Claudia Bickmann, Markus Wirtz, Hermann-Josef Scheidgen (Hrsg.)
unter Mitwirkung von Myriam-Sonja Hantke, Dennis Kumetat, Maia Traine und Viktoria Burkert

Religion und Philosophie im Widerstreit?

Internationaler Kongress an der Universität zu Köln, 13. – 16. Juli 2006

Zwei Teilbände

Rezension


Das spannungsreiche Verhältnis zwischen Spiritualität und Rationalität, Religion und Vernunft, Theologie und Philosophie war Thema eines internationalen Kongresses, der von 13. bis 16. Juli 2006 an der Universität Köln stattfand. Vor allem aus philosophischer Perspektive wurde ein Problemfeld beleuchtet, das innerhalb der abendländischen Tradition zunehmend säkular und religionskritisch, im Kontext außereuropäischer Traditionen überwiegend sapiential und rationalismuskritisch interpretiert wurde, wie Claudia Bickmann, die Präsidentin der Gesellschaft für Interkulturelle Philosophie (GIP), aufzeigt: "Während in den westlichen Kulturen und Zivilisationen der Anspruch einer auf Prüfbarkeit und Rationalität gegründeten WeItsicht an Vorherrschaft gewonnen hat, wird in verschiedenen nicht-europäischen Philosophien zunehmend eine Einbettung unseres Wissens in die je tradierten endogenen Formen der Religiosität bzw. Spiritualität gesucht" (12). Die daraus resultierende Herausforderung besteht darin, weder das Phänomen Religion auszublenden noch der Herausforderung rationaler Kritik auszuweichen. Erfordert - so Bickmann - ist für den philosophischen und theologischen Diskurs der "Versuch einer Grenzbestimmung der eigenen Prämissen sowie der Versuch, vom Orte des Anderen aus zu denken" (16) - eine in der Tat anspruchsvolle Aufgabe, die in diesen beiden Bänden der "Studien zur Internkulturellen Philosophie" unter fünf Themenschwerpunkten in insgesamt 43 Beiträgen angegangen wird.

(An dieser Stelle ist auf die - gerade auch für den Forschungsbereich "Theologie interkulturell und Studium der Religionen" - wichtige Reihe der Studien zur Interkulturellen Philosophie (SIP) hinzuweisen, die ab Band 18 in einer deutschen Ausgabe im Verlag Traugott Bautz (Nordhausen) erscheint).

Die einigermaßen komplexe Diskussion und umfangreiche Auseinandersetzung mit der vorgestellten Problemlage lässt sieh hier nur eklektisch nachzeichnen. Eine Reihe von Beiträgen geht von einem Autor aus (Feuerbach, Cusanus, Spinoza, Kant, Tiegel, James, Cassirer, Descartes, Pascal, Ibn Ruschd, Abu Nuwas, Heidegger, Schelling, Nagarjuna, Fichte, Nietasche, Levinas), um den religiös-philosophischen Widerstreit von einem bestimmten Ansatz aus zu beleuchten; die meisten außereuropäischen Zugänge beziehen sich auf indische und japanische Traditionen, nur einer auf Afrika. Die Autorinnen und Autoren lassen in ihren Ausführungen sowohl religiöse Überzeugungen als auch agnostische, skeptische und atheistische Einstellungen deutlich werden, was diesem Doppelband Virulenz, Vielseitigkeit und eine spannende Offenheit religiösen oder säkularen Optionen gegenüber verleiht.

Auf einige interessante Überlegungen sei hier exemplarisch verwiesen; Morteza Ghasenpour zeigt auf; wie in modernen Dramen Transzendenz zur Geltung kommt: nicht durch "eine gekünstelte Verspiritualisierung", sondern durch die kritische Choreographie, "der Transzendenz in Gestalt dramatischer Vergegenwärtigung ihrer Absenz andächtig zu werden" (163). Georg Stenger macht deutlich, dass die Frage "Wie von ‚Religion' sprechen" angesichts interkultureller Herausforderungen "aufsässiger denn je" (202) erscheint und eine anspruchsvolle Dialogkultur und -bereitschaft impliziert, nämlich "ein Aufmerken auf Asymmetrien und ein Sensiblerwerden für Differenzen, ein Ernstnehmen orthafter Situiertheit, epistemischer und aisthetischer Kontingenz, damit verbunden die Einsicht in die produktiven Gestaltungsmöglichkeiten, die sich aus den Fremd(heits)erfahrungen ergeben, die vor allem das je Eigene auf sich zurückwerfen, um dieses selber tiefer, weil kritisch und korrigierend, in sich zu erfassen" (ebd.). Ram Adhar Mall, Gründungspräsident der GIP und Pionier interkulturellen Denkens in Deutschland, geht in seinem ausführlichen Beitrag auf die Relation und Differenz zwischen (Religions-)Philosophie und Theologie - zumal in deren interkulturell varianten Konstellationen - ein. Er stellt die bedenkenswerte Frage, "ob Glauben-Können und/oder -Wollen nicht doch, aus welchen Gründen auch immer, eine Disposition ist, die als eine Präferenz der philosophischen Argumentation vorausgeht" (642f), und greift damit einen Einwand von Anthony Flew auf, der fragte: "Was müsste passieren, um sagen zu können, jetzt sei eine religiöse Aussage falsifiziert?" (625) Deshalb, so Mall, könne man nicht "ohne Bruch" von einer philosophischen zu einer theologischen Gottesvorstellung überwechseln, und Philosophie und Religion "bleiben zwei grundverschiedene Buchstabierungsweisen des Welträtsels" (668). Was nun Philosophie und Religion bzw. Theologie verbindet, sei die Soteriologie, das "Streben nach Vollendung und Heilwerdung des Menschen" (700), betont Katharina Ceming, und ähnlich sieht es Markus Wirtz: Religion und Philosophie betreiben beide "die Lenkung der Aufmerksamkeit des Menschen auf das Wesentliche" (854), so seine theologisch-vermittelnde Position. Pointiert arbeitet schließlich Hans Joachim Höhn den Bezug von Glauben und Wissen - um hier die durch Habermas bekannt gewordene Wortwahl zu verwenden - heraus, und zwar in einer Weise, die der von Bickmann geforderten "Prämissentransparenz" (16) auf eindrückliche Weise gerecht wird: "Für die Vernunft kommt es darauf an, sich in ein vernunftgemäßes Verhältnis zum Anderen ihrer selbst zu setzen" (775); und auf komplementäre Weise gilt: "Für etwas einzustehen, das mit den Mitteln der Vernunft unableitbar ist, macht die Eigenständigkeit des Religiösen aus. Dass sich diese Unableitbarkeit in einer für Vernünftige nachvollziehbaren Weise einsichtig machen lässt, ist die Voraussetzung dafür, dass das Religiöse nicht zum Stellvertreter des Irrationalen und Vernunftwidrigen wird" (777).

Die hier vorgestellte Auseinandersetzung erweist sich tatsächlich als "polyphones Gespräch" (18), das keine endgültige philosophische oder theologische Antwort geben kann, weil dieser Widerstreit - so die Anknüpfung am Wortgebrauch Lyotards - zu verstehen ist als "Konfliktfall zwischen zwei Parteien ..., der nicht entschieden werden kann, weil es an einer auf beide Argumentationen gemeinsam anwendbaren Urteilsregel fehlt" (Markus Wirtz, 851). Eine solche "letzte Urteilsregel" zu finden, war auch nicht das Ziel der Überlegungen, sehr wohl aber der Versuch, Kompetenzen und Grenzen der je eigenen Denk- und Lebensform offen und selbstkritisch auszuweisen. Wenn nun, wie Gregor Maria Hoff hervorhebt, die Theologie zur Sprache kommt, "indem sie sich auf Orte einlässt, über die sie nicht bereits vorab und von selbst her verfügt" (314), kann und darf sie sich diesem interdisziplinären, interkulturellen und interreligiösen Widerstreit nicht entziehen.


Franz Gmainer-Pranzl


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