Bülent Ucar

Der utopische Roman 'Das Land der Bienen'
von Ali Nar

Veröffentlichungen des Islamischen Wissenschafts- und Bildungsinstituts
Band 9

Rezension


Das hier besprochene Bändchen besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen: zum einen aus der deutschen Übersetzung eines der wohl bekanntesten Werke türkischer ‚islam(ist)ischer Literatur' (islami edebiyât), des kurzen „utopischen Romans" Arslar Ülkesi von Ali Nar (S. 22-105), zum anderen aus der Einführung des Herausgebers, Prof. Dr. Bülent Ucar, in die Gedankenwelt des Autors (S. 5-20). Zwischen beiden Hauptteilen findet sich außerdem ein kurzes, jedoch literaturwissenschaftlich sehr aufschlussreiches Geleitwort von Ali Nar selbst.

Dieses Geleitwort charakterisiert den Roman, dessen Grundplot in der Erzählung vom Verlust und der anschließenden Rückeroberung eines Paradieses (der „Bieneninsel") besteht, als eine symbolische Darstellung der „Abenteuer der Menschheit" als solcher: „Besetzung, Umsiedlung, Wiederaufbau, Rückkehr und Befreiung" (S. 21). Das zeigt, dass der Autor seine Erzählung trotz ihrer z.T. sehr deutlichen, kaum mehr durch Symbolik kaschierten Bezugnahme auf spezifisch türkische Verhältnisse in einem weiteren, allgemeinen Rahmen als paradigmatisch für die (Heils-)Geschichte der Menschheit als ganzer verstanden wissen möchte. Das Geleitwort macht ferner deutlich, dass es Nar nicht um das Erzielen von Effekten, wie sie seines Erachtens gemeinhin mit der Gattung des utopischen Romans verbunden werden, geht. Er bediene sich zwar des Genres, nehme dessen „Stil" jedoch eigentlich „nicht ernst" (S. 21). Denn schließlich gereichten weder bloße Unterhaltung noch „übertriebener" Realismus in der Ausgestaltung sozialer Wirklichkeiten der Menschheit zum Nutzen. Die eigentliche Aufgabe von Literatur sieht der Autor offenbar in der (hier durch ein fabelartiges Gleichnis initiierten) Bewusstmachung historischer Fehlentwicklungen und im Vorzeichnen eines möglichen Lösungsparadigmas (im Sinne einer dem Exempel der Tierfabel zu entnehmenden Handlungsanleitung).

Als Verfechter einer ‚islam(ist)isch' engagierten Literatur zeigt sich der Autor in seinem Geleitwort außerdem darauf bedacht, seinen Text als im Archetyp der Erzählung von der Hidschra (higra) des Propheten Mohammed und der Wiedereroberung Mekkas zu verankern.

Über den Roman als solchen sowie die adab islami- / islami edebiyât-Bewegung, in deren Zusammenhang er gehört, wurde bereits andernorts berichtet und geforscht, weshalb es sich erübrigt, an dieser Stelle näher auf Inhalt und Deutungsansätze einzugehen. Diesbezügliche bibliografische Hinweise finden sich in der Einleitung des Herausgebers, die auch knapp den Forschungsstand referiert. Ebendiese Einleitung bietet außerdem auf den Seiten 11 bis 16 eine detaillierte Zusammenfassung der Romanereignisse, die allen, die die Einleitung noch vor dem eigentlichen Roman lesen, einen sehr guten Eindruck von Handlung, Thematik und Erzählweise des Werkes zu gehen vermag.

In der nachfolgenden ‚Einordnung' ("Wie ist dieser Roman nun einzuordnen [...]?", S. 16) liest Ucar Das Land der Bienen als ein Werk, das „[i]m Grunde genommen [...] von der jüngeren Geschichte der modernen Türkei bzw. der ihr aufoktroyierten Verwestlichung" handle (ebd.). Die Entscheidung, diese Geschichte „verschlüsselt und symbolisch" zu erzählen, sei, so Ucar unter Berufung auf ein Interview der Zeitschrift Ay Vakti mit Ali Nar aus dem Jahre 2001, vor allem „aus Angst vor Verfolgung" gefallen, jedoch auch „literarisch-stilistisch[.]" motiviert. Diese Hintergrundinforniationen des Herausgebers sind für die Deutung und Würdigung des Romans so nützlich und erhellend wie seine Ausführungen zu Ali Nars theologischen Positionen (vgl. den Abschnitt „Ein konservativer islamischer Theologe", S. 7-11), von denen das literarische Schaffen des Autors „nicht ohne Weiteres zu trennen ist" (S. 6) und die sich vielleicht am besten mit dem Begriff‚unbeugsam-konsequenter Traditionalismus' charakterisieren lassen (auf der Rückseite des Bandes ist von einem „konservativen Gelehrtenmilieu [...], das Reform und Zeitbezug argwöhnisch beäugt und kritisiert", die Rede; gleichlautend auch die Produktinformation auf der Webseite des Verlages).

Die deutsche Übersetzung des türkischen Textes ist nicht nur korrekt (wie willkürliche Stichproben zeigen), sondern auch so flüssig und geschmeidig, dass man ihr die Übertragung aus einem nicht-deutschen Original - noch dazu aus einer Sprache mit einer so ganz anderen Syntax - kaum anmerkt. Umso mehr fragt man sich, warum die beiden Übersetzerinnen (Sultan Baysal-Polat und Birgül Bayram) und die Redakteure (Bacem Dziri, Jörg Ballnus, Anna W. Klie), denen allen dieses Verdienst gebührt, nicht an prominenterer Stelle als nur en passant am Ende des Herausgebervorworts (S. 20) genannt werden.

Interessant wäre es auch zu erfahren, von welchen Uberlegungen das Layout, die Gesamtaufmachung des Buches, geleitet wurde. Erschienen als Band 9 der Veröffentlichungen des Islamischen Wissenschafts- und Bildungsinstituts in schmucklos-nüchternem, in zwei Blautönen gehaltenem und nur durch ein paar feine, doch streng waage- und senkrechte rote Linien ‚aufgelockertem' Einband mit dem Herausgebernamen als erster und dem Titel Der utopische Roman ‚Das Land der Bienen' von Ali Nar als zweiter fett gesetzter Überschrift, erwartet der Leser eher eine Sammlung wissenschaftlicher Artikel zu Nars Roman denn die Übersetzung des literarischen Werkes selbst. Die einleitende Abhandlung, die sich ‚gelehrter' Fußnoten und gar einer korrekten wissenschaftlichen Umschrift für arabische Fachterminologie und Namen bedient, bestärkt den Eindruck, dass es hier weniger - oder zumindest nicht allein - darum ging, ein Stück islami edebiyât als Literatur wirken zu lassen, als darum, es gleichzeitig als Studienobjekt zu präsentieren und damit bei aller Sympathie für den Menschen Ali Nar und sein Werk auch eine kritische Distanz beiden gegenüber nahezulegen - was bei der Übertragung eines solchen Werkes aus dem türkischen in einen deutschen Rezeptionskontext sicherlich sehr sinnvoll ist. So wird der Leser den Roman ernst nehmen als ein Dokument des Bemühens, „vor dem Hintergrund politisch brisanter Verhältnisse [...,] gesellschaftliche und politische Ereignisse aus einer entsprechend islamisch-ideologischen Perspektive zu verarbeiten" (Bucheinband Rückseite)...

Prof. Dr. Stefan Guth
Department of Cu1tire Studies and Oriental Languages (IKOS) der Universität Oslo, Norwegen


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