Georg Dattenböck

Heinrich von Hag/Ofterdingen:


Verfasser des Nibelungenliedes!

Rezension


Bis in die unmittelbare Gegenwart herein galt ein namentlich nicht nachweisbarer Kleriker im Umkreis des Bischofs von Passau als der Schöpfer des Nibelungenliedes (NL).

Der Oberösterreicher Georg Dattenböck kann zwar nach seiner jahrelangen Nibelungenforschung nicht mit letzter Sicherheit den Verfasser des NL benennen. Doch ist es ihm gelungen, überzeugende Indizien vorzulegen, dass dieser aus der adeligen Hager Sippe stammt.

Er bringt nicht nur aus sprachwissenschaftlich-germanistischer, sondern auch aus herrschafts- und landesgeschichtlicher Perspektive beachtliche Argumente dafür, dass höchstwahrscheinlich der Österreicher Heinrich von Hag/Ofterdingen der Verfasser des lange Zeit vergessenen Heldenepos ist. Bei Ofterdingen handelt es sich aber wohl nicht um den bei Tübingen gelegenen schwäbischen Ort, sondern um Oftering bei Linz. Dattenböck erschließt aber erstmals aus Quellenmaterial und der Heraldik (Wappenkunde), dass es herrschaftsgeschichtliche Querverbindungen zwischen dem schwäbischen Ofterdingen und dem einst bairischen Oftering gibt.

Die Hager waren Uradel, traten aber freiwillig in den ministerialen Dienst. Ihre Wurzeln reichen weit zurück, nicht nur in Oberösterreich, sondern auch in Bayern und evtl. auch im Rheinland. Auffallend ist, dass die meisten Burgen und Verwaltungssitze der Hager an bzw. in unmittelbarer Nähe der bayerischen und österreichischen Donau zu finden sind, z.B. in Linz, Enns, Melk und Mautern/Göttweig. Dattenböck versuchte erstmals die Hager auch mit Worms, dem staufischen Herrschaftszentrum und Mittelpunkt der Hofhaltung, in Verbindung zu bringen.

Worms war in vorstaufischer und staufischer Zeit auch ein bedeutendes jüdisches Kulturzentrum. Eine wichtige Schnittstelle des Handels und der Kooperation von Deutschen (inkl. Familie Hag), Ungarn und Juden waren das westungarische Gran und das Grantal (Kremnitz/Schemnitz), in welchem Dattenböck urkundlich auch Nachkommen des Heinrich von Hag fand.

Dattenböck hat es sich nicht nur zur Aufgabe gemacht, den Autor des NL zu finden oder besser gesagt auf den Umkreis der Hager Sippe einzugrenzen, sondern er zeigt auch neue Perspektiven zur Entstehung des NL und zur Interpretation der verschiedenen erst relativ spät (wieder) entdeckten Handschriften auf. Auf Grund des Verbundes von germanistischer Methode, Genealogie, Heraldik (z.B. Greif-Symbol) und Herrschaftsgeschichte kommt er zu neuen Erkenntnissen der Identität von Siegfried, Krimhild, Volker, Hagen etc.

Alle im NL genannten Personen sind nach Dattenböck keine Phantasieprodukte, sondern Personen mit einem realen historischen Hintergrund, allerdings nicht unbedingt aus der Völkerwanderungszeit, in welcher die NL-Story spielt, sondern aus der Epoche, in welcher wohl ein Hager das NL mit der Siegfried-, Dietrich-, Hildebrand-, Hunnen- und Burgundersage verbunden und zu einem deutschen Epos gestaltet hat.

Dattenböck untermauert die Thesen seines NL-Puzzles nicht nur herrschaftsgeschichtlich, sondern kommt auch zu höchst interessanten neuen Erkenntnissen bisher weitgehend im Dunkel liegender Völker wie der Hunnen, Alanen, Awaren, Goten und Vandalen. Vieles, was er in seiner Arbeit zum NL hier festgehalten hat, findet man bereits in seinem Buch von 2006 zu den Vandalen.

Dattenböcks Buch ist nicht nur für Germanisten und Historiker, sondern auch für Laien ohne Probleme lesbar. Wie bisher kein anderer NL-Autor hat er sein Werk mit zahlreichen Karten, Stammtafeln und sonstigen Abbildungen, welche die Lektüre erleichtern, ausgestattet. So macht Lektüre wirklich Spaß!

Georg Dattenböck lebt in Oberösterreich und beschäftigt sich mit der Welt des frühen Mittelalters.

Wilhelm Kaltenstadler, 06-05-2011

Prof. Dr. Wilhelm Kaltenstadler ist ein deutscher Historiker und Autor mehrerer fachwissenschaftlicher Bücher. Kaltenstadler veröffentlichte Werke zur antiken und europäischen neuzeitlichen Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte sowie zur bayerischen Volkskunde.


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