Erika Hickel

Die Arzneimittel in der Geschichte

Trost und Täuschung - Heil und Handelsware

Rezension


Arzneimittel: Trost, Täuschung, Heil und Handelsware

Prof. Erika Hickel, ehemals Leiterin der Abteilung für Geschichte der Pharmazie und der Naturwissenschaften der Uni Braunschweig hat mit ihrem neuen Buch eine herausragende historische Übersicht zur Arzneimittelgeschichte vorgelegt. Ihr umfangreiches Werk unternimmt erstmalig den Versuch, den Arzneimittelgebrauch in der Menschheitsgeschichte kultur- und epocheübergreifend darzustellen. Beschrieben werden Arzneimittel in den frühen Hochkulturen Asiens und Afrikas, die Zeit zwischen Hippokrates und Galen (5. Jhd. n. Chr.), im Mittelalter - z.B. vertreten durch die Klostermedizin - ‚ während der Seuchenzüge und Entdeckungsreisen und in der Zeit der Chemiatrie bis ca. 1670. Eindrucksvoll und interessant sind vor allem die Ausführungen zur neueren Geschichte bis 1980 mit den Wechselwirkungen zwischen Arzneimittelherstellung und naturwissenschaftlicher Forschung.

Hickel stellt ausführlich dar, wie sich seit dem 19. Jhd. ein Fortschrittsglauben an die Heilkraft vor allem der naturwissenschaftlich fundierten Arzneimittel entwickelt hat. Gut ein Viertel des Buches widmet die Pharmaziehistorikerin dem Zeitabschnitt seit Beginn der industriellen Herstellung von Arzneimitteln etwa ab Mitte des 19. Jahrhunderts.

Hickel weist auf die Probleme bei der Auffindung. Herstellung und Anwendung von Arzneimitteln hin und legt den Finger oftmals in die Wunden derjenigen, die in der Entwicklung des Arzneimittels bis zu seiner heutigen Bedeutung eine lupenreine Erfolgsgeschichte sehen wollen. Es ist wohl ein wesentliches Ziel der Autorin, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Arzneimittel Teil des jeweiligen gesellschaftlichen und kulturellen Umfeldes sind. So zeigt sie anhand von Beispielen, wie sehr archaische oder aufklärerische Vorstellungen, soziokulturelle Voraussetzungen, militärische Überlegungen oder Strukturen der " industrialisierten Forschung" auf den Umgang mit Stoffen, Pflanzen, Tieren und Menschen einwirkten und die Bedeutung der Arzneimittel für die Menschen bestimmten. Hickel beschreibt für verschiedene Epochen wie Arzneimittel als Trost und Tauschung, Heil und Handelsware genutzt wurden und werden. Arzneimittel wurden z.B. bis tief ins 19. Jahrhundert nicht verbraucht, sondern in Notfallen als Gottesgabe angesehen.

In Exkursen zu den einzelnen Kapiteln problematisiert die Autorin die in der jeweiligen Epoche vorherrschenden Arzneimitteltheorien und die praktische Anwendung von Arzneimitteln. Wesentliches Ziel von Erika Hickel ist es, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Arzneimittel in ihrer Auffindung, Entwicklung, Herstellung und Anwendung Teil des jeweiligen historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Umfeldes sind. Sie tritt damit dem heute in der Arzneimittelforschung und -anwendung vorherrschenden eindimensionalen naturwissenschaftlichen Ansatz entgegen und befürwortet stattdessen einen Erkenntnispluralismus. Andererseits wendet sie sich auch gegen die unkritische Zuwendung "esoterischer" Richtungen zu traditionellen Heilmitteln z.B. der chinesischen oder ayurvedischen Medizin.

Das Buch ist ein Muss für alle, die sich entweder von der naturwissenschaftlichen oder alternativmedizinischen, aber auch der sozialanthropologischen Seite mit der Geschichte der Arzneimittel beschätigen.

Margit Urhahn / Udo Puteanus


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