Martin Völkel

Jung-Stilling : Ein Heimweh muß doch eine Heimat haben.

Annäherungen an Leben und Werk 1740-1817

Rezension


Zu den kirchengeschichtlich besonders interessanten Gestalten der Goethezeit gehört Johann Heinrich Jung-Stilling, westfälischer Bauernsohn, Lehrer und Arzt, Kameralist und theologischer Schriftsteller, Professor und Seelsorger vieler Menschen aus allen "Ständen", Gesprächspartner des Grosherzogs Karl Friedrich von Baden und des Zaren Alexander I. wie der umstrittenen Pietistin Juliane von Krüdener. Er hat seinen Lebensweg selbst mit seiner "Lebensgeschichte" in das Gedächtnis der Menschheit geschrieben. Im Jahre 2007 hatten Martin Völkel und Erich Mertens die weitläufige und aufschlussreiche "Volksschrift" Johann Heinrich Jung Stillings "Der Graue Mann" in vier Bänden mit erläuternden Fußnoten herausgegeben (vgl. DtPfrBI 1/2008, 45). Jüngst haben sie mit einem fünften Band noch ein hilfreiches Register hinzugefügt: "Der Graue Mann eine Volksschrift von Johann Heinrich Jung, genannt Jung-Stilling. Register", 2009.

Nun also Jung-Stillings Biographie aus Völkels Feder das Werk schließt eine Lücke: Es fehlte ein Buch, das den Leser nicht nur über die Vita Jung-Stillings informiert, sondern zugleich auch dessen eigene Stimme zu Gehör bringt.

Völkel führt in zehn Kapiteln durch Leben und Werk des vielseitigen Mannes. Den Schluss bilden eine Bibliographie und ein Namenregister. Die Lebensstationen Jung-Stillings treten in der Synopse seiner literarischen und autobiographischen Werke, seiner Briefe und zeitgenössischer Dokumente plastisch vor Augen. Völkels Kommentierung markiert die Entwicklungsstufen des frommen Interpreten seiner Zeit, zeichnet seine Reflexionen nach und macht mehrfach auf Bruche in ihnen aufmerksam. Der Leser begegnet der geistlichen Selbstvergewisserung des Schriftstellers ebenso wie möglichen Fragen an sie.

Wir besitzen mit diesem Buch eine solide Einführung in Jung-Stillings Leben und in sein Werk. Manches Glanzstück wie etwa die souveräne Präsentation der Schriftenfolge "Der Graue Mann" macht besondere Freude. Kritisch konnte man anmerken, dass Völkel es dem Leser nicht immer leicht macht; manches konnte glatter formuliert sein. Formal stören einige Ungenauigkeiten im Wortlaut der Zitate und in den Stellenangaben. Wenn Völkels gelegentliches Urteil, Jung-Stilling bewege sich auf theologisch "bedenklichem" Felde, dem Leser als etwas zu lakonisch erscheinen konnte, so muss man doch zugestehen, dass gerade die Interpretation, die stutzig macht, ja zur eigenen Beschäftigung mit den Quellen reizt und eine solche Wirkung ist nicht das kleinste Verdienst einer Biographie.

Auch die Sekundarliteratur hat Völkel anregend erschlossen. Er berücksichtigt nicht nur durchweg die grundlegenden Studien und Editionen von Max Geiger, Gustav Adolf Benrath und Gerhard Schwinge, sondern diskutiert auch eine Fülle weiterer Literatur bis hinzu den Veröffentlichungen der jüngsten Zeit. Diese "Annäherungen an Leben und Werk" des kritischen Pietisten Jung-Stilling vermitteln der Forschung neue Impulse, aber nicht nur ihr; der Kreis der Leser dieses Buches wird weit über den der Wissenschaftler hinausgehen.

Stephan Bitter


Copyright © 2008 by Verlag Traugott Bautz