Erika Hickel

Die Arzneimittel in der Geschichte

Trost und Täuschung - Heil und Handelsware

Rezension


Als ehemalige Professorin für Geschichte der Pharmazie und der Naturwissenschaften an der Technischen Universität Braunschweig, hat Erika Hickel stets versucht, neue Objekte ins Feld der Wissenschaftsgeschichte einzuführen, zum Beispiel ökologische Anhaltspunkte, oder auch Fragestellungen, die die Rolle der Frauen untersuchen. Sie hat auch neue Konzepte geschmiedet, wie das der Offizinpharmazie als Keimzelle der Naturwissenschaften zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Ferner hat sie die konzeptuelle Vereinigung zwischen den beiden Facetten der Therapiegeschichte, der soziokulturellen und der wissenschaftlichen, gefordert. So ist es nicht erstaunlich, dass sie in diesem letzthin erschienenen Werk die Wechselwirkungen zwischen sozialen, wirtschaftlichen und sogar philosophischen Umfeld der pharmazeutischen Vergangenheit einerseits und der Entwicklung des Arzneimittels andererseits auslotet. Eigentlich geht es in diesem Buch darum, das Medikament in seinen kulturellen und wissenschaftlichen Dimensionen zu präzisieren, auch die Dualität zwischen den Theorien, manchmal auch dem religiösen Denken, und dem Fortschritt, den therapeutischen Entdeckungen, zu erläutern. Damit will sie nicht nur die Fachleute, sondern auch interessierte Laien, wie sie es sich wünscht ansprechen.

Dieses Hin und Her zwischen den Motivationen, Medikamente einzusetzen und dem Einsatz der Drogen wird an zehn chronologisch angeordneten Kapiteln oder Epochen, die die Arzneimittelentwicklung geprägt haben, ausgearbeitet. Neben eher traditionellen Abschnitten, die einigermaßen einen Lehrbuchcharakter zeigen, betritt Erika Hickel oft auch originelle Felder: Sie bringt etwa "ethnopharmazeutische" Gedanken ein, diskutiert am Beispiel des exotischen Arzneischatzes die meistens geringen Verschiedenheiten zwischen Schul- und Volksmedizin oder unterstreicht im Licht des Antimon-Streites die Diskrepanz zwischen Magie und Wissenschaft. Die wichtigsten Arzneimitteltheorien und Ansichten, wie die Jatrochemie, die Dreck-Pharmazie oder noch die Arzneimittelverringerung und der therapeutische Nihilismus am Ende des 18. Jahrhunderts werden eingehend erörter. Das Studium der Paradigmawechsel verfolgt die Autorin weiter für die Zeit nach der Aufklärung mit der Alkaloidenforschung, der Einführung neuer Medikamente, aber auch mit den "Wellenbewegungen zwischen Holismus und Reductionismus", zwischen Globalisierung und Lokalismus, die die ganze Therapeutik von der Antike bis heute prägen. Nach 1850 bringt die positivistische Einstellung der Wissenschaft, aber auch die Entwicklung der Arzneimittelindustrie, eine Erneuerung der medizinisch-pharmazeutischen Wissenschaft, zum Beispiel die Geburt der Pharmakologie, aber auch die Entdeckung zahlreicher neuer organisch-synthetischer Medikamente, die zum heutigen Therapiebild führen. Diese Prozesse analysiert Hickel durch das gleiche kritische Sieb von sozialen. Philosophischen und kulturellen Überlegungen, das das ganze Buch prägt.

Eine weite Palette von bibliographischen Referenzen stützt diesen reichen Korpus von Fakten und Gedanken, der zeigt, dass die Geschichte der Pharmazie im Begriff ist, neue Wege einzuschlagen.

François Ledermann, Bern


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