Birgit Siekmann / Peter Schmidtsiefer (Hg.)

Feldgraue Mentalitäten

Der Erste Weltkrieg in religiösen Perspektiven aus dem Wuppertal

Rezension


Der vorwiegend mentalitätsgeschichtlich konzipierte Sammelband bietet in seinen Beiträgen in thematisch regionaler Konzentration ein differenziertes Bild über die religiöse Situation im Wuppertal während des Ersten Weltkrieges: Die Industriestädte Elberfeld und Barmen stehen dabei im Zentrum. Die spezifische konfessionell-religiöse Prägung der Region wird konfessionsstatistisch umrissen und konkret veranschaulicht. Neben den beiden Großkirchen besaßen im Wuppertal auch freikirchliche Gemeinden eine längere Tradition. Kirchliche Vereinstätigkeit und ausgeprägtes Sozialengagement, evangelischerseits stark von der Erweckungs- und Gemeinschaftsbewegung geprägt, waren auch für die dortigen katholischen Gemeinden charakteristisch.

Peter Schmidtsiefers einführender Beitrag (,‚Einleitung. Überlegungen zu Nation und Religion im Wuppertal des Ersten Weltkrieges", S. 6-25) ist ein konzeptionell orientierender Problemaufriss zur Rolle der Religion im Ersten Weltkrieg. Die Annäherung von Religion und Nation, protestantischerseits seit dem 19. Jh. ohnehin weithin vollzogen, ließ sich auch im Katholizismus nach Überwindung des Kulturkampftraumas erkennen. Die für Katholiken wie religiöse Minderheiten erhoffte Integrationschance in die nationale Gemeinschaft durch ausgeprägten Kriegspatriotismus im Ersten Weltkrieg sah sich indes während des Kriegsverlaufes schon bald erheblichen Rückschlägen ausgesetzt. Das betraf auch die Mitglieder der jüdischen Gemeinden; "Ebenso wie tendenziell bei den Katholiken verstärkten sich gerade angesichts des auch innenpolitisch drohenden Untergangs des Kaiserreichs die alten antisemitischen und antikatholischen Tendenzen. Unsere Beiträge zeigen, dass dies die Wuppertaler Gemeinden ebenso betraf wie alle anderen Gemeinden im Reich" (S. 18).

Thesen, wie die einer durchgängig beobachtbaren staatspolitischen Instrumentalisierung aller protestantischen Gruppierungen gelten dabei zu Recht als undifferenziert. Angesichts des Massensterbens ließ sich der Erste Weltkrieg "auf die Dauer keineswegs nur als Bekräftigung der Symbiose von Religion und Gesellschaft deuten, sondern stellte diese Symbiose auch massiv in Frage" (S. 19). Nicht erst die Niederlage 1918 sondern bereits das furchtbare Kriegsgeschehen selbst war eine ungeheure Herausforderung an die traditionellen religiösen Deutungsmuster des Krieges.

Unter der Firmierung "Protestantische Perspektiven" werden zunächst drei thematisch die Haltung zum Weltkrieg betreffende Beiträge vorgelegt. P. Schmidtsiefers Analyse " Gott redet. ‚Licht und Leben' zwischen Weltstellung und Wiedergeburt" (S. 26-70) schildert die nationalistisch-vaterländisch orientierte Sinndeutung des Krieges in dem 1889 gegründeten, 1938 verbotenen Organ der Gemeinschaftsbewegung "Licht und Leben", seit 1909 von Pastor Joseph Gauger redigiert. Birgit Siekmann macht die "Soldatenmission des CVJM-Weltbundes" (71-95) zum Thema ihrer Untersuchung. Rainer Friedrich (,‚Die Rheinische Missionsgesellschaft im Ersten Weltkrieg", S.96-127) zeigt, wie nach und durch das Kriegserleben eine "neue, gesegnete und große Missionsepoche" erhofft wurde. Die Beiträge lassen gleichzeitig die je eigenen Enttäuschungssituationen im Laufe der Kriegsentwicklung und des Kriegsausgangs erkennen und versuchen, die Bewältigung der Niederlage von 1918 perspektivisch zu erfassen.

Drei weitere Beiträge kennzeichnen unter der Rubrik "Perspektive der Minderheit", wie sich "Katholiken, Juden, Zeugen Jehovas" mental unterschiedlich zum Krieg verhielten. Helga Passon (,‚Elberfelder Katholiken und Erster Weltkrieg - Konstruktion der deutschen Nation durch ‚Reichsfeinde", S. 128-160) zeigt, wie auffallend rasch sich Katholiken, die sich im Kulturkampf der 70er und 80erJahre polemischer Beargwöhnung ausgesetzt sahen, in die Nation integrierten und seit 1914 die Belastungen des Weltkrieges aushielten, obwohl sie die volle Gleichberechtigung erst durch die Weimarer Verfassung erhielten (S. 129). Ähnliches gilt für den Beitrag von Ulrike Schrader: "Ehrenvoll ist es, für's Vaterland zu sterben. Jüdische Soldaten aus dem Wuppertal" (S. 161-186). Im Blick auf erwiesene patriotische Pflichterfüllung im Krieg bedeuteten Verlauf und Ausgang des Ersten Weltkriegs auch für die Wuppertaler Juden "den Zusammenbruch aller Hoffnungen auf eine gesellschaftlich getragene Akzeptanz" (S. 163f.). Gunther van Norden, emeritierter Ordinarius für Neuere Geschichte an der Universität Wuppertal, legt zwei Beiträge vor: über die bis 1931 unter dem Namen "Ernste Bibelforscher" agierende "Wachtturmgesellschaft" (,‚Ende der Nationen. Der Erste Weltkrieg in der Deutung des Zeugen Jehovas", S. 187-20); ebenso aus "säkularer Perspektive" die Studie "Die Freimaurer im Wuppertal in der Zeit des Ersten Weltkrieges" (S. 207-231).

Ein Anhang enthält neben Personenregister und Abbildungsverzeichnis auch Kurzbiogramme und Kontaktadressen der Autoren aus dem Bereich der "Bergischen Gesamthochschule Universität Wuppertal", die in öffentlichen wie akademischen Berufsfeldern tätig sind. Im Digitaldruck leserfreundlich gestaltet und sparsam illustriert, kann der vorliegende Band nicht nur regionalgeschichtliches Interesse voraussetzen. Neuere Forschungsergebnisse zum Thema Nation und Religion sind durchweg berücksichtigt. Insbesondere in den Anmerkungen des einführenden Beitrags finden sich zahlreiche thematisch relevante Literaturangaben.

Kurt Meier, Leipzig


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