Erika Hickel

Die Arzneimittel in der Geschichte

Trost und Täuschung - Heil und Handelsware

Rezension


Erika Hickels "Die Arzneimittel in der Geschichte" ist ein besonderes Buch. Besonders, weil es eine sehr persönliche und dennoch umfassende, d.h. die Zeit von den Anfänge bis nahe an die Gegenwart umspannende Geschichte des Arzneimittels und seine Funktion in der Gesellschaft nachzeichnet und interpretiert.

Viele der akribisch zusammen getragenen und in übersichtlichen Tabellen geordneten Informationen zu den Quellen der Arzneimittellehre und dem Arzneimittelschatz in den verschiedenen Zeitabschnitten sind ihrerseits bestens geeignet, um nachfolgenden Werken als Quellenangaben zu dienen. Schon deshalb sollte es in keiner Bibliothek fehlen.

Weit größeren Gewinn zieht der interessierte Leser aus den stets gut begründeten Erklärungen zu historischen Entwicklungen und zwar sowohl zu den Erkenntnissen, die auch aus heutiger Sicht Bestand haben als auch zu den Irrtümern. In dieser anschaulichen Form nicht oft zu lesen sind auch die ethnographischen oder internationalen Vergleiche, die in eigenen Exkursen abgehandelt werden, etwa zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Arzneimittelbegriff in Mesopotamien, Ägypten, Indien und China, zu den Nachwirkungen der Viersäftelehre oder zum interkulturellen Austausch in der Kolonialzeit. Die Autorin folgt dabei immer einem dialektischen Verständnis der Entwicklungsgeschichte und ordnet ihren jeweiligen Gegenstand in zeitgeschichtliche Zusammenhänge ein. So werden neben der Chemiatrie die "Heroischen Arzneimittel" zur Zeit der Französischen Revolution ebenso betrachtet wie die Arzneimittellehre unter dem Einfluss der Naturphilosophie der Romantik. Größeren Raum nimmt nahe liegender weise auch die Industrialisierung von Arzneimittelforschung und -produktion ein. Das entsprechende Kapitel bietet eine Vielzahl von Beispielen, die zum einen nach Schlüsselmolekülen geordnet sind, zum anderen aber auch ganz unterschiedliche Zusammenhänge assoziieren, die vermutlich auch den einen oder anderen Widerspruch erregen.

Der kritische Blick, mit dem Erika Hickel immer vergangene Ereignisse betrachtet und gegenwärtige diskutiert hat, ist am ehesten im Exkurs über ungelöste Probleme der Arzneimittelversorgung erkennbar, der im besten Sinne provokant ist: Er will und muss zur wissenschaftlich begründeten und politisch wie ethisch verantwortungsbewussten Reflexion darüber anregen, dass einzelne Entwicklungsrichtungen in der Arzneimitteltherapie und die damit einhergehende Veränderung in der Nutzen-Risiko-Bewertung immer wieder neu hinterfragt und bewertet werden müssen.

In dieses äußerst lesenswerte Buch sind neben den eigenen Forschungsergebnissen auch die Arbeiten der von Erika Hickel betreuten Doktoranden eingegangen. Es kann deshalb zu Recht als ihr wissenschaftliches Lebenswerk bezeichnet werden. Trotz dieses hohen Anspruchs sind die einzelnen Kapitel überschaubar, gut strukturiert und auch kurzweilig zu lesen, was für den von der Autorin gewünschten historisch interessierten Leserkreis wichtig ist und hoffentlich auch so gewürdigt wird.

Eine Rezension kann ein gut 600 Seiten umfassendes Werk nur auszugsweise wiedergeben, aber sie soll neugierig machen auf das Buch selbst. Wenn dies gelungen ist, wäre ihr Zweck erfüllt

M. Schaefer, Berlin


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