Ruth Ammanns Studie, eine (2006 abgeschlossene) Lizentiatsarbeit im Fach Neueste Schweizer Geschichte, befasst sich mit der Entwicklung lesbischer und lesbisch-feministischer Aktivismen am Beispiel von Gruppen und Projekten im Raum Bern von der Mitte der 1970er bis zum Beginn der 1990er Jahre. Wie in einer Forschungsagenda zur Neuen Frauenbewegung in der Schweiz als
Desiderat formuliert, konzeptualisiert die Autorin die von ihr untersuchten Formationen als Teil einer Neuen Sozialen Bewegung; darüber hinaus aber legt sie Wert darauf,
die Neue Frauenbewegung als "möglichen Bezugsrahmen für (politische) Lebens- und
Selbstentwürfe" zu betrachten. Insgesamt ist ja zu unterstreichen, dass es in den letzten Jahren wenig Aufarbeitungen zur Geschichte lesbischer Frauen im deutschsprachigen Raum gab, was unter anderem mit dem "queer turn" in den feministischen Kultur- und Sozialwissenschaften zu tun
haben dürfte, der eher auf sexuelle Figurationen generell fokussieren lässt denn auf -
beispielsweise - ‚nur' Lesben. Wie die Autorin darlegt, stammen in der Schweiz Arbeiten zum Thema vor allem aus dem Bereich grauer Literatur, und sie sind in der Regel von beteiligten Aktivistinnen selbst verfasst. Ruth Ammann bettet die Entstehungsgeschichte der Lesbenbewegung(en) in der
Schweiz zunächst in eine Skizze der Themen, Forderungen und Projekte der FBB
("Frauenbefreiungsbewegung") vor allem in ihren Anfängen ab 1968 ein. Seit den
1990er Jahren befindet sie die Lesbenbewegung als eigenständig und von der Frauenbewegung weitgehend abgelöst. Zur Schweizer Lesbengeschichte gehört, was in vielen Ländern auf vergleichbare Weise Gegenstand historischer Auseinandersetzungen und Ausformungen war: manchmal schwierige Positionierungen zwischen der Schwulen-
und der Frauenbewegung, die Entfaltung von Initiativen und Projekten, die Gründung
und Ausweitung eigener Medien, Theorie- und Praxisdebatten bei feministischen
Kongressen. In Zürich gab es in den lesbenbewegten Anfangsjahren die umtriebige
"Homosexuelle Frauengruppe", programmatische Interventionen zu "lesbischem
Feminismus", die Zeitschrift "Lesbenfront, eine Frauendisco ... Zu Genf zeichnet die
Autorin die Organisationsgeschichte der frühen Lesbenbewegung anhand ihrer
Gruppierungen von "Sappho s'en fout" (etwa: "Sappho pfeift drauf') bis zu "Vanille-Fraise"
("Vanille-Erdbeer") und der Zeitschrift "CLIT 007" ("Concentré Lesbien Irrésistiblement Toxique": "Unwiderstehlich giftiges lesbisches Konzentrat") nach. Der Hauptteil der Arbeit beschäftigt sich mit drei Gruppierungen in Bern, zu denen
Ruth Ammann Interviews mit damaligen Aktivistinnen geführt und Quellen teils aus
Privatbeständen aufgearbeitet hat. Zur LIB ("Lesben Initiative Bern") analysiert sie
insbesondere deren Gründungsphase und die Strategie der ‚Gründerinnen', ‚Lesbe' als
politische Identität zu schaffen. Sie im politischen Feld zwischen Neuer Linker, Frauenbefreiungsbewegung und ‚unpolitischer' lesbischer Subkultur zu etablieren, bedeutete vielerlei Konfrontation mit den ganz selbstverständlich heteronormativen und homophoben Rahmenbedingungen der späten 1970er Jahre. Dieser Gruppierung werden die "Radikalfeministinnen Bern-Fribourg-Basel" um
1980 gegenübergestellt. Ein gutes Dutzend Aktivistinnen entfaltete hier ihre "Women
only-Politik" auf der Basis einer Sex/Gender-Analyse, die in erster Linie gegen ‚Zwangs
heterosexualität' argumentierte und mit dieser Position vor allem bei Demonstrationen
zum Internationalen Frauentag präsent war. Für die "Radikalfeministinnen" war,
wie Ruth Ammann hervorhebt, lesbisches Coming-out nicht per se ein politischer Akt,
sondern Teil eines von Feministinnen kollektiv zu führenden politischen Kampfes
gegen das System patriarchaler Heterosexualität. Für die 1980er und frühen l990er Jahre geht die Arbeit dem Entstehen einer
Frauenkneipe im Frauenzentrum Bern nach ("Froueloube", dann "Spinne" genannt), die
sich selbst zwar nicht als Lesbenprojekt verstand, für die aber Lesbenpolitik durchgängig wichtiges und immer wieder kontroverses Thema war. Aus einer der Untergruppen
der Kneipeninitiative entwickelte sich schließlich die Initiative "KultVe", die sich selbst
ausdrücklich als lesbisches Projekt präsentierte, Kurse und Vorträge veranstaltete (unter
anderem war Mary Daly hier zu Gast) und einen gynozentrischen, von Ammann dem
"kulturellen Feminismus" zugeordneten Ansatz vertrat. Bei der Lektüre der Studie erschließt sich immer wieder der große Reiz eines mikrohistorischen und lokalgeschichtlichen Zugangs. Dennoch ist es schade, dass die Arbeit hier stehen bleibt. Für ‚Nicht-Iocals' wäre sie leserlicher, würde sie mögliche Anknüpfungspunkte für weitere Forschungen formulieren, beispielsweise für den Bereich
der schweizerischen Geschichte von Geschlechterverhältnissen oder im Hinblick auf
internationale Frauenbewegungs-, lesbische und queere Geschichte. Jedenfalls bleibt zu
begrüßen, dass die unterschiedlichen Strategien einer ‚Sichtbarmachung' lesbischer
Identifikation und Politik seitens ihrer Akteur_innen oder auch seitens ihrer Historiker_ innen nach wie vor in Bewegung sind, spannend, strittig und (auf produktive Weise) nicht abgeschlossen. Hanna Hacker, Wien
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