Mirko Nottscheid, Christine M. Kaiser, Andreas Stuhlmann (Hrsg.)

Die Germanistin AGATHE LASCH (1879–1942)

Aufsätze zu Leben, Werk und Wirkung

bibliothemata, Band 22

Rezension


Ein Jahr nach der Untersuchung über die Relikte der Privatbibliothek Agathe Laschs liegt nun eine umfassende Würdigung ihres Lebensweges und traurigen Schicksals vor. Acht Beiträge schildern die wichtigsten Stationen im Leben einer deutsch-jüdischen Wissenschaftlerin, die es trotz großem Talent nicht leicht hatte, sich im akademischen Betrieb des Kaiserreichs und der Weimarer Republik zu etablieren. Der Nationalsozialismus bereitete ihrer Karriere ein abruptes Ende. Auf die systematische Entrechtung folgten Deportation und Ermordung.

Die von den Nationalsozialisten drohende Gefahr hatte Agathe Lasch natürlich bald erkannt und sich nach ihrer Entlassung 1934 intensiv um eine Emigration bemüht. Christine M. Kaiser belegt diese Initiativen in ihrem Beitrag Zwischen Hoffen und Verzagen (S. 11 - 46) detailliert. Letztlich scheiterten alle Bemühungen, eine neue Wirkungsstätte in Tartu (Dorpat), Helsinki, Lund, Oslo, Göteborg oder auch in den USA zu finden. Dort hatte Lasch bereits in den Jahren 1910 bis 1916 am Bryn Mawr College in Pennsylvania gelehrt. Es bleibt noch zu erforschen, warum keiner der zahlreichen Emigrationsversuche letztlich von Erfolg gekrönt war.

Das engere Tätigkeitsfeld der Germanistin, die niederdeutsche Dialektologie und Lexikographie, beleuchtet Ingrid Schröder in Agathe Lasch und die Hamburger Lexikographie (S. 47 - 62). Seit Conrad Borchling Lasch 1917 ans damalige Hamburger Kolonialinstitut geholt hatte, beschäftigte sie sich intensiv mit der Erarbeitung des Hamburgischen Wörterbuchs und des Mittelniederdeutschen Handwörterbuchs, die man wohl als ihre Hauptwerke bezeichnen kann. Seit 1919 habilitiert und seit 1923 Professorin an der neu gegründeten Universität der Hansestadt, damit die erste Professorin in Deutschland überhaupt, bildete die strenge, aber trotzdem beliebte Lehrerin zahlreiche junge Germanisten aus.

Eine wichtige Säule ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit blieben Besprechungen von Neuerscheinungen im Bereich der niederdeutschen Philologie. Andreas Stuhlmann kann in seinem Aufsatz Agathe Lasch als Rezensentin (S. 63 - 88) zwar nur 24 Rezensionen aus 22 Jahren anführen, schränkt aber durchaus ein, daß man hier noch auf weitere Entdeckungen hoffen kann. Aus allen Anzeigen sprachen eine überragende Sachkenntnis, eine gründliche, kritische Analyse, ohne jedoch jüngere Forscher durch allzu harsche Kritik zu entmutigen.

Der hier noch angekündigte Projektbericht Die Rekonstruktion einer Forscherbibliothek von Matthias Harbeck und Sonja Kobold (S. 89 - 108) ist schon 2008 in erweiterter Form in der genannten Monographie erschienen. Einen längeren Beitrag widmet Mirko Nottscheid (S. 109 - 168) der Germanistin und Niederlandistin Annemarie Hübner (1908 - 1996), einer Schülerin Agathe Laschs, deren Promotion nach zahlreichen im Zusammenhang mit Laschs Entlassung 1934 stehenden Schwierigkeiten 1938 doch noch vollzogen werden konnte. Ihrer verehrten Lehrerin zutiefst verpflichtet, engagierte Hübner sich vor allem bei der Fortführung des Mittelniederdeutschen Handwörterbuches. Der Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit verlagerte sich nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr in Richtung Niederlandistik. Lange Jahre arbeitete sie als Lektorin für Niederländisch und Afrikaans an der Universität Hamburg. Einige allerdings recht kurze Briefe von Agathe Lasch an Annemarie Hübner aus den Jahren 1930 bis 1936 erlauben einen tieferen Einblick in die Beziehungen der beiden Germanistinnen.

Den schwierigen, oft auch lange unsensiblen Umgang mit der Erinnerung an Opfer der Shoah spricht Moritz Terfloth (S. 169 - 188) an. "Wer oder was bzw. war ‚Lasch'" fragt er und schildert anhand von Schriftwechseln das langwierige, wahrlich 23 Jahre dauernde Verfahren zur Benennung des Agathe-Lasch-Wegs in Hamburg-Othmarschen.

Ein weiteres würdiges Denkmal wurde der renommierten Sprachforscherin durch die Auslobung des Agathe Lasch-Preises gesetzt, den der Verein für niederdeutsche Sprachforschung von 1987 bis 2007 sechsmal an profilierte Nachwuchswissenschaftler vergeben hat (Dieter Möhn, S. 189 - 203). Von hohem Quellenwert ist das von Brit Bromberg (S. 205 - 242) erstellte Verzeichnis Agathe Laschs Korrespondenz in der Arbeitsstelle Hamburgisches Wörterbuch (1917 - 1934). Es weist 564 Korrespondenzen von und an Agathe Lasch nach. Die Briefpartner werden in Fußnoten kurz vorgestellt.

Mit seinen sorgfältig recherchierten, quellennahen Beiträgen aus der Feder von überwiegend Hamburger Germanisten erinnert der Sammelband an eine hochqualifizierte und hochverdiente Wissenschaftlerin, die ihre vielfach von ihr selbst bekundete Liebe zur deutschen Sprache und Kultur bitter bezahlen mußte, indem sie den Nationalsozialisten noch etwas Menschlichkeit zubilligte und deswegen erst spät, zu spät an Emigration dachte. Wir verfügen somit über einen weiteren bedeutenden Mosaikstein zur Geschichte der Germanistik sowie zur deutsch-jüdischen Geschichte.

Manfred Komorowski


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