Birgit Siekmann / Peter Schmidtsiefer (Hg.)

Feldgraue Mentalitäten

Der Erste Weltkrieg in religiösen Perspektiven aus dem Wuppertal

Rezension


Der Erste Weltkrieg. die Urkatastrophe der Moderne und der ungeheure Zivilisationsbruch, der in Europa die Lichter ausgehen ließ, findet bis heute in den historischen Wissenschafter wie den Künsten ein großes Echo. Dabei steht nicht so sehr sein militärischer Verlauf im Zentrum, sondern vielmehr die Frage, wie die Bevölkerung in den betroffenen Ländern auf das Phänomen reagiert und wie sich ihre Einstellung zum Krieg, ihre Mentalität mit den wachsenden Störungen des zivilen Lebens verändert hat. Es ist bekannt, dass der Kriegsausbruch manchmal geradezu euphorisch begrüßt wurde, und das nicht allein in Deutschland. In England etwa entstand eine "Kriegsrevue" mit dem Titel "Oh, what a lovely war". Mit zunehmenden Opferzahlen auf allen Seiten erkaltete die Kriegsbegeisterung allerdings schnell.

Die vorliegende Publikation vermittelt einen regional begrenzten Einblick in die "Binnenwelt des Krieges'', und sie widmet sich ausschließlich religiös geprägten Bevölkerungskreisen und -gruppen im Wuppertal. Aber diese gewissermaßen doppelte Beschränkung bringt doch auch deutliche Erkenntnisgewinne, weil die Autoren die sich jetzt bietende Möglichkeit einer differenzierten Analyse der Mentalität dieser Kreise nutzen. Auf diese Weise kommen dann auch Gruppen wie die Zeugen Jehovas in den Blick, die abseits standen, weil sie sich in ihrer prinzipiellen Ablehnung von Gewalt und politischer Aktivität trotz der nationalen Hysterie um sie herum nicht irre machen ließen. Günther van Norden hat die Haltung der Zeugen Jehovas eindrucksvoll dargestellt.

Ganz anders die im Wuppertal zahlreichen Anhänger der Gemeinschaftsbewegung, der aus Pietismus und Erweckung erwachsenen Aufbruchsbewegung in den evangelischen Kirchen. Ihre Zeitschrift "Licht und Leben", von Peter Schmidtsiefer analysiert, sah den Krieg in heilsgeschichtlicher Perspektive, geradezu als Ausgangspunkt der "religiösen und sittlichen Wiedergeburt" Deutschlands. Wiederum anders der CVJM-Westbund, von Birgit Siekmann beschrieben, der ,,das Soldatische" schon lange vor dem Weltkrieg zur idealen Lebensform des Christen erhob, damit die jungen Männer "tüchtige Soldaten ihres Kaisers und tüchtige Streiter im Heere Jesu Christi" sein könnten. Mit der besonderen Lage der international tätigen Rheinischen Mission befasst sich Rainer Friedrich. Kriegsbegeisterung auch in ihren Reihen, dazu stand sie vor der besonderen Aufgabe, gegenüber. den deutschen Landsleuten ihre engen Kontakte ins feindliche Ausland zu begründen und in den überseeischen Missionsgebieten den Krieg zwischen christlichen Staaten als Kapitel der göttlichen Heilsgeschichte zu rechtfertigen. Der Krieg mutierte bei ihr gewissermaßen zum Vehikel der Mission.

Neben den protestantischen Einrichtungen kommen auch die wenigen Katholiken (Helga Passon) und die Juden (UIrike Schrader) im Wuppertal zu Wort. Für beide Gruppen bildete der Krieg eine willkommene Gelegenheit, ihr monarchisch akzentuiertes Nationalbewusstsein breit unter Beweis zu stellen. Schließlich wirft Günther van Norden einen Blick auf die Freimaurer im Tal, die angesichts des Krieges ebenfalls ihre aufklärerischen universellen Ideale weitgehrend hinanstellten. In allen Beiträgen der lesenswerten Publikation kommt erfreulicherweise auch die Reaktion der erwähnten Gruppen und Kreise auf das Kriegsende, die Revolution und die Repubiik ausführlich zur Sprache.

Volkmar Wittmütz


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