Daniel Salzmann

Dynamik und Krise des ökonomischen Patriotismus

Das Tätigkeitsprofil der Oekonomischen Gesellschaft Bern 1759-1797

Band 9 der Schriftenreihe: Berner Forschungen zur Regionalgeschichte

Rezension


Aus dem im Jahr 2003 an der Universität Bern begonnenen Forschungsprojekt "Nützliche Wissenschaft, Naturaneignung und Politik - Die Oekonomische Gesellschaft Bern im europäischen Kontext (1750-1850)" (Projektleitung: Prof. Dr. Andre Holenstein, Prof. Dr. Christian Pfister; Projektkoordination: Dr. Martin Stuber) sind bereits zahlreiche Einzelbeiträge und Studien, zuletzt auch ein Sammelband zur Geschichte der Oekonomischen und Gemeinnützigen Gesellschaft Bern hervorgegangen. (Vgl. etwa Martin Stuber u. a. [Hg.], Kartoffeln, Klee und kluge Köpfe. Die Oekonomische und Gemeinnützige Gesellschaft des Kantons Bern OGG [1759-2009], Bern u. a. 2008; Projekthomepage: http://www.oeg.hist.unibe.ch/).

Im Druck liegt nun die Lizentiatsarbeit des Projektmitarbeiters Daniel Salzmann aus dem Jahr 2006 vor, betreut von Christian Pfister. Der Konzentration des übergreifenden Projekts auf Kommunikation und Praxis entsprechend, hat Salzmann zur Erstellung eines "Tätigkeitsprofils" der Oekonomischen Gesellschaft Bern, die eine Vorreiterrolle unter den europäischen Sozietäten physikalisch-ökonomischer Ausrichtung einnahm, eine ganze Reihe von Möglichkeiten ihres Wirkens in den Blick genommen. Mit einer im Schwerpunkt quantifizierenden Vorgehensweise erstellt Salzmann ein Bild der Aktivitäten und des institutionellen Gefüges der Oekonomischen Gesellschaft über einen Zeitraum von knapp 40 Jahren. Überzeugend präsentiert der Autor einleitend sein methodisches Vorgehen als eine Verbindung von "Rekonstruktion" und "Perzeption": durch die Auswertung serieller Daten zu Größe und Organisation, verschiedenen Medien der Kommunikation mit gelehrter Welt und breiterer Öffentlichkeit sowie zu Projekten der Beförderung (agrarökonomischer) Innovationen auf der einen Seite (Kap. 2) und durch die qualitative Analyse der Reflexionen von Sozietätsmitgliedern auf den Zustand der Oekonomischen Gesellschaft auf der anderen Seite. Angeschlossen wird eine Diskussion der Gründe für den schon in den 1760er Jahren zu konstatierenden Rückgang der Aktivitäten der Oekonomischen Gesellschaft (Kap. 3 und 4). Ein materialreicher Anhang mit prosopographischen Informationen und Tabellen zu den präsentierten Datenreihen sowie eine umfangreiche Bibliographie schließen den Band ab.

Die Verbindung der Datenerfassung des Autors mit der Erschließungsarbeit des übergreifenden Forschungsprojekts zur Oekonomischen Gesellschaft hat die Auswertung einer beeindruckenden Fülle bzw. Varietät von Quellen ermöglicht, die von Jahresabrechnungen der Gesellschaft über Sitzungsprotokolle, Gutachten und Verlagsverträge bis hin zu Publikationen der Oekonomischen Gesellschaft reichen. Der Untersuchungszeitraum ist auf die Jahre 1759 bis 1797 eingegrenzt, umfasst also die Jahrzehnte von der Gründung der Oekonomischen Gesellschaft bis in eine Phase, in der sich die politischen Rahmenbedingungen durch die Folgen der Französischen Revolution deutlich veränderten.

Auf dieser Grundlage gelingt es Salzmann, die bisherige Forschung zur Etablierung und Entwicklung der Oekonomischen Gesellschaft mit einer soliden Datenbasis zu ergänzen, bisherige Wertungen zu differenzieren bzw. in wichtigen Punkten zu relativieren. Die quantifizierende Analyse ist klar in fünf Bereiche geschieden: Als "Grundlagen der Tätigkeit" werden die Anzahl von Subskribenten als Finanziers der Sozietät, die Entwicklung der Mitgliederzahlen und schließlich das wachsende Vermögen der Oekonomischen Gesellschaft erfasst; unter "Austausch und Diskussion" werden sowohl die innersozietäre Kommunikation durch die Erfassung der Versammlungstätigkeit als auch die Verbindung ,nach außen' durch Korrespondenz (statistisch erschlossen über die eingehenden Briefe) und an die Gesellschaft eingesandte Abhandlungen analysiert. Schlüssig vom Bereich Diskussion abgegrenzt sind Impulse, die die Sozietät zum einen durch die Ausschreibung von Preisfragen und durch eigene Publikationen zu setzen versuchte ("Diskussionsanstoß und Bekanntmachung"), zum anderen durch Prämien und Belohnungen für Innovationen bzw. Verbesserungen im Produktionsprozess von Landwirtschaft und Gewerbe ("Belohnung und Unterstützung"). Mit "Beobachtung und Erprobung" sind schließlich von der Oekonomischen Gesellschaft angestoßene und koordinierte Forschungsprojekte einbezogen, deren bekanntestes sicher die Etablierung eines meteorologischen Messnetzes im Kanton Bern in den 1760er Jahren darstellt.

Das Bild, das sich durch die Ausweitung der Datenreihen ergibt, wird von Salzmann präzise konturiert: Auf eine höchst aktive Anfangsphase bis etwa Mitte der 1760er Jahre mit einem raschen Anwachsen von Subskribenten- und Mitgliederzahlen sowie einer breiten Aktivität auf den verschiedenen aufgezeigten Feldern folgt eine Zeit des anhaltenden, ab 1773 stark beschleunigten Rückgangs, der nur zeitweilig in zwei kurzen Abschnitten der Jahre 1778-1780 und 1792-1797 unterbrochen, nicht aber umgekehrt werden konnte. Deutlich sichtbar sind hier die Stärken des quantitativen Zugangs, wenn Salzmann seine Befunde mit dem Forschungsstand abgleicht: Die Auswirkungen der Reglementierung der Oekonomischen Gesellschaft durch die bernische Obrigkeit im Jahr 1766 werden durch Salzmanns Ergebnisse relativiert, was neuere Forschungsmeinungen, die innere Probleme der Sozietät stärker gewichten, untermauert; darüber hinaus können nun einzelne Phasen des Rückgangs und die Bedeutung spezifischer Aktivitätsbereiche benannt und differenziert betrachtet werden.

>Die Sorgfalt, mit der die Datenreihen für die statistischen Erhebungen ausgewählt, erfasst und in ihrer Bedeutung gewichtet werden, verdient eine ausdrückliche Würdigung. So belegt beispielsweise die ausführliche Begründung der Datenauswahl für die Erstellung einer gemeinsamen Aktivitätskurve aus den Datenreihen bestimmter Aktivitätsformen ein sicheres, fundiertes Urteil des Autors, was Chancen wie auch Grenzen des quantifizierenden Zugangs angeht. Zugleich lädt die differenzierte, transparente Aufbereitung des Datenmaterials (vgl. auch die Publikation der Datenreihen im Anhang) dazu ein, vergleichende Betrachtungen zur Entwicklung anderer Sozietäten anzustellen. Salzmanns graphische Umsetzung der Datenauswertung (hier in Säulendiagrammen) erleichtert die Erfassung von Entwicklungstendenzen dabei sehr.

Der qualitativ angelegte zweite Abschnitt der Untersuchung (Kap. 3, 126-148), in dem die "Perzeption" der Tätigkeit der Gesellschaft durch ihre Mitglieder untersucht wird, fällt deutlich knapper aus, was angesichts der Möglichkeiten einer Lizentiatsarbeit kaum verwundern kann. Salzmann vermittelt jedoch auch hier in der Verbindung mit seinen quantitativen Ergebnissen und unter Einbindung der bisherigen Forschung zahlreiche wertvolle Einsichten und weist ansonsten wichtige Arbeitsgebiete des laufenden übergreifenden Forschungsprojekts zur Oekonomischen Gesellschaft aus. Mit der Auswertung von Versammlungsprotokollen und Reflexionen auf die Aktivitäten der Sozietät in ihren Publikationen wird deutlich, dass die führenden Mitglieder der Oekonomischen Gesellschaft sich mehrfach dem teilweise als dramatisch empfundenen Rückgang der Aktivität entgegenstemmten und Konzepte ausarbeiteten, um sowohl für neue Mitglieder als auch in der Rezeption für die breitere Öffentlichkeit wieder attraktiv zu werden. Die teilweise erfolgreich umgesetzten, teilweise im Sande verlaufenden Verbesserungsvorschläge finden ihren Spiegel in Salzmanns statistischen Auswertungen des ersten Teils. Nun können die Entwicklungsphasen der Sozietät auch deutlicher an das Wirken und die hohe Bedeutung einzelner führender Persönlichkeiten bzw. Präsidenten der Gesellschaft wie Albrecht von Haller oder N. E. Tscharner für ein aktives Sozietätsleben rückgebunden werden.

Das vierte Kapitel (149-194) beleuchtet schließlich - auch vor dem Hintergrund der europäischen Entwicklung - Gründe für den Rückgang der Aktivitäten. Einige Informationen, etwa zur Einordnung der Gründung der Sozietät in den europäischen Kontext der 1750er Jahre, wären eher in einem einleitenden Teil oder zur Erläuterung von Datenanalysen zu erwarten gewesen (s. auch die dort angebrachten Verweise auf Kap. 4 in den Fußnoten) und werden nun an dieser Stelle in die Untersuchung eingebunden. Die europaweit schwindende Attraktivität des Themas Agrarökonomie seit den 1770er Jahren, das Aufgreifen von Initiativen der Oekonomischen Gesellschaft durch die bernische Regierung seit der Etablierung von Sozietätsmitgliedem im Großen Rat Berns, die Konkurrenz durch neue Sozietäten mit neuen Themen, die Reglementierung durch die Obrigkeit und schließlich die Altersstruktur und individuellen Aktivitäten der Mitglieder werden als Faktoren für das Nachlassen der untersuchten Aktivitäten differenziert diskutiert und gewichtet, zumal die Sozietät in ihrer späteren Zeit auch alternative Fördermaßnahmen und damit zum Teil neue "Aktivitätsmuster" (197) für sich entdeckte.

Mit einem überzeugenden Fazit, das quantitative und qualitative Analysen noch einmal zusammenführt und wissenschaftliche (Konjunktur des Themas Agrarökonomie) sowie gesellschaftliche Ursachen in erster Linie für den Rückgang der Aktivitäten dieser langfristig überaus erfolgreichen Sozietät verantwortlich macht, schließt Salzmann seine Untersuchung. Auf breiter, für die statistische Analyse solide aufbereiteter Quellengrundlage erarbeitet der Autor nicht nur das "Tätigkeitsprofil" der Oekonomischen Gesellschaft, das er im Untertitel in Aussicht gestellt hat, sondern eröffnet dem institutionengeschichtlichen Zugang entsprechend auch wertvolle Einblicke in die intern zeitgenössisch teilweise heftig diskutierte Organisationsstruktur der Sozietät und ihre Auswirkungen. Diese Analyse, die weit über das von einer Lizentiatsarbeit Erwartbare hinausweist, liefert überdies nicht zuletzt - wie auch die Forschungsdatenbank des übergreifenden Projekts - wichtige Anregungen und Vergleichswerte zu einer stärker komparativ orientierten Erforschung der europäischen ökonomisch-physikalischen Sozietäten.

Regina Dauser


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