Peter Gerdsen
Das moralische Kostüm geistiger Herrschaft

Wie unter dem Deckmantel der Moral Macht ausgeübt wird

Rezension


Staatliche Macht und Herrschaft gründet - was von einer großen Mehrzahl der Bürger selten gewürdigt wird - auf Androhung oder Anwendung physischer Gewalt. Aggressionshandlungen eines Individuums gegen Dritte oder gegen staatliche Institutionen sind als Auslöser hoheitlicher Gewalt gegen den Bürger nicht erforderlich. Es reicht, sich nicht widerspruchslos vom Fiskus enteignen zu lassen - schon bekommt man die eiserne Faust des Leviathans zu spüren.

Im vorliegenden Buch aus der Feder von Peter Gerdsen, seines Zeichens emeritierter Professor der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg, und unter anderem Fachmann für Kommunikationssysteme, geht es indessen um eine subtilere Methode der Herrschaft über Menschen. Es geht nicht um jene Macht, "die aus den Gewehrläufen kommt" (Mao Zedong) sondern um Herrschaft "… durch Beeinflussung und Enteignung des Denkens der Menschen mit der Folge, dass sie das wollen, was dem Willen der Herrschenden entspricht."

Der Autor beschreibt die zur Erringung dieser "geistigen Herrschaft" eingesetzte Strategie - als eines der wichtigsten Werkzeuge benennt er die von der Intellektuellenkaste beherrschten Massenmedien. Diese würden unwidersprochen über Gebrauch und Inhalt von Begriffen entscheiden, deren schleichender Bedeutungswandel die Umsetzung bestimmter Politikziele, etwa das der "sozialen Gerechtigkeit", wesentlich erleichtere. Methode und Konsequenzen der Begriffsumdeutung werden an Beispielen wie "sozial" oder "diskriminierend" beleuchtet.

Gerdsens Kritik an den in der Massendemokratie herrschenden Dynamiken fällt zum Teil recht harsch aus: "… ermöglicht das quantitative Prinzip, das der Konstruktion der Demokratie zugrunde liegt, beliebige Entartungen" - wie etwa die "Diktatur der 51 Prozent". Die Symbiose von politischen Funktionären und Medienschaffenden bilde die schlechthin entscheidende Grundlage für die Errichtung von geistiger Herrschaft. Die Parteiendemokratie sei eben im Begriff, zur Mediendemokratie zu mutieren, welche die Gefahr einer "Zwangskollektivierung des Bewusstseins" mit sich bringe.

Heutzutage gelte: "… alle sachlichen Probleme, die mit sachlicher Urteilskraft zu lösen sind, werden in moralische Probleme transformiert." Den Grund dafür sieht der Verfasser im "Verlust der Religion", der Empörung, Aggressivität, insbesondere aber (Werte-) Relativismus mit sich bringe: "Wer nicht an eine absolute Wahrheit glaubt, verliert seinen moralischen Kompass und seine Fähigkeit, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden." Ob der Glaube an "absolute Wahrheiten", wie vom Autor behauptet, wirklich nur religiösen Menschen gegeben ist, darf zumindest bezweifelt werden und sei der Beurteilung durch den geneigten Leser überlassen.

Political Correctness und Gender Mainstreaming seien wesentliche Elemente im Kampf für eine totale Einebnung aller individuellen Unterschiede; der unentwegte Kampf gegen die zur Wurzel allen Übels stilisierte "Diskriminierung" ist ein weiteres Mittel zu diesem Zweck. Allfällige Gegner und Hindernisse würden mittels der jederzeit griffbereiten Moralkeule rücksichtslos niedergemacht, wobei es nicht darauf ankomme, tatsächlich einer "gerechten Sache" zu dienen, sondern lediglich darauf, dass dies der breiten Öffentlichkeit glaubhaft vermittelt werden kann, sodass der jeweilige Gegner (persönlich) diskreditiert werde.

Zum als "Ausblick" bezeichneten Ende des Buches nennt der Autor die "Wiedergewinnung der Religion im Sinne echter Transzendenz" als unerlässliche Voraussetzung, um im Kampf gegen die geistige Herrschaft durch machtbesessene politische Funktionsträger bestehen zu können und nicht zum "Sklaven ohne Ketten" zu verkommen. Ob es tatsächlich der Religion bedarf, um sich geistiger Fremdherrschaft erfolgreich zu widersetzen, sie dahingestellt. Könnte nicht schon die bloße Einsicht in die Macht und Funktionsweise der modernen Mediokratie einen wesentlichen Schritt in Richtung einer Entmachtung des politisch-publizistischen Komplexes bedeuten…?

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.


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