Frank Rudolph

Die evangelische Marienkirche in Niederweidbach
und ihr Marienaltar

Kirchengeschichte Dorfgeschichte Regionalgeschichte

Rezension


Pfr. Dr. Frank Rudolph befasst sich seit einigen Jahren intensiv mit dem Kirchenbau, speziell in den Dekanaten Biedenkopf und Gladenbach. Rudolph hat hierzu inzwischen zahlreiche Veröffentlichungen vorgelegt. Das zu besprechende Buch von 2009, in dem sich Rudolph mit der Geschichte seiner Kirchengemeinde und seiner Pfarrkirche einschließlich deren Ausstattung befasst, hatte seinen Ursprung in einem Beitrag zu dem Förderpreis Heimatgeschichte des Hessischen Ministeriums für Kunst und Wissenschaft im Jahre 2006. In einer Veröffentlichung aus jüngster Zeit (2011) bringt Rudolph wieder neue Aspekte zur Kirche und zum Sakramentshäuschen. Hierdurch zeigt sich, dass Forschung ein Prozess und selten abgeschlossen ist und auch dieses Buch schon wieder ergänzt werden kann. Rudolph stellt die Kirchengeschichte im Zusammenhang mit der Dorfgeschichte und Regionalgeschichte umfassend dar von der Christianisierung bis zur heutigen Zeit. Überwiegend stützt er sich auf die bisher veröffentlichte, ihm bekannte Literatur, die er systematisch auswertet und kommentiert, um zu einer eigenen Einschätzung zu kommen.
Nach einer Einleitung im ersten Kapitel gibt Rudolph im zweiten Kapitel eine gedrängte und sehr inhaltsreiche Darstellung der kirchlichen und weltlichen Geschichte der Region im Mittelalter. Besprochen werden in kirchlicher Hinsicht u. a. die Christianisierung, die Kirchen- und Pfarrorganisation mit Bistümern, Archidiakonaten, Archipresbyteriaten und Sendbezirken sowie in weltlicher Hinsicht die verschiedenen Herren, von denen vor allem die Grafen von Solms zu nennen sind. Anzumerken zu diesem Kapitel wäre, dass unter der zahlreichen verarbeiteten Literatur das ältere Werk von Kleinfeldt-Weirich über die mittelalterliche Kirchenorganisation im oberhessisch-nassauischen Raum fehlt, in dem gerade auch der Raum Niederweidbach behandelt wird; dies wird aber wohl durch die intensive Rezeption jüngerer Literatur inhaltlich ausgeglichen.
Im dritten Kapitel behandelt Rudolph den Kirchturm, dessen Bauzeit er in die Jahre um 1300 setzt, und diskutiert dessen Funktion. Dabei entscheidet er sich dafür, sie als Teil einer Wehrkapelle anzusehen. Kurz beschreibt er die Volksfrömmigkeit im Spätmittelalter und geht auf die Köln-Leipziger Handelsstraße ein, die 1357 in das Aartal verlegt wurde und somit unmittelbar durch Niederweidbach führte. Hierdurch nahm der Ort an Bedeutung zu.
Dies könnte auch die Verleihung des Taufrechtes an die Kapelle Niederweidbach im Jahre 1448 veranlasst haben, die Rudolph im vierten Kapitel beschreibt und problematisiert. Im Mittelpunkt dieses Abschnittes steht dann das Kirchenschiff, das 1498 neu gebaut wurde. Ob noch bis 1520 an der Kirche gearbeitet wurde, wie Rudolph andeutet, weil in diesem Jahr "Baumeister" erwähnt werden, sei dahingestellt, weil unter dieser Bezeichnung damals eher die finanziellen Verwalter der Kirchen(bau)kasse als Architekten oder Handwerker zu verstehen waren. Ausführlich und sehr instruktiv mit vielen allgemeinen Erläuterungen wird der Kirchenbau, der als zweischiffige Hallenkirche gestaltet wurde, beschrieben, mitsamt seinen Details wie Säulen, Schlusssteinen usw. Das Patrozinium der Maria und seine Auswirkungen werden ebenfalls kurz geschildert. Umfangreich geht Rudolph auf das Wallfahrtswesen ein und erläutert zunächst die verschiedenen Formen von religiös begründeter Mobilität wie Walloder Pilgerfahrten, Prozessionen oder dem Zusammenströmen des Volkes. Er tut dies auf dem Hintergrund der Überlieferung der Marienkirche als Wallfahrtskirche, welche Funktion er entschieden verneint, da es hierfür keine Belege gäbe und auch kein Ziel einer Wallfahrt erkennbar sei. Hier muss freilich darauf hingewiesen werden, dass es aus dem Jahre 1523 doch einen in der "grauen Literatur" etwas versteckt publizierten Hinweis auf eine Wallfahrt nach Niederweidbach gibt: Oswald K. Thielmann: Siegbach - wo Berge rings ein Tal umschließen. Eine junge Gemeinde mit alter Geschichte, Ewersbach 1981, S. 16. Dadurch, dass Rudolph aber umfangreiche Recherchen in zahlreicher Literatur vorgenommen hat, die allesamt negativ verlaufen sind, wird jedoch deutlich, dass eine solche Wallfahrt bestenfalls von lokaler Bedeutung gewesen sein kann.
Im fünften Kapitel beschreibt Rudolph die Entwicklung der Kirche von der Reformation bis zur heutigen Zeit allgemein in den verschiedenen Territorien der Region und speziell in Niederweidbach, das seit 1533 einen eigenen Pfarrer hatte, sehr anschaulich. Im sechsten Kapitel berichtet er die Renovierungsmaßnahmen an dem Kirchengebäude übersichtlich und informativ bis zur letzten großen Innenrenovierung von 1995 bis 1998, bei welcher der Raum in Annäherung an die historistische Fassung von 1894/95 ausgemalt wurde.
Das siebte Kapitel widmet sich eingehend der Ausstattung der Kirche. Dabei wird deutlich, dass hinsichtlich mancher Stücke wie dem Taufstein (Datierung), dem Sakramentshäuschen (Wappen) oder der Kanzel (Namen) noch Fragen offen sind. Im achten und einem der zentralen Kapitel wird der Marienaltar behandelt - ein Flügelalter, der im Schrein die Plastiken von JHKV 62 (2011): Rezensionen 317 Maria, Jakobus und Nikolaus enthält. Die Flügel sind auf beiden Seiten mit Szenen aus dem Leben der Maria bemalt. Rudolph beschreibt eingehend alle Darstellungen und Motive, insbesondere die Personen auf der sogenannten Donatorentafel, deren Identität zum Teil noch Fragen aufwirft. In diesem Zusammenhang ist auch die Beschreibung von Leben und Werk von Hans Döring interessant, der die Tafeln wahrscheinlich zwischen 1516 und 1518 geschaffen hat. Von den Plastiken ist jedoch der Künstler bisher nicht ermittelt worden; Rudolph weist zurecht darauf hin, dass die wissenschaftliche Erforschung der Plastiken erst begonnen hat. Wie Rudolph darstellt, kann unter anderem die Werkstatt von Hans Backoffen aus Mainz oder eine süddeutsche Werkstatt in Erwägung gezogen werden. Anschließend geht es um die Geschichte und die Veränderungen an dem Altarschrein. Dabei kam anlässlich dessen letzter Restaurierung 2003 bis 2005 die Vermutung auf, dass der Altar erst im 19. Jahrhundert aus mehreren Teilen des 16. Jahrhunderts zusammengestellt worden sei. Rudolph geht diesem Gedanken weiter nach und kommt zu dem Ergebnis, dass die Zusammenstellung schon im 18. Jahrhundert erfolgt sei. Rudolph erwähnt an dieser Stelle jedoch, dass im Pfarrarchiv von Niederweidbach noch etliche bis zum 17. Jahrhundert zurückreichende Quellen lägen, die über die Geschichte des Altares weitere Auskunft geben könnten, aber noch nicht ausgewertet seien. Die Auswertung gerade dieser Schriftstücke wäre freilich wünschenswert gewesen, weil sich hierdurch manches zur Kirchen- und Kirchenbaugeschichte, worüber in dem Buch Vermutungen angestellt werden, vielleicht hätte faktenmäßig klären lassen. Hier darf man auf weitere Forschungsergebnisse von Rudolph gespannt sein. Im neunten Kapitel äußert Rudolph noch kurze Gedanken zu der Kirche als Versammlungsraum im Ort, um dann im zehnten Kapitel eine Zusammenfassung der Arbeit zu bieten.
Eine Zeittafel, ein Orts- und Namensverzeichnis sowie etliche gute Farbabbildungen runden diese insgesamt gelungene Monographie ab, die klar gegliedert, flüssig geschrieben und gut lesbar ist.

Gerald Bamberger


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