Auf den ersten Blick mag es sogar so erscheinen, als ob er allzu nah an Heideggers Diktion bleibt und ihn bloß paraphrasiert. Doch die sorgfältige Lektüre zeigt, dass dieser Eindruck täuscht und dass Buchners Methode der Auseinandersetzung tatsächlich erhellenden Charakter hat, zumindest für diejenigen Leser, die den zweifellos befremdlichen und beirrenden Duktus gerade des späteren heideggerschen Denkens nicht für eine bloße Marotte halten, sondern ernsthaft gewillt sind, sich darauf einzulassen. Man konnte Buchners Methode als ein intensives und auf eine profunde Textkenntnis gestutztes Mit- und Nachdenken des heideggerschen Denkweges bezeichnen, das vor allem dadurch besticht dass es immer wieder zentrale Bruchstellen und Wendungen herausstellt und so ahnen lässt wie sehr Heidegger sich in bislang unbegangenem Terrain bewegt und wie ungeschützt er das letztlich tut. Auf diese Weise wird der Leser zwangsläufig in eine denkende Haltung gezwungen, was eine bloß paraphrasierende Darstellung niemals vermöchte. In den im Buch versammelten Texten lassen sich bei genauerem Hinsehen gewisse Schwerpunkte ausmachen, die Buchner immer wieder neu umkreist und die dem Band eine innere Geschlossenheit im fragenden Nachdenken verleihen. Ich möchte jetzt nur kurz auf zwei solcher Schwerpunkte eingehen, die ihrerseits natürlich zusammenhängen. Zum einen betont Buchner immer wieder, dass die Apostrophierung von Heideggers Denken als sog. ‚Seinsdenken' unweigerlich an der Sache, um die es hier geht vorbeiführt (vgl. z.B. Heideggers abendländische Wendung, 87f.). Bereits in Sein und Zeit ging die leitende Frage ja dahin, dasjenige, von woher Sein verstanden wird, in den Blick zu bringen, auch wenn es dort noch den Anschein haben konnte, dieses Fragen diene letztlich nur der Grundlegung der Metaphysik. Dass für Heidegger statt einer solchen Grundlegung zunehmend der Bereich selbst aus dem Sein verstanden wird, als Bereich in eine immer beirrendere Fragwürdigkeit rückte, davon zeugt sein Denkweg seit den 30er-Jahren. Und so zitiert Buchner die von ihm als zentral erachtete Abhandlung ‚Die seinsgeschichtliche Bestimmung des Nihilismus': "Sein könnte unterwegs zum ‚als Sein das eigene Wesen zugunsten einer anflänglicheren Bestimmung preisgeben. Die Rede von ‚Sein selbst bleibt stets eine fragende. (88, Hervorh. im Original) Dies immer wieder neu in Erinnerung zu rufen und auf die Konsequenzen dieser Fragehaltung hinzuweisen, ist ein ständiges Anliegen Buchners und hilft so dabei, Heideggers späteres Denken tatsächlich als das zu nehmen, was es ist: Als den unablässigen Versuch, auf Holzwegen den Bereich zu erkunden, aus dem die sog. Seinsfrage überhaupt erst entspringt.

Diese unablässige Erkundung des Fragebereiches steht in engem Zusammenhang mit dem zweiten Schwerpunkt, auf den ich hier hinweisen will und den auch Cudin in seinem Vorwort als zentralen Sachverhalt hervorhebt. Wie muss ein Denken sein, dass der globalen Herrschaft der Technik (Gestell) in einer Weise entspricht, die sich weder von der Macht des Stellens überwältigen lässt - und sei es auch nur auf ganz subtile Art, ohne es selbst zu merken - noch sich vor dieser Macht in Refugien überlieferter Denkstrukturen zurückzieht oder die vermeintliche Idylle gewesener Seinsmöglichkeiten beschwört. Hier kommt nun der Bezug zur japanischen Tradition ins Spiel, der ja tatsächlich immer wieder Buchners Überlegungen grundiert. Denn einerseits liegt es von japanischer Seite her nahe, sich mit dem Ursprung jenes abendländischen Denkens vertraut zu machen, aus dem moderne Wissenschaft und Technik erst entsprungen sind, andererseits konnte es von westlicher Seite fruchtbar erscheinen, im ganz Anderen ostasiatischer Tradition eine Hilfestellung für ein neues Denken zu finden. Doch gerade aus seiner Vertrautheit mitjapanischer Überlieferung zeigt Buchner immer wieder, dass Heidegger das, was man sonst in historischem Sinne als Abendland im Unterschied zum Orient bezeichnet in einem radikal neuen Sinne denkt, nämlich als "Ortschaft der kommenden anfänglicher geschickten Geschichte" (Der Spruch des Anaximander, vgl. dazu auch Buchner ii, a. 91 f.). So wurden dann Orient und Okzident zu "Provinzen des anders zu erfahrenden Abend -Landes" (92); eine andere Konstellation scheint sich hier anzukündigen, die neue Wege erforderlich macht, für die weder ein Rückgriff auf abendländische Denktraditionen noch auf ostasiatische Überlieferungen allein ausreichen. Um diese Konstellation zumindest ansatzweise sichtbar zu machen, nähert sich Buchner in mehreren Texten - am deutlichsten vielleicht in Natur und Geschick von Welt' - dem späten Weltbegriff von Heidegger, wie er vor allem im Vortrag ‚Das Ding entfaltet wird. Dieser Weltbegriff - falls man hier noch von Begriff sprechen kann - wäre laut Buchner "absolut missverstanden", wollte man ihn "als die Utopie eines zukünftigen Weltbildes auffassen" (129). Die Tragweite und zugleich Rätselhaftigkeit dieses Weltentwurfes erschließt sich für Buchner erst, wenn man ihn zusammendenkt mit dem Wesen des Gestells, wie dies bei Heidegger in dem lange unveröffentlichten Teilstuck ‚Die Gefahr' aus dem Vortragszyklus ‚Einblick in das was ist' von 1949/50 geschieht. Die Art und Weise, wie Buchner hier den Kern des späten heideggerschen Denkens vor Augen führt, gehört für mich zum Bedeutsamsten des ganzen Büchleins.

Insgesamt handelt es sich bei der vorliegenden Veröffentlichung um eine profunde Vergegenwärtigung des heideggerschen Denkens, die vor allem denjenigen Lesern empfohlen sei, die bereit sind, sich in die ganz eigentümliche Dynamik dieses Denkweges hineinzuarbeiten. Zugleich wirft das Buch indirekt die Frage auf, wie überhaupt einem Denken wie dem von Heidegger sachgerecht zu begegnen sei, das so zu denken sich genötigt sieht, "dass sich darin das Denkwürdige als solches und im Ganzen verhüllt" (Gespräch mit einem Japaner in ‚Unterwegs zur Sprache').

Klaus Opflik (Schwyz)


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