Winfried Frey / Andrea Frölich (Hg.)

Das Judenbild in den Flugschriften des 16. Jahrhunderts.

Kontinuität und Wandel

Rezension


Ein lang bestehendes Desiderat im Bereich der Erforschung der Geschichte der Beziehung von Judentum und Christentum erfüllt die CD-Rom von Winfried Frey und Andrea Fröhlich, die sich den deutschsprachigen Flugschriften und darüber hinausgehend auch etwas längeren deutschsprachigen Drucken des 16. Jh.s widmet. Die CD-Rom präsentiert 219 Texte, worunter sich sehr viele noch nicht editierte Schriften befinden, was diese Datenbank, die unter dem Datenbanksystem "Filemaker Pro" arbeitet, besonders kostbar macht: Sie erschließt viele bisher kaum bekannte wie überhaupt bisher unbekannte Texte und macht sie der Forschung zugänglich.

Die Schriften lassen sich den unterschiedlichsten Textsorten zuordnen, so finden sich u.a.: Gutachten, Verordnungen, Sendbriefe, Streitschriften, Disputationen, Schmähschriften, Schwänke, Predigten, Unterweisungen, geistliche Spiele ebenso wie Volkslieder. Dabei handelt es sich um Schriften, die Realität kommentieren und nicht abbilden. Aufgenommen wurden Texte von prominenten Autoren, etwas 19 Schriften von Martin Luther, 12 Schriften von Joseph Pfefferkorn oder drei Schriften von Johannes Reuchlin. Ebenso werden Schriften von weniger bekannten Autoren wie Sebastian Meyer, Paul Staffelsteiner oder Zacharias Zahn präsentiert.

Das umfangreiche Datenmaterial ist mit Hilfe eines so genannten Hauptlayouts erschließbar, das ebenso als Ausgangspunkt für eine individuellere "Suche" dienen kann. Neben bibliograpischen Informationen gibt die Datenbank zu den einzelnen Verfassern der Schriften, sofern möglich, ausführliche biographische Informationen. Ebenso werden die Schriften inhaltlich erläutert und nach diversen Kriterien geordnet, die ihre Intention erhellen, wobei auch die Argumentationsstruktur Berücksichtigung findet. En gros wird differenziert in antijüdische, protorassistische, inner-christliche, innerreformatorische, theologische und ökonomische Argumentation. Besonders hilfreich für die Litratur- bzw. insgesamt Kulturwissenschaften wie ebenso für weitere Forschungsdisziplinen ist die Differenzierung nach Themen und Motiven (etwa: Gottesmord, Hostienfrevel, Missbrauch, Wucher, Taufe, Irrlehre, Zauberei, Teufel, Blindheit, Judas etc.) wie auch nach biblischen und außerbiblischen (religiösen und profanen) Verweisen. Zusätzliche Informationen zu vorhandenen Editionen und Sekundärliteratur in Auswahl erleichtern eine zukünftige Beschäftigung mit den Texten.

Insgesamt vereint die Präsentation der Schriften bibliographische und biographische Daten mit solchen, die sich an kulturgeschichtlichen, mentalitätsgeschichtlichen Fragestellungen sowie denjenigen der historischen Anthropologie orientieren wie auch die literarische Topos-, Motiv- und Mythenforschung bedienen. Damit stellt die Datenbank, die selbst nicht nur dokumentiert, sondern durch die analytische Vorgehensweise auch interpretiert, der weiteren Forschung reichlich aufbereitetes Material zur Verfügung.

Die CD-Rom ist das Ergebnis eines Langzeit-Projektes, das 1995 begonnen wurde. Die Beobachtung einer Veränderung des Charakters der Argumentationsstrategien im 16. Jh. von einem meist religiös geprägten Antijudaismus der christlichen Tradition hin zur Demonstration eines partiell protorassistischen Judenhasses waren der Ausgangspunkt für Ihre Entstehung, wie Winfried Frey und Andrea Frölich im Vorwort erläutern. Für diesen Prozess können viele Gründe, wie Umbrüche in Weltbild und Gesellschaft, angegeben werden, die u.a. dazu führten, dass das Feindbild "Jude" seine scharfe Kontur verlor und zu einem polemischen Versatzelement wurde, wie verschiedene Schriften belegen, die in die Datenbank aufgenommen wurden.

Die Datenbank selbst ist benutzerfreundlich und erschließt sich auch denjenigen leicht, die dazu tendieren, Benutzerhilfen zu ignorieren. Besonders hilfreich ist die große Breite an Möglichkeiten, die einzelnen Texte nach unterschiedlichen Kriterien abzufragen. So bietet die Datenbank mit ihren Informationen nicht nur Handbuchartikel, sondern die unterschiedlichsten Suchfunktionen ermöglichen das Fungieren als nahezu perfektes Register. In Aufbau und Funktion erinnert die Datenbank an das Handbuch bzw. die zu Standardwerken gewordenen Bände von Heinz Schreckenberg zu den Adversus-Judaeos-Texten des 1. bis ins 20. Jh.s. Mit dieser CD-Rom ist nun ein neues digitales Handbuch entstanden, das kenntnisreich und übersichtlich unverzichtbar für weitere Forschungen zum Judenbild im 16. Jh. sein wird.

Maria E. Dorninger


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