Daniel Salzmann

Dynamik und Krise des ökonomischen Patriotismus

Das Tätigkeitsprofil der Oekonomischen Gesellschaft Bern 1759-1797

Band 9 der Schriftenreihe: Berner Forschungen zur Regionalgeschichte

Rezension


Salzmann, Daniel: Dynamik und Krise des ökonomischen Patriotismus. Das Tätigkeitsprofil der Oekonomischen Gesellschaft Bern 1759-1797.
Lehmann, Peter: Von der Reformsozietät zum Landwirtschaftsverein. Die Oekonomische Gesellschaft Bern in Zeiten des Übergangs 1798-1831.

Die vorliegenden Bücher sind als Lizentiatsarbeiten im Rahmen des Forschungsprojektes Nützliches Wissen, Naturaneignung und Politik. Die Oekonomische Gesellschaft im Kanton Bern im europäischen Kontext (1750-1850) (Leitung: Prof. Dr. André Holenstein, Prof. em. Dr. Christian Pfister) entstanden.

Um es gleich vorwegzunehmen: Die Arbeiten von Daniel Salzmann und Peter Lehmann hätten wohl die Zustimmung der Gründerväter der Oekonomischen Gesellschaft Bern (OeG) - also jener Sozietät, die Salzmann und Lehmann untersuchen — erhalten. Ihre gründliche, systematische, empirisch-statistische Zusammenstellung und Interpretation der Aktivitäten der Gesellschaft zwischen 1759 und 1831 sind gleichsam eine Art topographische Beschreibung der OeG.

Aus der Eingebundenheit in den durch das Projekt bedingten grösseren Forschungskontext ergeben sich Vorteile (gegenseitiger Austausch, Zugang zu Quellen und Forschungsliteratur), aber auch zwei Schwierigkeiten, die in den beiden Arbeiten manifest werden. Erstens wird ziemlich viel Wissen vorausgesetzt, was die Kenntnisse der Geschichte der OeG betrifft. So stellt beispielsweise Salzmann in seiner Arbeit mehrmals die These der älteren Forschung infrage, dass eine Intervention der Berner Regierung im Jahr 1766 den Niedergang der Gesellschaft eingeläutet hätte. Salzmanns Neuinterpretation der durch die statistischen Daten offenbar werdende Reduktion der Aktivitäten der OeG widerspricht dieser These. Für das bessere Verständnis der historischen Zusammenhänge wäre es für die in der Geschichte der OeG weniger bewanderte Leserschaft allerdings hilfreich gewesen, die Ereignisse von 1766 würden nicht erst gegen Ende des Buches etwas ausführlicher beschrieben. Zweitens werden in den beiden Arbeiten Parameter zur Aktivität der Gesellschaft gemessen, ohne dass für den nicht spezialisierten Leser ganz klar wird, welches übergeordnete Erkenntnisinteresse hinter diesen Anstrengungen steht. In diesem Fall wird sicherlich erst in der Gesamtschau der Ergebnisse des Projekts zu erkennen sein, welchen Beitrag Salzmann und Lehmann geleistet haben.

Daniel Salzmanns Ziel ist es, die Aktivitäten der OeG zwischen 1759 und 1797 zu «messen» und anschliessend die Selbstwahmehmung der Gesellschaft zu rekonstruieren, um daraus schliesslich mögliche Erklärungen für den Rückgang der Aktivitäten der Gesellschaft abzuleiten. Die Messung der Tätigkeit der Gesellschaft erfolgt aufgrund von Parametern wie Mitglieder, Finanzen, Korrespondenz, Publikationen, Versammlungstätigkeit und praktische Versuche. Eine Zusammenstellung all dieser Parameter zeigt deutlich, dass die Aktivität der Gesellschaft, abgesehen von einigen meist kürzeren Phasen gesteigerter Tatkraft, seit Mitte der 1760er-Jahre abnahm. Anschliessend an diese Feststellung rekonstruiert Salzmann, wie die Mitglieder der OeG diese Entwicklung wahmahmen und was sie dagegen zu unternehmen gedachten. Die Mitgliederder OeG hatten ein hohes Bewusstsein von der historischen Bedeutung ihrer Gesellschaft, und diese wollten sie erhalten.

Über die stark quantifizierende Darstellung der Aktivitäten der Gesellschaft hinaus gelingt es Salzmann, das Bild einer Oekonomischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts um etliche aufschlussreiche Facetten zu bereichern. So zeigt er beispielsweise anhand des Finanzgebarens der Gesellschaft, dass den verantwortlichen Mitgliedern nicht nur an der «Verbesserung» der Landwirtschaft und der Volksaufklärung gelegen war, sondern zunehmend auch daran, «aus ihrem sehr beträchtlichen Vermögen einen möglichst grossen Ertrag zu erzielen» (S. 56). Interessante Einsichten in die komplexen Praktiken und Strategien der Gesellschaft bietet auch der Abschnitt über die Vergabepraxis von Ehrenmitgliedschaften. Diese konnten Belohnung für starkes Engagement ebenso sein wie ein Mittel zur Etablierung und Aufrechterhaltung von (wissenschaftlichen) Netzwerken oder reiner Selbstschmuck (wie am Beispiel der Ehrenmitgliedschaft von Voltaire gezeigt wird). Die Ehrenmitgliedschaften kamen aber nicht nur der Gesellschaft zugute, sondern auch den Geehrten, denn sie waren gleichzeitig Anerkennung für das Geleistete, Schmuck und Eintritt in einen wissenschaftlichen Kommunikationszirkel.

Im Anschluss rekonstruiert Salzmann die Gründe des Rückgangs der Aktivitäten der Gesellschaft, die er in den Personen der Präsidenten (die wegen Alter oder Überlastung die Gesellschaft nicht leiten konnten), der Sekretäre (die ihren Pflichten ungenügend nachkamen) und der Mitglieder (die im Laufe der Zeit in Staatsämter aufstiegen und das Interesse an der Mitarbeit in der Gesellschaft verloren) findet. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Beschäftigung mit landwirtschaftlichen Fragen im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zunehmend ausser Mode kam und sich die jungen Gelehrten eher den Naturwissenschaften, der Naturgeschichte und den sich diesen Themen widmenden neuen Gesellschaften zuwandten. Trotz des Rückgangs der Aktivitäten im Laufe des 18. Jahrhunderts schreibt Salzmann nicht eine Geschichte des Niedergangs. «Angesichts der diversen Schwierigkeiten, mit denen die Oekonomische Gesellschaft Bern im Laufe der 1760er Jahre konfrontiert wurde, wäre ein schnelles Ende nicht ungewöhnlich gewesen» (S. 201). Dass die OeG jedoch auch am Ende des Jahrhunderts noch bestand, kann in diesem Sinne als Erfolg gewertet werden.

Die Arbeit von Peter Lehmann schliesst sowohl zeitlich als auch inhaltlich an diejenige von Daniel Salzmann an. Lehmann geht der Frage nach, wie sich die Aktivität der OeG unter dem Eindruck der politischen Umwälzungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelte. Diese Fragestellung bietet insofern eine spannende Ausgangslage, als sie eine Lücke in der schweizerischen Vereinsforschung in den Blick nimmt. Der Übergang von den Sozietäten der Aufklärung zu den Vereinen des 19. Jahrhunderts ist, in den Worten Lehmanns, «kaum erforscht» (S. 12). Man könnte auch sagen, dass die Forschung zu den Gesellschaften des 19. Jahrhunderts sich nicht oder nur ungenügend für die Vorläufer, das Phänomen der aufklärerischen Sozietäten interessiert. Ihr Fokus liegt auf den Vereinen als «neue Formen der Geselligkeit der sich entwickelnden bürgerlichen Gesellschaft».1

Nach Forschungsstand und Einleitung beleuchtet Lehmann im zweiten Kapitel die Geschichte der OeG bis ins Jahr 1798 sowie ihr politisches und wirtschaftliches Umfeld in der Zeit von der Helvetik bis zur Restauration, Im folgenden Kapitel, gleichsam der Hauptteil des Buches, steht die Aktivität der OeG in den Jahren 1798 bis 1831 im Zentrum des Interesses. Das Raster für diese Untersuchung wird durch Salzmanns Arbeit vorgegeben. Die in den ersten Jahren der OeG ausgebildeten Tätigkeiten bilden folglich den Bezugsrahmen zur Bestimmung der Gesellschaftstätigkeit nach der Wende zum 19. Jahrhundert. Dieses Vorgehen ermögliche, so Lehmann, den Vergleich der Daten vor und nach der Revolution, berge aber zugleich die Gefahr, «dass nur Aktivitäten in den Blick genommen werden können, wodurch der Eindruck des sich fortsetzenden Niedergangs entstehen kann» (S. 16). Die folgenden über 100 Seiten liefern aufschlussreiche Einblicke in das Innenleben eines Vereins zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Schweiz. Die Jahre vom Beginn der Helvetik bis zum Ende der Restauration stellten für die OeG eine wechselvolle Zeit dar, die nicht zuletzt durch den Abbruch 1814 und die Wiederaufnahme der Gesellschaftstätigkeit 1822/23 geprägt war. Lehmann unterzieht diese Epoche der Vereinsgeschichte einer differenzierten Analyse. Die Leserin erfährt etwa, wie die OeG praktische landwirtschaftliche Versuche tatkräftig unterstützte (insbesondere die Einführung der Parmesanfabrikation im Kanton Bern) und damit zur Wissensverbreitung beitragen wollte. Parallel nahm die Publikationstätigkeit der OeG ab - die Gesellschaft ging folglich vermehrt von der schriftlichen zur praktischen Belehrung über.

Auf die angesprochene Gefahr, die sich durch die starke Bezugnahme auf Salzmann ergibt, kommt Lehmann wiederholt zurück. Er versucht den Eindruck, die OeG befände sich nach 1800 in einem permanenten Niedergang, zu relativieren, indem er neue Tätigkeitsfelder und Formen der Aktivität betont. Diese Hinweise, die den Wandel der Vereinstätigkeit im Übergang zum 19. Jahrhundert und damit - zumindest implizit - die angesprochene Forschungslücke betreffen, sind besonders interessant. Das Raster, welches die Arbeit von Salzmann vorgibt, ist allerdings so bestimmend für die Untersuchung, dass die Relativierung nur bedingt gelingt.

In einem kurzen vierten Kapitel analysiert Lehmann die Ursachen für den Abbruch der Gesellschaftstätigkeit 1814 sowie die Initiative zur Neugründung 1822/23, bevor er abschliessend die Untersuchungsergebnisse zusammenfasst. Hier wäre eine stärkere Bezugnahme auf den grösseren Forschungskontext der Vereinsgeschichte wünschenswert. Abschliessend wirft Lehmann einen kurzen Blick auf die weitere Entwicklung der OeG bis in die 1860er-Jahre. Erst an dieser Stelle erwähnt er die - im Buchtitel genannte - Transformation der Gesellschaft zum Landwirtschaftsverein. Hier zeigt sich die einleitend angesprochene Problematik, dass vom Leser Wissen zur OeG vorausgesetzt wird. Nur wer weiss, wie die Geschichte weiterging,2 versteht, was mit dem besagten Transformationsprozess gemeint ist.

Im Gegensatz zur oftmals sehr schematischen Darstellung der Gesellschaften des 18. und 19. Jahrhunderts in der Forschungsliteratur zeichnen Salzmann und Lehmann ein differenziertes Bild der Aktivitäten der OeG und zeigen auf, wie diese im Rahmen ihrer zeitlich bedingten Möglichkeiten gehandelt hat. Damit geben Salzmann und Lehmann spannende und neue Einblicke in das Funktionieren einer Sozietät des 18. und 19. Jahrhunderts.

1 Gull, Thomas: Vereine. Kapitel 2.1 : Zahlenmässige Entwicklung. In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 15.05.2012, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D25745.php. Vgl. auch Hauser, Albert: Das Neue kommt. Schweizer Alltag im 19. Jahrhundert. Zürich 1989, S. 65-72; Jost, Hans Ulrich: Zur Geschichte des Vereinswesens in der Schweiz. In: Hugger, Paul (Hrsg.): Handbuch der Schweizerischen Volkskultur, Bd. 1. Zürich 1992, S, 467-484; Tanner, Albert; Arbeitsame Patrioten - wohlanständige Damen. Bürgertum und Bürgerlichkeit in der Schweiz 1830-1914. Zürich 1995, S. 424-476.

2 Vgl. Stüber, Martin/Moser, Peter/Gerber-Visser, Gerrendina/Pfister, Christian: Einleitung. Von der Reformsozietät zur bäuerlichen Bildungsinstitution. In: Stuber, Martin et al. {Hrsg.); Kartoffeln, Klee und kluge Köpfe. Die Oekonomische und Gemeinnützige Gesellschaft des Kantons Bern OGG (1759-2009). Bern/Stuttgart/Wien 2009, S. 13-55.

Lukas Boser, Bern / Michèle Hofmann, Bern


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