Peter Schmidtsiefer / Birgit Siekmann (Hg.)

Geschichte als Verunsicherung

Karl-Hermann Beeck und Günther van Norden
am Historischen Seminar Wuppertal

Rezension


Karl-Hermann Beeck (* 1927) und Günther van Norden (* 1928) haben bis zu ihrer Emeritierung 1993 das Fach Geschichte zunächst an der Pädagogischen Hochschule, dann an der Gesamthochschule bzw. Bergischen Universität Wuppertal entscheidend mitgeprägt. Die achtzigsten Geburtstage der bei den Studenten beliebten und von den Kollegen geschätzten Ordinarien waren der Anlass zur Herausgabe vorliegender Festschrift. Es ist ungewöhnlich, hier aber gut begründet, dass die Jubilare selbst zu Wort kommen. K.-H Beeck skizziert thesenhaft sein Verständnis von Regional- und Mentalitätsgeschichte sowie Kulturgeschichte, die für ihn "Geschichte als das vom Menschen stets praktizierte Geschehen des Sicheinhäusigmachens in der ihm jeweils vorgegebenen Welt" (S. 58) ist und belegt dies durch die Auflistung der von seinen Schülerinnen und Schülern vorgelegten Arbeiten. G. van Norden setzt sich sehr eindrücklich mit Grundsatzfragen der kirchlichen Zeitgeschichte auseinander. Er legt überzeugend dar, weshalb Kirchengeschichte auch Profangeschichte ist und weshalb er zwischen Widersetzlichkeit und Widerstand im Kirchenkampf zu Zeit des Nationalsozialismus genau unterscheidet.

Einleitend begründet Peter Schmidtsiefer den Festschrift-Titel, der durchaus ein einigendes Band für die meisten Beiträge darstellt. Dem Oberthema "Strukturen von langer Dauer" sind die Untersuchungen der Beeck-Schüler Joachim Studberg ("Adel, Jagd und mentale Prägungen") und Wolfgang Heinrichs ("Frauenrolle im Wandel. Über die Veränderung des Rollenverständnisses der Geschlechter im Raum der Kirche im Kontext der gesellschaftlichen Prozesse von der frühen Neuzeit bis heute") zugeordnet. In diese Gruppe gehört auch der Aufsatz "Anglo-ame-rikanische methodistische Missionen im Kontinentaleuropa im 19. Jahrhundert" von Ulrike Schuler. Die Verfasserin zieht das Fazit, dass für "alle methodistische Mission...ihre Sote-riologie und ihr Ekklesiologie, konkret ihre theologische Akzentsetzung einer holistischen Heiligungslehre und ihre konnexionale Organisationsstruktur" (S. 244) grundlegend sind.

Wegen des regionalen Bezugs hervorzuheben sind die Arbeiten von Helga Passon, die das Thema "Politische Aspekte katholischen Gemeindelebens aus der Sicht von Friedrich Jorde (1856-1941)" gewählt hat und in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung dessen unveröffentlichtes Manuskript über die katholische Kirchengemeinden in Elberfeld stellt, sowie von Eduard Neumer, der mit Hilfe der Zeitungsinserate die in Velbert zwischen 1919 und 1932 gezeigten Filme auflistet, diese Listen in die allgemeine und Velberter Kinogeschichte einbettet und Rückschlüsse auf das Kinopublikum zu ziehen versucht. In diese von den Herausgebern mit "Elemente der Formierung bürgerlicher Bildung" bezeichneten Aufsatzgruppe gehören ferner die Beiträge von Hermann de Buhr ("Der Wandel des Geschichtsbildes am Beispiel der Hansedarstellung in den Schulgeschichtsbüchern"), Peter Schmidtsiefer ("Ein Weg aus der Krise? Die Gymnasialreform Hans Richerts 1924/25") und Beatrix Burghoff ("Der ,Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands'. Eine Institution voller Widersprüche?").

Wuppertal spielt während des Kirchenkampfes in der Zeit des Nationalsozialismus eine wichtige Rolle. Es überrascht daher nicht dass in den Untersuchungen von Birgit Siek-mann ("Paul Brückner und ,seine' Evangelische Akademie. Gescheiterte Initiative der Deutschen Christen in Wuppertal"), Volkmar Wittmürz ("'Werfet Eure Netze aus!' Die Rheinische Mission 1932 bis 1937") und Sigrid Lekebusch ("Zwei Lebenswege kreuzen sich. Paul Humburg und Georg Schulz im Kirchenkampf') lokale und regionale Aspekte bzw. Persönlichkeiten im Vordergrund stehen. Den Band beschließt ein in jeder Beziehung ungewöhnlicher Beitrag. Gottfried Abrath unternimmt darin den Versuch, die zwischen 1936 und 1947 entstandenen Tagebücher des Wuppertaler Pfarrers Hermann Klugkist Hesse auf der Grundlage einer Wortstatistik zu analysieren. Die Ergebnisse dieser quantifizierenden Untersuchung bildet er in aufwendig gestalteten, mehrfarbigen Graphiken ab. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass die von dem Verfasser daraus gezogenen Schlussfolgerungen auf den Erlebnishorizont des "Diaristen", d.h. des Tagebuchschreibers Hermann Klugkist Hesse, nicht auch auf herkömmlichem Wege zu gewinnen sind.

Es gehört schon fast zum guten Ton, die Vorstellung einer Festschrift mit der Frage nach der grundsätzlichen Berechtigung von Festschriften zu verbinden. Ich denke, dass die Herausgabe dieses Sammelbandes deshalb mit gutem Grund erfolgt ist, weil er das Denken und Arbeiten eines großen Teils der Mitglieder des Historischen Seminars der Bergischen Universität über einen langen Zeitraum hinweg widerspiegelt.

U. E.


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